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Dicker Kern. Eisen und Nickel wie bei der Erde, aber voluminöser.

© Chris Bickel/Science

"InSight"-Mission der Nasa: Wenn der Mars bebt und seine Geheimnisse preisgibt

Seismologen blicken ins Innere des Roten Planeten. Dort sieht es ziemlich anderes aus als in seiner Schwester, der Erde.

1889 registrierte der deutsche Geophysiker Ernst von Rebeur-Paschwitz zum ersten Mal ein Erdbeben aus der Ferne: Mit Hilfe zweier Horizontalpendel, in Potsdam und Wilhelmshaven, zeichnete er ein im rund 9000 Kilometer entfernten Japan aufgetretenes Beben auf. Von Rebeur-Paschwitz gilt damit als Begründer der Seismologie, jener Disziplin, die sich mit Erdbeben und der Ausbreitung seismischer Wellen in Festkörpern beschäftigt.

In den folgenden Jahrzehnten haben Wissenschaftler mit Hilfe seismologischer Messungen den Aufbau der Erde ergründet. Der Hintergrund: Die durch die Erdstöße ausgelösten Wellen breiten sich in verschiedenen Schichten des Untergrunds unterschiedlich schnell aus. Die Analyse der Laufzeiten sowie einiger anderer Messwerte lässt somit Rückschlüsse auf die Struktur des Erdinneren zu.

Der dicke Kern

Dank solcher Arbeiten wissen wir heute, dass die Erde in Schichten aus Kruste, Mantel, Kern und Innerem Kern aufgebaut ist. Nun haben Forscher mit Hilfe seismischer Messungen erstmals die innere Struktur des Mars untersucht, auf dem es ebenfalls bebt und für den ein ähnlicher Schalenaufbau angenommen wird. Zentrale Ergebnisse: Der Kern des Roten Planeten ist größer, als man bisher vermutete, seine Kruste hingegen dünner als angenommen. Die internationalen Forscherteams unter Beteiligung deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ihre Ergebnisse in drei Arbeiten im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht.

„Modelle für den Aufbau des Mars gibt es seit bald hundert Jahren, aber hinsichtlich der Abmessungen von Kruste und Kern hat es seit Jahrzehnten kaum Fortschritte gegeben“, sagt Ko-Autor Martin Knapmeyer, Geophysiker am Institut für Planetenforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Nur die Seismologie kann diese Größen direkt messen. Vorher mussten sie aus anderen Beobachtungen geschätzt werden.“

"InSight"

Die Untersuchungen sind Teil der 2018 gestarteten Nasa-Mission „InSight“ (Interior Exploration using Seismic Investigations, Geodesy and Heat Transport). Ihr Ziel ist es, mehr über den Aufbau des Planeten und die Dynamik unter seiner Oberfläche in Erfahrung zu bringen – und damit auch mehr über seine Entstehung und Entwicklung. „Mars und Erde sind ähnliche Planeten mit einem ähnlichen Ursprung“, erläutert Domenico Giardini, der eine der beteiligten Forschergruppen an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich leitet. „Wir wollen verstehen, warum die beiden eine so unterschiedliche Entwicklung genommen haben. Der heutige Mars könnte die Zukunft der Erde sein.“

Im November 2018 setzte die „InSight“-Raumsonde nach einer fast siebenmonatigen Reise auf dem Planeten auf, in der Region Elysium Planitia nördlich des Äquators. Einige Wochen nach der Landung hob sie per Roboterarm ein Seismometer (SEIS; Seismic Experiment for Interior Structure) auf den Mars-Boden. Erste Analysen stellten Wissenschaftler vergangenes Jahr vor. Sie zeigten, dass der Mars seismisch aktiv ist – das war zuvor nicht sicher belegt. Der Planet bebt demnach sogar viel häufiger als vermutet, etwa einmal pro Tag. Keines der damals ausgewerteten Beben erreichte eine Magnitude von mehr als 4 – solche Erschütterungen sind auf der Erde ohne Messinstrumente kaum wahrnehmbar.

Kühlungsbeben

Mars-Beben entstehen nicht wie auf der Erde infolge der Plattentektonik, also der Bewegungen der insgesamt sieben Kontinentalplatten. Auf dem Mars gibt es nach heutigen Erkenntnissen nur eine einzige große Kontinentalplatte. Die Beben dort sind eine Folge von Abkühlung. „Durch die Abkühlungsprozesse entstehen Spannungen zwischen der Kruste und dem Mantel, die sich lösen und dann Beben erzeugen“, erläutert ETH-Forscher Amir Khan. Bis heute hat SEIS etwa 700 Beben auf dem Mars aufgezeichnet. In den aktuellen Arbeiten haben die Forschenden rund zehn Beben genauer untersucht, die unterhalb der Mars-Kruste ihren Ursprung haben. Die weitaus meisten Mars-Beben entstehen innerhalb der Kruste.

