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Lichterhelle Nächte. LED-Technik ist mittlerweile so erschwinglich geworden, dass Kräuter, Gurken und anderes Grünzeug direkt im Supermarkt in Spezial-Vitrinen heranwachsen kann. Nicht mal Erde braucht es, nur eine Nährlösung.

© Kynny/iStock/GettyImages

Indoor-Farming: Erleuchtung fürs Gemüse

LED-Technik erhellt nicht nur die Weihnacht. Längst züchten „Indoor-Farmer“ damit Tomaten und Kräuter.

So mancher Käufer bei Edeka, Rewe oder Metro in Berlin und so mancher Gast Berliner Restaurants wie von dem Zwei-Sterne-Koch Tim Raue wird sich in letzter Zeit gewundert haben: Da stehen an einer Wand im Verkaufsraum hohe Glasvitrinen, die auf den ersten Blick aussehen wie typische Supermarkt-Tiefkühlschränke. Doch darin liegt keine Fertigware, sondern es wachsen Kräuter und Salat in Wasserbehältern heran – offenbar völlig ohne Sonnenlicht und ohne Erde. Zweimal die Woche kommen zwei „Gärtner“ vorbei, öffnen das Hightech-Treibhaus, pflegen, ernten und übergeben die Ware direkt an die Verkaufstheke.

Die Vitrinen hat das 2013 gegründete Berliner Start-up Infarm aufgestellt. Es hat sich dem „Indoor-Farming“ verschrieben: Anstatt auf ländlichen Feldern ziehen die Mitarbeiter Gemüse mitten in der Stadt – in Lagerhallen oder direkt im Haus des Kunden, der die Gewächse dann verkauft oder verarbeitet. Die dafür nötigen Hightech-Treibhäuser hat Infarm entwickelt und vermietet sie – samt Pflege und Ernte – an Restaurants und Supermärkte. Auch Kantinen, Schulen oder Krankenhäuser wolle man für das Konzept gewinnen – „überall, wo frische, gesunde Lebensmittel gekauft oder verzehrt werden“, sagt Mitgründer Osnat Michaeli.

Nun sind Gemüse, Obst und Kräuter aus Treibhäusern nichts Neues. Das Neue am modernen Indoor-Farming, das auch als „vertical farming“ bezeichnet wird, ist, dass diese Treibhäuser nun auf mehreren Etagen und vollautomatisch mit umfangreicher Sensorik für richtige Belüftung, Temperatur und Nährstoffgehalt des Wassers sorgen. „Vor allem hat die künstliche Beleuchtung, die durch den Anbau auf mehreren Etagen unerlässlich geworden ist, in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht“, sagt Matthias Arlt vom Max-Planck-Institut für Pflanzenphysiologie in Potsdam. Mit neu entwickelten LED-Lampen lasse sich das Sonnenlicht nicht nur adäquat ersetzen, man könne das Licht sogar optimieren und individuell an den Bedarf verschiedener Pflanzen in verschiedenen Entwicklungsstadien anpassen. Wachstum und sogar Geschmack lassen sich gezielt steuern. Demnach ist künstliches Licht inzwischen sogar die bessere Energiequelle für den Anbau von Pflanzen.

Auch zuvor hatte Indoor-Farming gegenüber herkömmlicher Landwirtschaft diverse Vorteile: In den abgeschlossenen Räumen gibt es kaum Probleme mit Schädlingsbefall, dadurch müssen keine Pestizide eingesetzt werden. Weil die Bedingungen genau kontrollierbar sind, wachsen die Pflanzen in der Regel besser, auch im Winter sind Ernten möglich. Der Flächen- und Wasserverbrauch ist um ein Vielfaches geringer. Es kann regional – auch in der Stadt – produziert werden. Lange Transporte aus fernen Ländern, um außerhalb der Saison frisches Gemüse zu haben, werden unnötig. Das spart eine Menge klimaschädliche Emissionen ein.

