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In einer Schulklasse melden sich Schülerinnen im Unterricht.

© Felix Kästle/dpa

Update

Ifo-Bildungsbarometer 2019: Das denken Deutsche über Bildungsungleichheit

4000 Befragte unterstützten Maßnahmen für Chancengleichheit, sehen Fleiß aber als wichtigsten Faktor. Bundesprogramm für Schulen in schwierigen Lagen geplant.

Soziale Gerechtigkeit fängt in der Schule an. Deutschland wird immer wieder dafür kritisiert, dass der Bildungserfolg von Kindern hier besonders stark von der sozialen Herkunft ihrer Eltern abhängig ist. Das belegte unter anderem eine Sonderauswertung der Pisa-Studie von 2018. Demnach hatten 15-Jährige aus sozial benachteiligten Familien Lernrückstände von bis zu dreieinhalb Jahren gegenüber Gleichaltrigen mit privilegierten Eltern - bei vergleichbaren kognitiven Voraussetzungen. Weitere Studien zeigten, dass Kinder aus besser gestellten Familien 2,5-mal so oft eine Gymnasialempfehlung erhalten, die Studierendenquote ist unter Akademikerkindern fast dreimal so hoch wie unter Nicht-Akademikerkindern.

Das Ifo-Institut (Zentrum für Bildungsökonomik) hat sein Bildungsbarometer deshalb in diesem Jahr dem Thema Bildungsungleichheit gewidmet. Mehr als 4000 erwachsene Personen in Deutschland wurden nach ihren Einstellungen zu Chancengerechtigkeit und Bildungspolitik befragt. Die repräsentative Umfrage ergibt ein widersprüchliches Bild: Die Befragten sind sich der Leistungsunterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher sozialer Herkünfte bewusst, scheinen die Ursachen hierfür aber hauptsächlich in mangelndem Fleiß zu sehen. Weiterhin sprechen sie sich eher gegen gezielte staatliche Ausgaben für benachteiligte Gruppen aus, sehen eine Reihe von bildungspolitischen Fördermaßnahmen aber dennoch positiv.

Die Mehrheit der Befragten bezweifelt, dass es große Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen sowie zwischen Schülerinnen und Schülern in Stadt und Land gibt. Anders sieht es bei den Kriterien „soziale Verhältnisse“ und „Migrationshintergrund“ aus, wo mehrheitlich Leistungsunterschiede vermutet werden. So denken 55 Prozent, dass Schülerinnen und Schüler aus besseren sozialen Verhältnissen bessere Leistungen erbringen, 57 Prozent glauben, dass Kinder ohne Migrationshintergrund besser abschneiden.

Große Mehrheiten für Stipendienprogramme

Trotz der richtigen Einschätzung der Leistungsunterschiede, die von Studien bestätigt werden, sehen 60 Prozent der Befragten lediglich die Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund als großes Problem. Dennoch sind 71 Prozent der Befragten dafür, mehr Geld für Kinder aus schlechter gestellten Familien zur Verfügung zu stellen.

Einer Reihe von Fördermaßnahmen stehen sie positiv gegenüber, darunter der Ausbau von Stipendienprogrammen für einkommensschwache Studierende (83 Prozent), die staatliche Übernahme von Kindergartengebühren (78 Prozent) und die Einführung einer Kindergartenpflicht (67 Prozent). 64 Prozent finden, dass Lehrkräfte an Schulen mit vielen benachteiligten Kindern mehr Geld verdienen sollten.

Bei den Themen Studiengebühren, gemeinsamer Unterricht von Kindern mit und ohne Lernschwäche und Einführung von Ganztagsschulen sind die Befragten gespalten. Das „Gute-Kita-Gesetz“ findet mit 83 Prozent große Zustimmung, wobei insbesondere geringere Gebühren (56 Prozent) sowie kleinere Gruppen und höhere Gehälter für Erzieherinnen und Erzieher gewünscht werden (52 Prozent).

Prinzip „Gießkanne“ statt gezielter Ausgaben

Trotz grundsätzlicher Zustimmung zu den Maßnahmen gegen Bildungsungleichheit sprach sich die Mehrheit der Befragten für das Prinzip „Gießkanne“ statt einer gezielten Förderung von benachteiligten Gruppen aus, 72 Prozent etwa beim Thema Grundschulen.

Philipp Lergetporer vom Ifo begründet diese Diskrepanz damit, dass bei der Frage nach den Ausgaben eine Option (Prinzip „Gießkanne“) gegen die andere gestellt wurde (gezielte Ausgaben für benachteiligte Gruppen). „Wenn es hart auf hart kommt, sind die Menschen eher für eine gleichmäßige Verteilung“, sagt der Forscher dem Tagesspiegel. „Das könnte den Kampf für Chancengleichheit erschweren.“

Für eine gleichmäßig verteilte Finanzierung spricht sich die Mehrheit auch im Hochschulbereich aus. 58 Prozent sind dagegen, dass der Bund einzelne Unis im Rahmen der Exzellenzstrategie fördert, nur 26 Prozent sind dafür.

Zählt eigene Anstrengung mehr als äußere Umstände?

Auch die Frage nach der persönlichen Verantwortung beantworten die Deutschen eindeutig: 85 Prozent nehmen an, dass hauptsächlich eigene Anstrengung über die Erlangung eines hohen Bildungsabschlusses bestimmt. Folgerichtig stimmten 92 Prozent zu, dass Anstrengung und Fleiß der Schülerinnen und Schüler beeinflusst, ob Kinder ein Gymnasium besuchen. 62 beziehungsweise 56 Prozent glauben, dass auch der Bildungsstand der Eltern und die finanziellen Mittel eine Rolle spielen.

„Hier zeigt sich ein meritokratisches Weltbild“, sagt Lergetporer. „Vor allem die Leistung zählt.“ Er betont aber, dass sich die Zahlen ändern, wenn die Frage explizit in Bezug auf Kinder gestellt wird. Dann sagen 74 Prozent, dass geringer Bildungserfolg vor allem auf Faktoren zurückzuführen sei, auf die Kinder keinen Einfluss haben.

Karliczek will Schulen in sozial schwierigen Lagen fördern

Diese Zahlen änderten sich ebenfalls leicht, wenn den Teilnehmern vorher Informationen zur Bildungsungleichheit in Deutschland zur Verfügung gestellt wurden. Eine zufällig ausgewählte Gruppe erhielt die Information, dass 49 Prozent der Kinder aus besser gestellten Familien ein Gymnasium besuchen, während es bei benachteiligten Familien nur 19 Prozent sind. Eine weitere Gruppe erhielt die zusätzliche Information, dass auch bei Schülerinnen und Schülern, die gleich gut in Mathe und Lesen sind, der Unterschied in der Gymnasialquote noch 16 Prozentpunkte beträgt, je nachdem, welchen sozioökonomischen Hintergrund sie haben. Teilnehmer mit diesen Informationen bewerteten eigene Anstrengung als weniger ausschlaggebend für einen hohen Bildungsabschluss (74 Prozent bzw. 79 Prozent).

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) erklärte zum Bildungsbarometer, das Schulsystem müsse "allen jungen Menschen gerecht werden" und sie "in ihren Fähigkeiten möglichst optional fördern". Diesem Ziel müsse die Schulpolitik "näher kommen", so Karliczek, "auch wenn es nicht leicht zu erreichen ist". Neben dem laufenden Bundesprogramm zur Förderung besonders leistungsstarker Schülerinnen und Schüler werde der Bund demnächst "eine neue Initiative starten, um Schulen in sozial schwierigen Lagen besser zu fördern".

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