Die Analyse von Beben auf dem Mars ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung: Zum einen platzierte „InSight“ mit SEIS nur ein Seismometer auf dem Planeten, das an einem einzigen Ort Schwingungen registriert. Obwohl die empfindlichen Sensoren des Geräts die Ausbreitung der Schwingungen in drei Richtungen und bei verschiedenen Frequenzen messen, ist es deshalb schwierig, den Ursprungsort eines Bebens zu lokalisieren. Zudem wirken auch atmosphärische Druckveränderungen oder Stürme auf die Sensoren – sie erzeugen ein Rauschen, das zur Analyse der Bebensignale herausgerechnet werden muss. „Mittlerweile verstehen wir recht gut, was die Signale in den täglichen Bildern bedeuten“, sagt ETH-Forscher Simon Stähler. Man könne etwa Wind und Böen gut von Beben-Signalen unterscheiden.

Radius groß, Dichte gering

Die Wissenschaftler analysierten unter anderem die sogenannten P- und S-Wellen, die nach Mars-Beben – wie auch nach Beben auf Erden – durch den Planeten laufen. P-Wellen (Primärwellen) schwingen in Richtung der Ausbreitung, sie laufen schneller als die S-Wellen (Sekundärwellen), die quer zur Ausbreitungsrichtung schwingen. Die unterschiedlichen Ankunftszeiten am Seismometer helfen dabei, den Ort des Bebens zu lokalisieren. Da die Wellen an Schichtgrenzen, etwa der Grenze zwischen Mantel und Kern, gebeugt oder reflektiert werden, geben sie auch Auskunft über die innere Struktur des Planeten.

Das Team um Stähler konzentrierte sich auf den Mars-Kern. Sie nutzten dabei unter anderem die Tatsache, dass S-Wellen an einem flüssigen Kern reflektiert und zurück durch den Mars-Mantel geschickt werden: Sie liefern besonders starke Echos. Die Messungen ergaben, dass der Mars-Kern einen Durchmesser von knapp 3700 Kilometern besitzt und damit überraschend groß ist.

„Ist der Kernradius groß, muss die Dichte des Kerns relativ niedrig sein“, erläutert Stähler. „Der Kern muss also – neben Eisen und Nickel – auch einen großen Anteil leichterer Elemente enthalten.“ Infrage kommen Schwefel, Sauerstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff. Zumindest an seinem äußeren Rand sei der Kern flüssig, ein Magnetfeld habe der Planet dennoch heute nicht mehr, so die Forscher.

Dünne Kruste

Zur Untersuchung der Mantelstruktur analysierte das Team um Khan P- und S-Wellen, die direkt vom Ursprung des Bebens zum Seismometer liefen oder von der Oberfläche des Planeten reflektiert wurden. Daraus gewannen sie Erkenntnisse über den Mars-Mantel in bis zu 800 Kilometer Tiefe. Seine Lithosphäre – eine starre Gesteinsschicht – besitzt eine Dicke von etwa 500 Kilometern und ist dicker als die der Erde mit etwa 250 Kilometern. „Die dicke Lithosphäre passt gut zum Modell vom Mars als ,One-Plate-Planet’“, sagt Khan.

Auf die äußerste Schicht des Roten Planeten, die Kruste, konzentrierte sich ein Team um Brigitte Knapmeyer-Endrun (Uni Köln). Bisherige Schätzungen zu ihrer Dicke reichten von 9 bis 90 Kilometer. Die Messungen liefern nun konkretere Zahlen. Zunächst vermaßen die Forscher die Dicke der Kruste direkt unter der „InSight“-Landestelle. Sie grenzten die Dicke dort auf entweder 20 oder aber 39 Kilometer ein, dünner als viele vorherige Messungen erwarten ließen.

Unter Berücksichtigung der Topographie des Planeten und mithilfe von globalen Karten des Schwerefeldes ermittelte das Team eine durchschnittliche Dicke der Mars-Kruste auf dem gesamten Planeten. Sie beträgt demnach zwischen 24 und 72 Kilometern. Die Dicke der Kruste sagt auch etwas aus über ihre chemische Zusammensetzung: Ist sie dünn, dann muss sie einen hohen Anteil an radioaktiven Elementen enthalten. Das geht aus Modellen hervor, die die Entstehungsgeschichte und die Evolution des Planeten abbilden, wie die Schweizer Forscher erläutern.

Schwindene Leitung

Das Beispiel zeigt, dass mit den neuen Informationen zum Aufbau des Planeten die eigentliche Herausforderung noch vor den Wissenschaftlern liegt: Die Angaben mit den bisherigen Vorstellungen von der Entstehungsgeschichte des Mars in Einklang zu bringen - oder neue Ideen zu entwickeln. Wie etwa gelangten die leichten Elemente in den Kern, die aufgrund der jetzt ermittelten Größe dort vorhanden sein müssen? Hat sich der Planet zur gleichen Zeit und aus demselben Material gebildet wie die Erde? Noch warten diese und zahlreiche weitere Fragen auf Antworten. „Doch wir sind mit der Auswertung aller Daten noch lange nicht zu Ende. Der Mars gibt uns noch viele Rätsel auf“, sagt Giardini.

In etwa einem Jahr werden die Solarzellen der Raumsonde wohl nicht mehr genügend Strom liefern, um die Messungen und Datenübertragung zu gewährleisten. Bis dahin wird das Seismometer aller Voraussicht nach noch Dutzende weitere Beben aufzeichnen – und damit weiteres Material für weitere Untersuchungen liefern. Anja Garms/dpa

Anja Garms[dpa]

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