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Hinter einem Grabhügel aus der Jungsteinzeit und einer Baumgruppe ist ein roter Ziegelbau zu sehen.

© Söl'ring Foriining

Hünengrab Denghoog auf Sylt: Rebellion gegen die "Bauwut" auf der Insel

Ein Heimatverein auf Sylt wehrt sich gegen einen Neubau neben einem Großsteingrab aus der Jungsteinzeit. Das archäologische Landesamt kann aber nicht helfen.

Für unzählige Sylt-Touristen und Schulklassen ist das 5000 Jahre alte Großsteingrab in Wenningstedt seit vielen Jahrzehnten ein Muss beim Inselbesuch. Für die Einheimischen gehört der gut drei Meter hohe Hügel zu ihrer regionalen Identität. Doch die soll jetzt untergraben werden: So stellt es jedenfalls der Sylter Heimatverein Söl'ring Foriining dar, dem das Hünengrab seit 1928 gehört und der Führungen in der begehbaren Grabkammer anbietet.

Der Verein protestiert gegen die Gefährdung des Denghoog genannten archäologischen Denkmals durch einen Neubau in unmittelbarer Nähe. Der Fall ist exemplarisch für die Konfliktlinien zwischen Heimatforschern, staatlichem Denkmalschutz und dem Ausbau touristischer Infrastrukturen.

Das Hügelgrab könne durch die geplanten Bauarbeiten beschädigt werden und drohe der Öffentlichkeit verloren zu gehen, erklärt Maren Jessen, die Vizevorsitzende des Heimatvereins. Tatsächlich sind umfangreiche Baumaßnahmen geplant: Ein kleinerer Altbau in Sichtweite des Grabhügels soll abgerissen und durch ein etwas größeres neues Reetdachhaus mit Ferienwohnungen ersetzt werden. Anstoß nimmt der Verein vor allem an der weit über das Gebäude hinausragenden, gut 500 Quadratmeter großen Kelleranlage.

Angst, ein tonnenschwerer Deckstein könnte sich lockern

Durch die Abriss- und Ausschachtungsarbeiten und die entsprechenden Anfahrten von Baufahrzeugen und Lastwagen seien Erschütterungen und Absenkungen des Bodens zu befürchten, warnt der Verein. Hinzu komme eine Ringdrainage zur Trockenhaltung des Kellers, die zu einer Grundwasserabsenkung führen werde.

All das gefährde die Statik des Megalithgrabes, fürchtet Jessen. Die ovale Grabkammer besteht aus zwölf großen Findlingen und ist mit drei Decksteinen überdacht. Wenn sich der tonnenschwere mittlere Deckstein durch die Erschütterungen oder die veränderte Bodenstruktur verschiebe, müsse der Verein die Grabkammer für Besucher schließen, ein einmaliges archäologisches Denkmal sei in seinem Bestand bedroht.

Modell des Wennigstedter Megalithgrabes.
Modell des Wennigstedter Megalithgrabes.

© Sölring Foriining

Das archäologische Landesamt Schleswig-Holstein würdigt den Rang des Denghoog als „großes und besonders gut erhaltenes Großsteingrab aus der Jungsteinzeit“. Es sei eines der wenigen Megalithgräber, das noch von einem Erdhügel überdeckt ist, schreiben Ulf Ickerodt, der Leiter des Landesamts, und Abteilungsleiterin Stefanie Klooß in einem noch unveröffentlichten Aufsatz über den Denghoog, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Botschaft aus der Steinzeit: "Das ist das Land unserer Väter"

Nach den Grabbeigaben, die der Hamburger Geologe Ferdinand Wibel 1868 bei einer ersten Untersuchung entdeckte, gehört die Anlage zur Trichterbecherkultur und wurde damit zwischen 3800 und 3000 v.Chr. errichtet. Die bäuerlichen Dorfgemeinschaften der Jungsteinzeit wollten mit ihren monumentalen Totenbegräbnissen „Besitz- und Nutzungsansprüche“ ausdrücken: „Das ist das Land unserer Väter.“ Weil der Grabhügel mit einem Gang ausgestattet ist, konnten dort wiederholt Familien- oder Sippenangehörige bestattet werden. Der traditionelle Name Denghoog – nordfriesisch für Thinghügel – lasse auf eine spätere Nutzung als Versammlungsort schließen.