Dem entgegen steht allerdings ein hoher Aufwand, vor allem an Energiekosten. Gewächshäuser mit Beleuchtungs- und Bewässerungssystemen brauchen viel Strom – und wenn dieser nicht aus erneuerbaren, sondern fossilen Energiequellen wie Kohle oder Erdöl kommt, wird doch wieder das Klima belastet. Außerdem lässt manches Treibhausgemüse geschmacklich zu wünschen übrig. Tomaten aus herkömmlichen holländischen oder spanischen Gewächshäusern sind zwar oft billig, aber auch allzu wässrig.

In den vergangenen Jahren hat die Forschung Fortschritte gemacht, diese Nachteile zu beheben. „Bislang wurden zur Beleuchtung meist Fluoreszenz-Leuchtstoffröhren oder Bleidampflampen verwendet, die das volle Lichtspektrum abbilden“, sagt Matthias Arlt. Dadurch bekommen die Pflanzen zwar die nötige Energie, die Lampen verschlingen aber auch Unmengen an Strom. Genau dort hilft moderne LED-Lichttechnik. Und zwar nicht nur, weil sie generell energieeffizienter ist. „Neuerdings ist es auch möglich, mit LEDs nur bestimmte Bereiche des Lichtspektrums abzudecken“, sagt Arlt, „nämlich genau jene, die die jeweilige Pflanze tatsächlich braucht.“ Das sind in der Regel nur Teile des Spektrums im blauen, roten und infraroten Bereich. LEDs, die nur diese Farben abstrahlen, sparen zusätzlich Strom.

Zudem bieten sie die Möglichkeit, die Kombination aus Lichtfarben und die Strahlungsintensität zu variieren. Denn im Laufe ihres Lebens – als Keimling, beim Heranwachsen oder im Reifestadium – haben Pflanzen verschiedene Ansprüche. Wer diese genau kennt, kann regelrechte Lichtrezepte erstellen und beinahe beliebig steuern, wie die Pflanzen gedeihen sollen: „Dabei lässt sich nicht nur ihr Wachstum beeinflussen, sondern auch ihre Inhaltsstoffe und der Geschmack“, sagt Jasper den Besten, der solche Rezepte entwickelt. Sein Team von der niederländischen Universität s’Hertogenbosch hat herausgefunden, dass rotes Licht den Tag-Nacht-Rhythmus der Pflanzen bestimmt und das Tempo des Wachstums wesentlich bestimmt. Blaues Licht liefert Energie, um Wasser und Kohlendioxid mittels Chlorophyll zu Traubenzucker umzuwandeln. Zu viel davon lässt das Gemüse zwar wiederum kleiner wachsen, erhöht dafür aber den Gehalt an Vitaminen und anderen gesunden Inhaltsstoffen wie Polyphenolen. „Dem Basilikum gibt mehr Infrarotlicht eine scharfe Note. Genauso gut können Sie Rettich süßer machen“, ergänzt den Besten.

Wertvolle und geschmackssteigernde Inhaltsstoffe produzieren Pflanzen auch unter Stress – ausgelöst von UV-Licht, Wind oder Schädlingen. „Die Pflanzen bilden dann Abwehrstoffe oder wachsen kompakter, um dem zu begegnen“, sagt Matthias Arlt. „Häufig geht das aber zulasten des Ertrags.“ Die Justierung von Licht und anderen Wuchsbedingungen ist also eine komplexe Angelegenheit. Man muss abwägen, ob man lieber Ertrag oder Geschmack steigern möchte.

Dabei spielen auch die Nährstoffe, die die Pflanzen sonst aus dem Boden ziehen, eine Rolle. Indoor-Farming kann auf Blumenerde verzichten, ein einfaches Substrat aus Kokos- oder Hanffasern, getränkt in Nährlösung, reicht.

In den vergangenen Jahren haben Weiterentwicklungen zu deutlich besser schmeckenden Produkten aus dem Gewächshaus geführt, sagt Matthias Arlt. Ausgeschöpft sei das Potenzial aber längst noch nicht. Die Forschung stecke noch in den Kinderschuhen – vor allem in Deutschland. Führend auf dem Gebiet sind andere Länder. Im dicht besiedelten und an Ackerland armen Japan gibt es längst mehrere Hundert große Indoor-Farmen; ein Großteil von ihnen ist längst auf LED-Beleuchtung umgestiegen. Ihre Betreiber sind oft Hightech-Unternehmen wie Sharp, Panasonic oder Fujitsu.

