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Kiesewetter

© ddp

Holger Kiesewetter: Charité zeigt eigenen Prof an

Hausdurchsuchungen im Berliner Institut für Transfusionsmedizin: Im Visier der Fahnder "Bio-Viagra"-Erfinder Holger Kiesewetter. Er könnte gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen haben - nicht der einzige Vorwurf.

Die Polizisten kamen um zehn Uhr morgens zum Berliner Institut für Transfusionsmedizin. Vier Stunden später gingen sie wieder, Akten und Computer nahmen sie mit. Denn die Studie um ein angeblich rein pflanzliches Bio-Viagra, das im Frühjahr in Deutschland Schlagzeilen machte, beschäftigt jetzt auch die Polizei. Die Charité hat Holger Kiesewetter, den Leiter des Instituts, aus dem die umstrittene Studie über ein pflanzliches Potenzmittel kam, angezeigt. Nun prüft die Staatsanwaltschaft Berlin, ob gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen wurde.

Studien mit Arzneimitteln müssen angemeldet werden, bestimmte Sicherheitsbedingungen erfüllt, Patienten aufgeklärt und Versicherungen abgeschlossen werden. Ob das im Fall des Bio-Viagras geschehen ist, soll nun geprüft werden. „Es besteht der Verdacht, dass die Studie nicht genehmigt wurde“, sagt der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. Möglicherweise sei auch noch eine andere Studie durchgeführt worden, die nicht genehmigt wurde.

Noch schwerwiegender sind die anderen Vorwürfe: „Wir ermitteln auch wegen Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue", sagt der Sprecher. Der Verdacht: Kiesewetter habe für die Studie persönliche Zuwendungen erhalten, aber Personal und Ausstattung der Charité benutzt. Kiesewetter war am Montag für eine Stellungnahmen nicht zu erreichen.

Wie die Staatsanwaltschaft jetzt bestätigte, wurden bereits am vorvergangenen Mittwoch Büros und Wohnräume von Kiesewetter durchsucht. Insgesamt seien an acht Orten in Berlin und an fünf weiteren Orten im Bundesgebiet Räume durchsucht worden, sagte der Sprecher. Neben Kiesewetter werde auch gegen einen seiner Mitarbeiter und den Leiter einer Firma ermittelt.

Karl-Max Einhäupl, Vorstandsvorsitzender von Europas größtem Universitätsklinikum, sagte dem Tagesspiegel: „Die Charité duldet weder wissenschaftliches Fehlverhalten noch den Missbrauch ihres Namens. Da hier ein dringender Verdacht besteht, dass ein solches Ereignis vorliegt, wird die Charité alle ihr rechtlich möglichen Maßnahmen ergreifen, um den Sachverhalt aufzuklären und daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.“ Prinzipiell gelte aber die Unschuldsvermutung, sagt Einhäupl.

Auch Claudia Pechstein dürfte wenig erfreut sein über die neue Entwicklung. Die gegen eine Dopingsperre kämpfende Eisschnellläuferin hatte Kiesewetter als einen Kronzeugen in ihrer Verteidigung eingesetzt. In einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz hatte der Institutsleiter behauptet, mit Retikulozytenwerten könne man Doping gar nicht nachweisen. Dem hatten zahlreiche Wissenschaftler widersprochen. „Das stimmt einfach nicht“, sagt etwa der Dopingexperte Fritz Sörgel. „Als Transfusionsmediziner ist das auch überhaupt nicht sein Gebiet.“ Kiesewetter war für seinen Auftritt bezahlt worden.

Immer wieder war der Professor mit seltsamen PR-Mitteilungen und umstrittenen Studien aufgefallen. Als „Arbeitskreis Immunologie“ hatte er unter anderem eine Nasensalbe empfohlen, die einen Schutzfilm bilden und so Pollen abwehren sollte. In einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie hieß es dazu, es gebe keinerlei Wirksamkeitsnachweis für diese „Pollenschutzcreme“. Der propagierte Wirkmechanismus sei abenteuerlich, Spätschäden seien nicht auszuschließen. Immerhin bewies das Mittel aber, dass man auch Vaseline zu Geld machen kann, denn um nichts anderes soll es sich bei der Creme nach Angaben der Gesellschaft handeln.

Derselbe „Arbeitskreis“ empfahl auch, Schwarzkümmelöl einzunehmen, um so den Symptomen einer Pollenallergie vorzubeugen. Schwarzkümmelöl wird unter anderem von der saarländischen Firma Phyt-Immun vertrieben, deren Räume nun ebenfalls durchsucht wurden.

In der Zeitschrift „Internistische Praxis“ hieß es zu Schwarzkümmelöl bereits 2000, es handele sich um „eine nicht begründete bzw. wissenschaftlich nicht belegte Empfehlung, die vordergründig zunächst dem Hersteller bzw. Verkäufer von Schwarzkümmelöl nützt, nicht aber dem Ansehen der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität“. Dennoch verbreitete der „Arbeitskreis“ noch im März 2006 die gleiche Empfehlung.

Bereits 1999 musste sich die Charité mit einer Studie aus dem Institut für Transfusionsmedizin auseinandersetzten. Damals hatte Kiesewetter den „Höhepunkt in der bisherigen wissenschaftlichen Knoblauchforschung“ präsentiert: eine Studie, die zeigen sollte, dass Knoblauchpräparate gegen Gefäßverkalkung helfen.

Finanziert wurde die Studie von der Firma Lichtwer, deren „Kwai“-Knoblauchpillen Kiesewetter untersucht hatte. Viele Wissenschaftler kritisierten, die Untersuchung weise erhebliche Mängel auf. Die „Unterstellung vorsätzlicher Datenmanipulation“ wies die Charité nach einer Kontrolle als „abwegig“ zurück. Die Untersuchung zeigte allerdings Fehler in der statistischen Analyse auf, die korrigiert werden mussten. Demnach war ein positiver Effekt nur noch bei Frauen nachweisbar.

Dass an der Charité trotzdem nie etwas gegen Kiesewetter unternommen wurde, liegt laut Charité-Mitarbeitern daran, dass Kiesewetter seinen Anwalt aggressiv einsetzt und Kritikern mit Klagen droht. Nach dem Eklat um die Bio-Viagra-Studie will man an der Charité das Problem nun aber angehen: „Wir lassen uns nicht einschüchtern“, heißt es.

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