Zeichnungen von Urnen und anderen Grabbeigaben aus einem jungsteinzeitlichen Megalithgrab.
Die Grabbeigaben, die der Hamburger Geologe Ferdinand Wibel 1868 im Denghoog entdeckte, gehört die Grabanlage zur Trichterbecherkultur.

© ALSH; F. Wibel, Der Gangbau des Denghoogs bei Wenningstedt auf Sylt. 29. Bericht der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Gesellschaft für die Sammlung und Erhaltung vaterländischer Alterthümer (Kiel 1869).

Doch trotz der bis heute großen Bedeutung für die Identität der Inselbevölkerung sind die Archäologen nicht gegen das benachbarte Bauprojekt eingeschritten. Dazu habe man schlicht keine Handhabe, sagt Stefanie Klooß, die auch als Gebietsdezernentin zuständig ist. „Würde die Bebauung dichter an den Grabhügel heranrücken, müssten wir einschreiten.“ Es werde aber nur ein bestehendes Haus durch ein neues, unwesentlich größeres ersetzt. Der Keller dehne sich nicht zum Grab hin aus, sondern in die entgegengesetzte Richtung.

Das Landesamt schreitet nicht ein, misst aber Erschütterungen

Nachdem der Bauherr das erforderliche bauingenieurtechnische Gutachten vorgelegt hat, gab das archäologische Landesamt also grünes Licht – wenn auch mit Auflagen. So dürfen die Erschütterungen die DIN-Norm für historische Gebäude nicht überschreiten, sagt Klooß. Gemessen werde das mit zwei Messgeräten in der Grabkammer, die einen Alarm auslösen können.

„Wenn die Grenze überschritten wird, muss das Vorhaben gestoppt werden.“ Die Grabkammer werde vor Beginn der Bauarbeiten und nach deren Abschluss zusätzlich mit Laserscan vermessen, um eventuelle Verschiebungen der Steine festzustellen. Zudem dürfen die Baufahrzeuge nicht auf einem Weg fahren, der über den Fuß der Grabanlage führt, sondern auf einer alternativen Route in zwölf bis 15 Metern Abstand.

Söl'ring Foriining hält diese Schutzmaßnahmen für nicht ausreichend und hat gegen die vom Kreis Nordfriesland erteilte Baugenehmigung über einen Kieler Anwalt Widerspruch eingelegt. Das vom Bauherrn vorgelegte Gutachten sei zu allgemein gehalten, es beziehe sich nicht auf die Statik des Megalithgrabes, sondern arbeite mit Formeln für die Gebäudesicherheit, kritisiert Jessen.

"Gräber aus der Steinzeit sind sehr stabil"

Für die Statik von Megalithgräbern gebe es keine Spezialisten, hält Klooß dem entgegen. Wohl aber Erfahrungswerte: „Gräber aus der Steinzeit sind sehr stabil“ – wenn sie nicht absichtlich zerstört wurden. Das sei im 19. Jahrhundert massenhaft geschehen, um aus den großen Findlingen Baumaterial zu gewinnen, wie Klooß und Ickerodt in ihrem Aufsatz darlegen. Darin nennen sie das Engagement des Sylter Heimatvereins vorbildlich, werfen ihm aber auch „Aktionismus und populistische Vereinfachungen vor“. So werde es nachweislich keine Grundwasserabsenkung geben, der Verein halte aber an diesem Vorwurf fest, sagt Klooß.

„Wir propagieren kein Feindbild gegen Investoren, sondern wehren uns gegen einen Großkeller neben einem Megalithgrab“, erklärt dagegen Maren Jessen. Sie vermiete selber Ferienwohnungen. „Aber hier ist für uns eine Schmerzgrenze erreicht.“ Der "allgemeinen Bauwut" auf der Insel solle „Sylter Kulturgut zum Opfer fallen“, heißt es in einer Online-Petition, die knapp 6000 Menschen unterzeichnet haben. Auf Sylt stehe mittlerweile „Baurecht vor Denkmalschutz“.

So wurde der Denghoog virtuell wieder zur Versammlungsstätte, aber durchaus auch real: Ostern 2019 trafen sich dort Einheimische und Gäste zu einer Demonstration unter dem Motto „Umdenken“. Und im Juli kam Grünen-Chef Robert Habeck zum „Thing am Denghoog“ vorbei.

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