In den Niederlanden wird ebenfalls enorm viel zum Thema geforscht. Selbst manche Landwirte haben ihre Produktion teilweise umgestellt. Der Salatbauer Mark Delissen in Beesel etwa produziert Millionen Salatköpfe für den englischen und deutschen Markt. Dabei nutzt er die Indoor-LED-Methode, zumindest für die Aufzucht der Setzlinge: In einer 800 Quadratmeter großen Halle gedeihen sie auf sieben Etagen. Mit LED-Beleuchtung sind sie binnen 30 Tagen so weit, in normale Gewächshäuser mit Tageslicht umgesetzt zu werden. „Im Winter war es immer ein Problem, genügend Setzlinge zu bekommen. Durch die kurzen Tage brauchten sie dreimal länger, bis wir sie umsetzen konnten.“ Größere Liefersicherheit, konstante Qualität und keine Ernteausfälle wiegen für Delissen die zusätzlichen Kosten auf. Werde die Lichttechnik noch günstiger, könne er auch im normalen Gewächshaus auf Vertikalanbau umstellen.

In den USA produziert die Firma 80 Acres Farms in Cincinnati bereits an die 100 Tonnen Kräuter und Gemüse pro Jahr in einer 1100 Quadratmeter großen ehemaligen Lagerhalle – eine Menge, für die man bei konventionellem Anbau etwa 324 000 Quadratmeter Land bräuchte. Der Spinat wachse in einem Viertel der Zeit, die man auf dem Feld brauche, sagt Firmenchef Mike Zelkind. Und die Produktion werde immer effizienter, vor allem dank der Weiterentwicklung der LEDs: „In den vergangenen drei Jahren haben sich die Kosten für Beleuchtung halbiert und die Energieeffizienz verdoppelt.“ Das Geschäft brummt: 80 Acres Farms plant im Vorort Hamilton bereits eine mehr als zehnmal so große, vollautomatische Farm.

Auch Infarm in Berlin wächst. Zu den drei Gründern um Osnat Michaeli sind inzwischen mehr als 150 Mitarbeiter hinzugekommen. Bis Mitte nächsten Jahres wollen sie an die tausend ihrer kleinen Indoor-Farmen europaweit vermieten.

Inzwischen kann sogar jeder selbst Indoor-Farmer werden: Bei Ikea gibt es etwa ein kleines Regalsystem mit speziellem LED-Lichtbalken für die Küche, um Kräuter und Salate zu Hause und auch im Winter zu züchten. Das System sei sicher nicht so optimiert wie in den teuren Hightech-Anlagen, „aber es funktioniert ganz gut“, sagt Matthias Arlt.

Herkömmliche Landwirtschaft kann Indoor-Farming aber nicht ersetzen. „Auch mit LED sind die Systeme so teuer, dass sie sich nur für hochwertige Gewächse lohnen“, sagt Arlt – Kräuter-, Gemüse- und Obstsorten, die hohe Preise pro Gewicht erzielen und dicht anzubauen sind. Für Massenware wie Kartoffeln, Getreide, Reis oder Mais seien so große Mengen und Flächen erforderlich, dass ein Umsatteln auf Indoor-Farming vorerst keinen Sinn ergibt.

Großes Potenzial für das Indoor-Farming schlummere aber im Anbau von Arzneipflanzen. Denn draußen auf dem Feld schwankt mit den Umweltbedingungen auch die Menge der wirksamen Inhaltsstoffe pro Pflanze. Die Arznei wirkt daher mal besser, mal schlechter. „Durch die präzise Steuerung der Wachstumsbedingungen im Indoor-Farming aber müsste sich auch die Konzentration der Wirkstoffe steuern lassen“, sagt Arlt. Pflanzliche Arzneien könnten so verlässlicher werden. Und hohe Energiekosten fallen bei Apothekerpreisen ohnehin kaum ins Gewicht.

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