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Jörg Immendorff im Rollstuhl

© picture-alliance/ dpa

Hoffnungsschimmer: Antikörper und Malariamittel gegen ALS

Das Nervenleiden Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist unheilbar. Doch nun werden Ansätze für neue Behandlungen getestet.

Meist beginnt die Schwäche in einem Arm, befällt dann auch das Bein derselben Seite, um sich später auf die andere Körperseite auszudehnen. In selteneren Fällen machen Schluckstörungen und Schwierigkeiten beim Sprechen den Anfang. Am Ende sind Menschen, die an einer Amyotrophen Lateralsklerose, ALS, erkranken, fast vollständig gelähmt. Sie können nicht mehr sprechen, nicht schlucken und nicht mehr ohne Unterstützung atmen. Aus bislang ungeklärter Ursache gehen bei ihnen nach und nach Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark zugrunde, die den Muskeln das Signal zur Bewegung geben. Das Kürzel ALS steht für eine schreckliche, heute noch unheilbare Krankheit.

Er beackere ein „traditionell etwas hoffnungsloses Gebiet“, sagte Albert Ludolph, Neurologe an der Ulmer Uniklinik, bei einem Symposium der Paul-Martini-Stiftung und der Deutschen Akademie der Naturforscher, Leopoldina, in Berlin. Es ging um neue Ansätze für die Therapie neurologischer Erkrankungen – und einige Hoffnungsschimmer konnte Ludolph, an dessen Klinik zu Beginn dieses Jahres ein ALS-Forschungszentrum eingeweiht wurde, auf der Tagung auch vorstellen. Zu den Aufgaben des Zentrums gehört Grundlagenforschung und die Prüfung neuer Substanzen. Insgesamt 17 Standorte im Bundesgebiet haben sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, das klinische Studien zu ALS vorantreibt. „Wir tun etwas in Deutschland, und wir sind international in der Forschung an der Spitze“, sagte Ludolph.

Ein Angriffspunkt im Kampf gegen den Abbau der Motoneuronen, der für Bewegung zuständigen Nervenzellen im Gehirn und im Rückenmark, ist der Antikörper Ozanezumab. Er richtet sich gegen ein Eiweiß namens NOG-A. Bei der ALS fungiert das Protein deshalb als Übeltäter, weil es eine gesunde Gegenreaktion des Körpers behindert: das Aussprossen gesunder Nervenzellen aus der Nachbarschaft der erkrankten Nervenstränge, mit denen der Verlust sonst kompensiert werden könnte.

Warum NOGO-A bei der ALS alle Reparaturbemühungen des Körpers konterkariert, ist noch unklar. In der multinationalen Studie, die vor kurzem anlief, bekommen die Teilnehmer alle 14 Tage eine Infusion mit dem Antikörper, dessen Verträglichkeit zuvor in einem ALS-Studienzentrum in Paris getestet wurde. Neben Ulm nehmen aus Deutschland auch die Berliner Charité und die Unikliniken Bochum, Hannover, Jena und München teil.

Ein Malariamittel bremst Gene gezielt aus

Ein zweiter Ansatz liegt im gezielten Ausbremsen von Genen. So weiß man, dass das Genprodukt Superoxiddismutase 1(SOD1) Gift für die Motoneuronen ist. Und man weiß, dass das Malariamittel Pyrimethamin SOD1 hemmt. Auch zur Wirkung dieses Medikaments bei ALS läuft eine Studie. In Zukunft erhofft sich Ludolph therapeutische Fortschritte auch durch die Beeinflussung anderer Gene, etwa des Gens PGC-1 Alpha, das bei der Huntington-Krankheit eine wichtige Rolle spielt.

Die genetisch orientierte Forschung habe zwar einigen Erkenntnisgewinn gebracht, für keines der bekannten Gene sei aber klar, wie es genau zur Krankheitsentstehung beitrage, sagte Ludolph. Molekulare Marker-Moleküle könnten aber vielleicht bald eingesetzt werden, um der Ausbreitung des Nervenleidens auf die Schliche zu kommen und Behandlungsstrategien zu entwickeln.

Noch ist das Zukunftsmusik, einzig die Substanz Riluzol ist für ALS zugelassen. Sie greift in die Signalübertragung des Botenstoffes Glutamat ein und kann den Verlauf der Krankheit verlangsamen. „Die Bedeutung dieses Mittels wird unterschätzt“, urteilte Ludolph. Neben frühem Beginn der Behandlung sei es hilfreich, das Mittel nicht zu niedrig zu dosieren.

„Wir wissen inzwischen, dass erhöhte Cholesterin- und Triglyzeridspiegel, die sonst als schlecht gelten, für ALS-Patienten gut sind“, sagte Ludolph. Allerdings müsse man Studien abwarten, ehe man bei der ALS die „bösen“ Fette für einen guten Zweck einsetze. Unklar ist auch, wie man erklären kann, dass bei der ALS größeres Körpergewicht mit längerem Leben einhergeht. Offensichtlich gehöre zur Krankheit ein erhöhter Energieverbrauch, so Ludolph. Nicht bestätigen lasse sich dagegen, dass sportlich besonders ehrgeizige Menschen häufiger an ALS erkranken.

Mehr als 40 Prozent der ALS-Patienten haben schon über Suizid nachgedacht

Wenn die Schluckbeschwerden das normale Essen unmöglich machen, steht die Frage der PEG im Raum, einer direkt von außen in den Magen gelegten Sonde. Studien zeigen, dass sie, wie die verschieden Formen der Beatmung, zu einem längeren Leben beiträgt. Doch entspricht das, angesichts der unheilbaren Erkrankung mit ihrem unaufhaltsamen Verlauf dem Wunsch der Betroffenen? Gerade hat eine Gruppe von Forschern aus Deutschland und der Schweiz um den Medizinethiker Ralf Jürgen Jox von der Uni München eine Studie vorgelegt, für die 66 ALS-Patienten zu Suizid-Gedanken befragt wurden. 42 Prozent von ihnen gaben an, sie hätten bereits darüber nachgedacht. Mit ihren Ärzten haben sie nicht darüber gesprochen. „Der Wunsch, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden, ist ein großes Tabu in der Beziehung zwischen Arzt und Patient“, folgerte Jox. Die Wissenschaftler fanden ihn vorwiegend bei ALS-Patienten, die sich allein gelassen fühlten und unter Depressionen litten.

ALS-Spezialisten wie Ludolph kämpfen dafür, dass es nicht so weit kommt. Zusammen mit Niels Birbaumer von der Uni Tübingen befragte er vor einigen Jahren ebenfalls ALS-Patienten. Dort fanden sich keine Unterschiede in der Lebensqualität zwischen ALS-Patienten in verschiedenen Stadien und Gesunden.

Ein erstaunliches Ergebnis. Doch man müsse es im Auge behalten, wenn über künstliche Ernährung und verschiedene Formen der Beatmung nachgedacht werde, so die Autoren. Nicht zuletzt müsse man mit den Patienten und ihren Angehörigen besprechen, dass jede dieser Behandlungen jederzeit abgebrochen werden kann.

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