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Verbindungen. Im menschlichen Großhirn schwinden mit zunehmendem Alter die Nervenzellen und Verknüpfungen, vor allem im hinteren Bereich (rechts). Was bleibt, vernetzt sich allerdings stärker. Im Bild eine Aufnahme aus dem „1000Brains“-Projekt.

© S.Caspers, 1000Brains

Hirnforschung: Mehr Vernetzung im alternden Gehirn

Das Projekt „1000Brains“ steht vor dem Abschluss. Die leitende Forscherin verrät im Interview erste Resultate der Hirnscans.

Svenja Caspers ist Hirnforscherin. Sie hat gemeinsam mit Kollegen die Gehirne von rund 1300 Probanden im Alter zwischen 55 und 85 Jahren seit 2011 im 1000Brains-Projekt gescannt. Ziel war und ist herauszufinden, wie und warum das menschliche Gehirn altert. Bis zu eineinhalb Stunden lagen die Probanden dafür in einem Magnetresonanztomografen. Während sie Erinnerungs- oder Aufmerksamkeits-Spiele spielten oder einfach entspannten, wurden Struktur und Aktivität ihrer Gehirne im Detail vermessen. Zusätzlich absolvierten sie außerhalb des Scanners diverse neuropsychologische und motorische Tests. Mit den Daten wollen Caspers, die das Projekt gemeinsam mit ihrer Kollegin Katrin Amunts leitet, und ihre rund 15 Mitarbeiter am Forschungszentrum Jülich ergründen, wie sich Veränderungen der Hirnstruktur und -aktivität auf die mentalen Fähigkeiten älterer Menschen auswirken. Alle Probanden sind zudem Teilnehmer an der Heinz Nixdorf Recall Studie (HNR), die seit dem Jahr 2000 Zusammenhänge zwischen Lebensstil-, Sozial- und Umweltbedingungen und Risikofaktoren für Gefäßerkrankungen und Herzinfarkt untersucht. Die Forscher des 1000Brains-Projekts erhoffen sich Hinweise auf Auswirkungen von Genen und Umwelt auf die Hirnalterung. Im Frühjahr 2018 wurde die Datenerhebung abgeschlossen. Hier beantwortet Svenja Caspers Fragen zu ihren Erkenntnissen aus der Erforschung der ergrauenden Zellen:

Frau Professor Caspers, was passiert im alternden Gehirn?

Nervenzellen und ihre Verbindungen sterben. Dadurch nimmt die Hirnmasse ab. Das kann man im Magnetresonanztomografen auch sehen. Manche Funktionen leiden im Alter aber mehr als andere. Zum Beispiel bleiben Sprachfähigkeit und Allgemeinwissen bis ins hohe Alter sehr stabil. Aufmerksamkeit, Gedächtnis oder Orientierung bauen dagegen ab.

Weil bestimmte Regionen im Gehirn früher vom Altern betroffen sind?

Nicht ganz. Die höheren Funktionen des Gehirns entstehen nicht in einzelnen Arealen, sondern in verteilten Netzwerken. Diese erkennen wir im Scanner daran, dass die beteiligten Areale gleichzeitig aktiv werden. Wenn die Leistungsfähigkeit eines Netzwerks im Alter abnimmt, schaltet das Gehirn jedoch immer mehr Areale hinzu, die mit der Funktion vorher nichts zu tun hatten. So versucht es, den Verlust von Hirngewebe zu kompensieren. Leider beginnt dadurch die Aktivität der spezialisierten Netzwerke immer mehr zu überlappen. Die Netzwerke sind also weniger spezialisiert als vorher. So wird bei machen Aufgaben gleich das ganze Gehirn aktiviert. Das frisst Ressourcen und äußert sich darin, das ältere Menschen Aufgaben nicht mehr so zügig erledigen wie jüngere: die Einkaufsliste erstellen, entscheiden, wie man am schnellsten zum Supermarkt kommt, die Produkte dort finden, das alles kostet dann mehr Anstrengung.

Von den „1000Brains“-Daten haben Sie als Erstes die Hirnaktivität analysiert, die ihre Probanden hatten, während sie still im Scanner lagen. Warum?

