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Drei Hurrikane ziehen derzeit durch den Golf von Mexiko und zerstören auf ihrem Weg über Land ganze Städte.

© REUTERS

Hurrikane und Erdbeben zugleich: Aufgestaute Energie

In Mittelamerika sind die Naturgewalten entfesselt. Zu Land und zu Wasser toben die Orkane, und tief in der Erde bebt es.

So eine Häufung von Hurrikanen gab es zuletzt vor sieben Jahren. In der Hurrikan-Saison 2010 hatten „Igor“, „Julia“ und „Karl“ binnen kürzester Zeit in der Karibik gewütet. Jetzt ziehen „Irma“, „José“ und „Katia“ vor den Küsten Nord- und Mittelamerikas ihre Kreise – auf den Spuren von „Harvey“, der kurz zuvor Texas heimgesucht hatte. Ein rekordverdächtiger Wirbelsturm-Stau im Golf von Mexiko. „Irma“ entwickelt sich Meteorologen zufolge zum stärksten je gemessenen Hurrikan. Haiti, Kuba und Florida müssen mit Windgeschwindigkeiten von 300 Stundenkilometern rechnen. Da kann der jüngste Hurrikan „Katia“, der am Samstag die mexikanische Küste zwischen Tuxpan und Veracruz erreichen soll, noch nicht mithalten. Dennoch sagen Meteorologen meterhohe Wellen, drastische Regenfälle, Orkanböen, Erdrutsche und Schlammlawinen für Mexiko voraus.

Von oben Stürme, von unten Erdbeben

Der Sturm wird ein gebeuteltes Land treffen. In der Nacht zu Freitag bebte 137 Kilometer südwestlich von Tonalá in Mexikos Bundesstaat Chiapas der Meeresboden mit einer Stärke von 8,2. Die Erschütterungen erreichten sogar die 700 Kilometer entfernte Hauptstadt Mexiko-Stadt. Zwar blieb die Zahl der Toten mit bislang 32 weit unter denen von 1985. Damals starben 9000 Menschen bei einem 8,0-Beben. Doch die Zahl kann sich angesichts zahlreicher Nachbeben noch erhöhen.

Erdbeben haben mit Hurrikanen, die diesmal zufällig in der gleichen Woche auftreten, nichts zu tun. Gemeinsam ist den beiden Phänomen aber, dass sich gigantische Energiemengen entladen.

Im Fall der Hurrikane ist es die Energie der Wärme, mit der das Sonnenlicht im Laufe des Sommers das Oberflächenwasser der Karibik aufheizt. Die feuchtwarme Luft steigt nach oben, kalte aus der Umgebung strömt nach und Winde und Erdrotation sorgen für das orkantypische Drehmoment. Je stärker sich das Weltklima erhitzt, umso wärmer werden die Ozeane und damit auch die Wahrscheinlichkeit für Hurrikane. „Die Wissenschaft hat genug Belege dafür, dass es mit dem Klimawandel zu tun hat, dass die Stürme stärker werden“, sagt Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Die Energie der Platte

Während die Zerstörungsenergie der Herbststürme also ursprünglich von der Sonne kommt, entstammt die Kraft der Erdbeben der Plattentektonik: Vor Mexiko drückt sich die pazifische Erdplatte unter die nordamerikanische und karibische. „Die Erdplatten bewegen sich mit mehreren Zentimetern pro Jahr aufeinander zu“, sagt Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam. „In der Kontaktzone sind die Platten verhakt, so dass sich die Energie Jahr für Jahr aufstaut.“ Sobald diese Energie größer ist als die Festigkeit des Untergrunds, entlädt sich die über Jahrzehnte oder Jahrhunderte aufgestaute Energie. „Innerhalb weniger Sekunden rutschen die Platten um mehrere Meter aneinander vorbei.“

Auch wenn Mexiko-Stadt hunderte Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt war, hätte es dort durchaus zu schweren Folgen kommen können. Denn die 8,8-Millionen-Stadt ist auf einem ausgetrockneten See gebaut. „Dieser lockere Untergrund führt dazu, dass sich die Bodenbewegungen verstärken“, sagt Bohnhoff. So sei auch das Epizentrum des Bebens 1985 hunderte Kilometer entfernt gewesen.

86 Sekunden Zeit bis zum Beben

Diesmal kam die Stadt glimpflich davon. Auch der befürchtete Tsunami blieb aus. Die Bewegung des Meeresbodens durch das Beben habe nur erhöhte Pegelstände von 60 bis 120 Zentimeter über Normal ausgelöst und an den Küsten keine nennenswerten Schäden hinterlassen, sagt Bohnhoff. Und noch einen positiven Aspekt habe das Beben: „Die Spannung im Boden ist nun abgebaut.“ Das gilt zumindest für die Fläche, die das Beben ausgelöst hat, die in den nächsten Jahrzehnten wohl kein Beben mehr auslösen wird. Allerdings sei in den angrenzenden Bereichen das Risiko nun erhöht. Dort, etwa in Guatemala und El Salvador, habe das Beben die Spannung erhöht. Die dort ohnehin zu erwartenden Beben könnten nun – statistisch – etwas früher eintreten.

Die Zeit bis zum nächsten Beben muss nun für Vorsorgemaßnahmen genutzt werden. „Erdbebensicher zu bauen, das ist die sicherste aber auch teuerste Variante“, sagt Bohnhoff. Allerdings hält man sich in vielen Regionen nicht an die entsprechenden Bauvorschriften. „Eine effizientere Methode ist ein Frühwarnsystem.“ Das gebe es auch in Mexiko-Stadt. Bevor die zerstörerischen Erdbebenwellen kommen, rasen harmlose, aber sehr schnelle „P-Wellen“ durch den Untergrund, die für das Auslösen des Alarms genutzt werden können. Da Mexiko-Stadt recht weit von den Erdbebenregionen entfernt ist, bleibt genug Zeit. „In diesem Fall waren es 86 Sekunden.“ Das sei viel Zeit, sagt der Forscher. „Ampeln können auf Rot geschaltet, Gasleitungen geschlossen und Menschen gewarnt werden, ihre Häuser zu verlassen.“ Schutz vor einem Tsunami böten höchstens Mauern. „Aber wer will schon eine ganze Küstenlinie mit einer zehn Meter hohen Mauer bestücken.“

Eines müssen die Menschen in der Region allerdings bedenken, wenn sie sich in Zukunft gegen Naturkatastrophen wappnen. Was vor der einen Unbill schützt, kann sich im Angesicht anderer Naturgewalten verheerend auswirken: „Um sich in Haiti vor großen Stürmen zu schützen, wurden die Decken mit Betonplatten verstärkt, damit die Dächer nicht abgetragen werden“, erzählt Bohnhoff. „Beim Beben 2010 wurde das vielen zum Verhängnis.“

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