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© Kitty Kleist-Heinrich

Humboldt-Uni: Bibliothek mit Barrieren

Das Grimm-Zentrum der Humboldt-Uni ist für Menschen mit Behinderung schwer zugänglich.

Das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum sollte die Vorzeigebibliothek der Humboldt-Universität werden. Doch auch fünf Monate nach Öffnung der neuen Zentralbibliothek weist das Gebäude erhebliche Mängel auf: Menschen mit Behinderung stoßen im Gebäude auf zahlreiche Barrieren. Obwohl es längst Konzepte und Normen für barrierefreies Bauen gibt, wurden im Grimm-Zentrum die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung an vielen Stellen missachtet. So gibt es zum Beispiel kein durchgehendes Blindenleitsystem, nur schlecht zugängliche Fahrstühle und zu wenig barrierefreie Arbeitsplätze.

„Das Gebäude ist für mich ein Schlag ins Gesicht“, sagt Studentin Kristina Voigt, die im Rollstuhl sitzt. „Ich will selbstbestimmt studieren und nicht bei alltäglichen Situationen auf die Hilfe Fremder angewiesen sein.“

Bereits im November 2009 hatte es eine Protestaktion gegeben: Mit Augenbinden und Rollstühlen bewegten sich Studierende durchs Grimm-Zentrum. Der Hochschulleitung legten sie eine sechsseitige Mängelliste vor. HU-Präsident Christoph Markschies ordnete Sofortmaßnahmen an, die innerhalb einer Woche die schlimmsten Mängel beheben sollten. Der Akademische Senat beschloss die Gründung einer Kommission, die ein Konzept für Barrierefreiheit an der HU ausarbeiten sollte. Zusätzlich sollten kurzfristig Mittel bereitgestellt werden, um das Gebäude nachzurüsten.

Aus den geplanten Sofortmaßnahmen sind nun langfristige Pläne geworden. Die Kommission kam bisher nicht zustande. Lediglich die elektrischen Türöffner wurden einsatzfähig gemacht und so versetzt, dass sie nun vom Rollstuhl aus einigermaßen erreichbar sind – jedoch fehlt immer noch der vorgeschriebene Abstand von 50 Zentimetern zur Tür. Alle anderen Mängel würden derzeit bearbeitet, heißt es aus dem Präsidium. Bis zum Wintersemester solle das gesamte Gebäudes barrierefrei umgestaltet sein. Bei einigen Mängeln, etwa den fehlenden Handläufen am Treppengeländer, handelt es sich um direkte Verstöße gegen die Bauordnung. Diese Ordnungswidrigkeiten muss die HU beheben, weil sonst eine Geldstrafe von bis zu 500 000 Euro droht.

Für die Koordination des Baus war an der HU die Technische Abteilung zuständig. Abteilungsleiter Ewald-Joachim Schwalgin gibt zu, dass bei Eröffnung des Grimm-Zentrums im Oktober 2009 die Situation „alles andere als optimal“ gewesen sei. Zurzeit bestehe tatsächlich „ein hohes Risiko, dass Personen infolge fehlender Handläufe verunglücken könnten“.

Als die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Bauzustimmung erteilte, waren keinem der Beteiligten Planungsmängel aufgefallen: „Der Senat und die HU sind davon ausgegangen, dass sie ein barrierefreies Gebäude gemäß der Berliner Bauordnung und den einschlägigen DIN-Normen errichten“, erklärt Schwalgin. Die Kritik, die etwa Jürgen Schneider, der Berliner Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, äußerte, habe die Verantwortlichen nicht erreicht: Die Technische Abteilung sei zu wichtigen Beratungstreffen nicht eingeladen worden, Änderungsvorschläge seien erst viel zu spät eingereicht worden.

Jürgen Schneider fordert nun eine sofortige Verbesserung im ganzen Gebäude. „Doch hierbei gilt Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“ HU-Präsident Markschies verspricht nachhaltige Lösungen: „Wir werden beim Umbau über die Mindeststandards hinausgehen.“

Die Kosten für Planungsfehler wird die HU selbst übernehmen, für Auslegungs- und Ausführungsfehler sind das Architekturbüro Max Dudler und die ausführenden Firmen zuständig. In der Ausschreibung für das Gebäude war festgelegt, dass das Gebäude „in allen Funktionen barrierefrei zu gestalten“ ist. Dabei solle so weit als möglich „eine integrative Form“ gewählt werden. Doch schon diese Formulierung sei veraltet, kritisiert Katrin Kienel von der studentischen Sozialberatung. Das Konzept der Integration von Menschen mit Behinderung sei vor Jahren durch das Konzept der Inklusion abgelöst worden.

Tatsächlich ist das Inklusionsprinzip in Deutschland seit März 2007 der gültige Standard: Gemäß einer UN-Konvention von 2006 wird beim alten integrativen Ansatz davon ausgegangen, dass man eine behinderte Minderheit in eine nichtbehinderte Mehrheit eingliedern müsse. Dagegen umschließt das Konzept der Inklusion von vornherein alle Menschen als gesellschaftlich zugehörig. Davon ist die HU-Bibliothek noch entfernt. „Hier werden Menschen mit Behinderung immer noch als zu duldende Sonderfälle betrachtet“, sagt Kienel.

Auch in anderen Unigebäuden steht es derzeit noch schlecht um die Barrierefreiheit. Viele Gebäude sind für Rollstuhlfahrer kaum zugänglich, können aber aus Denkmalschutzgründen nicht einfach umgebaut werden. Margarete Stokowski

Margarete Stokowski

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