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Eine Mitarbeiterin der Pflege in Schutzausrüstung betreut einen Corona-Patienten. Menschen mit Corona-Infektion werden auf der Intensivstation IT2 im Operativen Zentrum II des Universitätsklinikum Essen behandelt.

© dpa / Fabian Strauch

Update

Intensivmediziner warnen vor Überlastung: Corona-Lage ist „absolut besorgniserregend“

Die Zahl der Patienten auf deutschen Intensivstationen geht steil nach oben. „Wir müssen diesen Trend stoppen, uns bleibt keine Wahl“, so der Arzt Stefan Kluge.

Täglich meldet das Robert Koch-Institut neue Rekordwerte bei den registrierten Neuinfektionen, an diesem Donnerstag liegt die Zahl nun schon bei über 16.000. Der Leiter der Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Stefan Kluge (52), nennt diese Lage bei den Corona-Neuinfektionen „absolut besorgniserregend“. Kluge warnte vor einer Überlastung der Krankenhäuser und Intensivstationen.

„Wir befinden uns an einem kritischen Punkt der zweiten Welle der Corona-Pandemie“, sagte Uwe Janssens, der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin in der Bundespressekonferenz (DIVI).

In den letzten zwei Wochen sei die Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen deutlich auf 1569 Patienten am Mittwoch gestiegen. „Diese Zahl liegt angesichts der hohen Infektionszahlen deutlich unter den Vergleichszahlen vom Frühjahr“, sagte Janssens. Und bliebe es bei dem derzeitigen Zuwachs von etwa 100 Patienten pro Tag, sei die Lage vorerst gut beherrschbar.

Druck auf Intensivmedizin

Bislang habe die Politik die Krankenhäuser jedoch nicht vom Regelbetrieb auf einen Corona-Notfall-Betrieb umgestellt, wie im Frühjahr. Janssens bemängelt, dass keine finanziellen Kompensationen für Einnahmeverluste in Aussicht stehen, die dadurch entstehen, dass weniger Patienten behandelt werden, die nicht an Covid-19 erkrankt sind. Derzeit führten die meisten Krankenhäuser ihr Routineprogramm daher fort.

„Das steigert den Druck auf die Intensivmedizin außerordentlich“, sagt Janssens. Verschiebbare Eingriffe und Behandlungen sollten ausgesetzt werden, was eine Verordnung von staatlicher Stelle erfordere.

Zudem steigt die Zahl der Infektionen derzeit auch unter den Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten. Oder sie fallen wegen der Quarantänepflicht nach Risikosituationen aus, in denen sie über 15 Minuten engen Kontakt zu einer infizierten Person hatten. „Daher blicken wir mit Sorge in die kommenden Wochen“, erklärte Janssens.

„Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass die Zahl der Intensivpatienten in den nächsten zwei bis drei Wochen noch einmal deutlich ansteigt“, sagte Kluge. Die beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung würden sich erst in mehreren Wochen auswirken.

Es dauere im Schnitt zehn Tage, bis Covid-19-Patienten nach dem Auftreten der ersten Symptome intensivmedizinisch behandelt werden müssten. „Das heißt die Welle wird erst noch auf den Intensivstationen ankommen“, so Kluge. Auf die Zahl der Todesfälle werde sich die Zunahme der Neuinfektionen erst mit einer Verzögerung von drei bis vier Wochen auswirken.

Problematisch für die Krankenhäuser sei die lange Verweildauer schwer erkrankter Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen. Patienten, die beatmet werden müssen, derzeit ist es nach Angaben des Robert-Koch-Instituts jeder zweite, verbleiben im Schnitt 18 Tage auf den Stationen, berichtet der Arzt. Das führe in vielen europäischen Ländern bereits zur Knappheit freier Betten.

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Von den Infizierten müssten etwa fünf Prozent im Krankenhaus behandelt werden, zwei Prozent auf der Intensivstation. Über 70-Jährige hätten ein Todesrisiko von über 50 Prozent. Das Durchschnittsalter der Verstorbenen in Deutschland liegt laut Kluge bei 79 Jahren.

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Angesichts der steigenden Infektionszahlen stellen sich die Krankenhäuser in Deutschland auch wieder darauf ein, planbare Operationen zu verschieben. Es sei damit zu rechnen, dass „nicht notfallmäßige Eingriffe in besonders belasteten Regionen und Krankenhäusern wieder verschoben werden müssen“, hatte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, der „Augsburger Allgemeinen“ schon Anfang der Woche gesagt.

Auch Baum nannte die stark steigende Zahl der Neuinfektionen „besorgniserregend“. „Wir wissen aus dem Frühjahr, dass aus diesen Neuinfektionen zwangsläufig stationäre Behandlungsfälle folgen.“ Damals habe jeder siebte Coronainfizierte mit einem zeitlich verzögertem Abstand im Verlauf der Krankheit stationär im Krankenhaus behandelt werden müssen.

Konkurrenz um Betten

Nach den Angaben der DIVI gibt es an fast 1300 Klinikstandorten in Deutschland rund 29.000 Intensivbetten. Davon ist derzeit ein Viertel frei. „Aufgrund des Mangels an Pflegepersonal ist ein Teil der Intensivbetten aber nicht bettreibbar“, sagt Kluge. In Hamburg würden daher bereits verschiebbare Eingriffe auf einen späteren Zeitpunkt verlegt.

In Berlin würden derzeit mit 160 Patienten bereits mehr Menschen auf Intensivstationen liegen als im April, berichtete Norbert Suttorp, Leiter der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie an der Charité. Die Verdopplungszeit der Fallzahlen liege bei etwa zehn Tagen, die Zunahme verlaufe seit Wochen exponentiell. Die Entscheidung zu einem zweiten Lockdown in Deutschland findet der Infektiologe „richtig und ein bisschen überfällig“.

„Es gibt Konkurrenz der Patienten mit unterschiedlichen Diagnosen nicht nur um die Betten auf Intensivstationen, sondern auch auf Normalstationen“, sagte Suttorp. Da im Winter auch mit mehr Patienten zu rechnen sei, die an Lungenentzündungen oder schwer an Grippe erkrankt sind. „Wir haben im Winter immer eine Maximalbelegung und jetzt kommt Covid-19 dazu“, so der Arzt. Es sei daher wichtig, Konzepte vorzubereiten, die regeln, wie Patienten mit unterschiedlich schweren Verläufen auf die Stationen verteilt werden.

„Die Entwicklung hängt extrem davon ab, wie sich die Menschen jetzt verhalten“

Stefan Kluge betonte, Ärzte und Pflegepersonal hätten seit Beginn der Pandemie viel gelernt. Es gebe neue Testverfahren, eine gute Ausstattung mit Schutzkleidung und Beatmungsgeräten sowie Behandlungserfolge mit dem Cortison-Präparat Dexamethason. „Deshalb sind wir auch prinzipiell gut vorbereitet“.

Man könne vorhersehen, wie sich die Pandemie in den nächsten zwei bis drei Wochen entwickeln werde. „Darüber hinaus ist alles Kaffeesatzleserei.“ Wie die Lage im Dezember und Januar aussehen werde, lasse sich nicht seriös sagen. „Es hängt extrem davon ab, wie sich die Menschen jetzt verhalten“, betonte der Leiter der Intensivmedizin am UKE. (dpa/Tsp)

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