Alle Netzwerke des Gehirns werden auch im Ruhezustand aktiv. Das Gehirn bereitet sich so stets auf eine mögliche nächste Handlung vor – wie ein Tennis-Spieler, der hüpfend auf den Aufschlag seines Gegners wartet. Liegt man mit geschlossenen Augen in einem Hirnscanner, dann leuchtet mal das Arbeitsgedächtnis-, mal das Aufmerksamkeits-Netzwerk auf. In einer der ersten Analysen haben wir uns die Aktivierung eines besonderen Ruhenetzwerks angeschaut, des Default Mode Netzwerks. Es ist nur dann aktiv, wenn alle aufgabenbezogenen Netzwerke – also etwa die für Aufmerksamkeit oder für das Arbeitsgedächtnis – schweigen. Wir vermuten daher, dass es für innere Prozesse zuständig ist, etwa bei der Selbstreflexion, der Verarbeitung von Erlebtem oder der Meditation. Im Ruhezustand ist das Default-Mode-Netzwerk also viel aktiver als die anderen. Wir haben beobachtet, dass das Netzwerk beim Altern seine Struktur verändert. Die hinteren Areale des Kortex verlieren mehr Hirnmasse als die weiter vorne. Das bestätigt eine Theorie, derzufolge die hinteren Hirnbereiche mit als Erstes altern. Eine Konsequenz davon scheint zu sein, dass das Netzwerk seine Aktivität nicht mehr so leicht einstellen kann. Für das Gehirn wird es dann schwieriger, auf Netzwerke für die aktive Lösung von Aufgaben umzuschalten.

Und was passiert in den aufgabenbezogenen Netzwerken?

Sie arbeiten umso stärker vernetzt, je älter die Probanden sind. Das bestätigt eine andere Theorie, derzufolge das Gehirn mit dem Alter nicht nur strukturell abbaut, sondern sich funktionell umorganisiert. Außerdem sehen wir, dass die aufgabenbezogenen Netzwerke bei Probanden, die in neuropsychologischen Tests schlechter abschneiden, auch im Ruhezustand stärker aktiv sind. Das ergibt Sinn: Sind die Netzwerke immer überaktiv, hat man kaum noch Kapazitäten für aktive Aufgaben. Dieser Effekt war übrigens unabhängig vom Alter.

Heißt das, Menschen gleichen Alters können verschieden gealterte Gehirne haben?

Zumindest sehen wir da eine starke Varianz. Wir haben Methoden des Maschinenlernens genutzt, um aus Hirnscans allein vorherzusagen, wie alt jemand ist. Die Genauigkeit der Vorhersage liegt bei plusminus drei bis fünf Jahren. Das zeigt, dass es womöglich Menschen gibt, deren Gehirn mit 55 schon so aussieht wie das eines 65-Jährigen.

Wie kommt es zu so gravierenden Unterschieden?

Das wissen wir noch nicht genau. Es hängt wahrscheinlich von einer Kombination aus Genen, Lebensstil und Umwelteinflüssen ab. Als Erstes haben wir uns die Auswirkungen der Versorgung mit den Vitaminen B1 und B6 angeschaut. Aus Studien an Gewebeproben verstorbener Alzheimerpatienten und älterer Menschen weiß man, dass Vitamin B1 im Alter nicht mehr richtig bei den Nervenzellen ankommt. Das könnte eine der Ursachen für die krankhaften Hirnveränderungen sein. Wir wollten wissen, ob man auch schon bei Menschen, die gar nicht erkrankt sind, die Auswirkungen einer unterschiedlichen Vitaminversorgung sieht. Beim Vitamin B1 konnten wir sehen, dass selbst hohe Werte im Blut nicht gegen die Schäden des Alterns schützen konnten. Wir deuten das so, dass wir hier den Effekt beobachten, der aus den Gewebestudien bekannt ist: Vitamin B1 kommt im Alter nicht mehr richtig in den Hirnzellen an. Im Gegensatz dazu war der Effekt bei Vitamin B6 wie erwartet: Mehr Vitamin wirkt sich positiv auf den Erhalt der Hirnsubstanz aus. Wichtig ist: keiner unserer Probanden hatte eine Unterversorgung mit B-Vitaminen. Diese Effekte finden alle im Rahmen einer gesunden Nährstoffversorgung statt.

Können Sie auch schon etwas zu den Auswirkungen der Gene auf die Alterung des Gehirns sagen?

Eine erste Studie dazu wird gerade von einem Fachjournal begutachtet. Ich kann also keine Details verraten. Was ich sagen kann, ist, dass wir uns angeschaut haben, ob jene genetischen Faktoren, die mit Alzheimer in Verbindung gebracht werden, bereits im normalen Alterungsprozess zu Veränderungen der Hirnsubstanz führen. Die gleiche Frage können wir nun auch zu Lebensstil und Umwelteinflüssen stellen. Alles dank der Daten, die wir in Zusammenarbeit mit der HNR-Studie über die vergangenen Jahre erheben konnten.

Svenja Caspers
Svenja Caspers

© FZ Jülich / S. Kreklau

Christian Honey

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