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Die Arktis bleibt mittlerweile in jedem Winter mehrere Grad wärmer als noch vor wenigen Jahrzehnten.

© imago/blickwinkel

Heißzeit am Nordpol: Arktisches Eisschild wird immer kleiner

Der Polartag des Jahres 2020 endet in diesen Tagen. Doch selbst die eisigen Polarnächte werden immer wärmer.

Der astronomisch-kalendarische Herbst und mit ihm das Winterhalbjahr der nördlichen Erdhalbkugel beginnt in diesem Jahr am heutigen 22. September um 15.30 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit MESZ. In diesem Moment scheint die Sonne genau senkrecht auf den Äquator der Erde – genauer: Sie steht senkrecht über einem Ort auf dem Äquator im offenen Zentralatlantik zwischen Afrika und Südamerika.

Am Nordpol geht in diesen Tagen langsam die Sonne unter und die Polarnacht bricht herein. Wegen der Erddrehung wird aber noch wochenlang das Dämmerlicht am Horizont um den Nordpol herumwandern und dabei allmählich dunkler werden. Erst im November wird die Sonne schließlich so tief unter den Horizont gesunken sein, dass die Polarnacht wirklich pechschwarz sein wird. Die polare Finsternis wird bis etwa Anfang Februar 2021 dauern, wenn am Horizont das erste Licht der polaren Morgendämmerung erscheinen und seine Runden entlang des Horizonts drehen wird. Am 18. März 2021 – wegen der Lichtbrechung in der Atmosphäre rund zwei Tage vor dem kalendarischen Frühlingsbeginn – werden schließlich die ersten Strahlen der langsam wieder über den Horizont steigenden Sonne den Nordpol erreichen: Der Polartag 2021 beginnt.

Eisfläche im Arktischen Ozean rapide geschrumpft

Seit Millionen von Jahren wird dieser gleichmäßige Wechsel zwischen Polartag und Polarnacht begleitet vom Schrumpfen und Wachsen des arktischen Eisschildes. Doch die Arktis des 21. Jahrhunderts ist nicht mehr die Arktis früherer Zeiten. Der Treibhauseffekt, verursacht von immer mehr Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre, entfaltet auch rund um den Nordpol seine Wirkung. Dies zeigt sich wieder einmal ganz deutlich am Ende des diesjährigen Polartages: Die Eisfläche auf dem Arktischen Ozean ist, nach Angaben vom Alfred-Wegener-Instituts für den 9. September, auf derzeit nur noch 1,65 Millionen Quadratkilometer zusammengeschmolzen. Im Zeitraum 1989 bis 2010 bedeckten die Eismassen des arktischen Eisschilds am Ende des Sommers durchschnittlich noch eine Fläche von etwa vier Millionen Quadratkilometer, also mehr als doppelt so viel. Das dahinschmelzende Eis zeigt es deutlich an: Auch in der Arktis werden die Sommer wärmer. Und nicht nur die Sommer.

Der zunehmende Eisverlust während der arktischen Sommermonate hat dazu geführt, dass sich die nördlichen Polarregionen der Erde stärker und schneller erwärmen als der Rest des Globus. Die Ursachenkette dieser sogenannten polaren Verstärkung des Klimawandels beginnt im arktischen Sommer: Die großen eisfreien dunklen Wasserflächen der Arktischen See verschlucken viel Licht der monatelang vom Himmel strahlenden Sonne und speichern dessen Energie als Wärme. Auch nach dem Einbruch der Polarnacht bleiben diese Wasserflächen noch mehr oder weniger lange eisfrei. In dieser Zeit geben sie nach und nach ihre gespeicherte Wärme als Infrarotstrahlung an die über ihnen liegenden Luftschichten ab.

Arktis erwärmt sich stärker als andere Regionen 

Deshalb bleibt die Arktis mittlerweile in jedem Winter durchschnittlich bereits mehrere Grad wärmer als noch vor wenigen Jahrzehnten – ein Temperaturanstieg, der wesentlich höher liegt als im Durchschnitt des restlichen Globus. Ausgerechnet während der kalten Polarnächte in den Regionen des ehemals ewigen Eises rund um den Nordpol zeigt sich die von unserer Zivilisation verursachte Erwärmung des Erdklimas also besonders deutlich. Die direkte Folge der zunehmend wärmeren Polarnächte: Die erneute Eisbildung auf den offenen Wasserflächen beginnt später und verläuft langsamer. Durch alle kurzfristigen Wettervariationen hindurch wird also die am Ende der Polarnächte jeweils wieder erreichte Eisfläche durchschnittlich immer kleiner und dünner und schmilzt in den darauffolgenden Polartagen noch weiter zusammen. Die Sonne dagegen bestrahlt demzufolge immer größere offene Wasserflächen und wärmt sie auf – ein Prozess, der sich unaufhaltsam selber verstärkt und beschleunigt, wenn erst einmal eine bestimmte Schwelle überschritten ist.

In einer aktuellen Studie beschreiben Laura Landrum und Marika Holland vom National Center for Atmospheric Research in Boulder/USA, wie sehr sich die Wetterbedingungen in der Arktis während der vergangenen Jahrzehnte bereits verändert haben und weiter verändern werden. „In puncto Eis, Temperatur und Niederschlag dürfte die Arktis extreme Zustände erleben, die weit außerhalb dessen liegen, was wir bis jetzt kennen“, beschreibt Laura Landrum in einer Mitteilung ihres Forschungsinstituts die Aussichten. Und fügt hinzu: „Wir müssen unsere Definition dessen, was arktisches Klima ist, ändern.“

Vom Forschungsschiff "Polarstern" aus wurden in diesem Jahr Klimabedingungen in der Arktis untersucht. 
Vom Forschungsschiff "Polarstern" aus wurden in diesem Jahr Klimabedingungen in der Arktis untersucht. 

© Michael Gutsche

Die beiden Forscherinnen beginnen ihre Klimageschichte der Arktis in den 1950er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In dieser Zeit herrschte noch, wie sie schreiben, das „alte“ arktische, überwiegend vom Eis dominierte Klima. Da aber aus dieser weit zurückliegenden Zeit nur wenige konkrete Beobachtungsdaten vorliegen – es gab weder Forschungsschiffe in der Arktis noch Satellitenbeobachtungen –, mussten sie als Erstes mit aufwendigen Computersimulationen zurückrechnen, wie dieses „alte“ Klima überhaupt beschaffen war.

Ihre Simulationen beruhen auf fünf verschiedenen Klimamodellen des internationalen Forschungsprojekts „Coupled Model Intercomparison Project“, kurz CMIP5. Aus den mit CMIP5 erhaltenen Klimadaten errechneten die Forscherinnen dann die statistische Bandbreite, innerhalb derer Temperaturen, Niederschläge und Eisbedeckungen während der Jahre 1950 bis 1959 hin- und herschwankten. 

Und dann legten sie fest, wie weit außerhalb dieser Bandbreite jüngere Beobachtungsdaten über einen längeren Zeitraum hinweg liegen müssen, um nicht nur natürliche Wetterkapriolen widerzuspiegeln, sondern ein wirklich „neues“ arktisches Klima zu verkünden.

Für den Klima-Indikator „minimale Eisbedeckung“ forderten die Forscherinnen zum Beispiel: Ein „neues“ arktisches Klima ist erst erreicht, wenn die jeweils minimalen Eisflächen am Ende der arktischen Sommer so stark zusammengeschrumpft sind, dass sie in einem Zehn-Jahres-Durchschnitt kleiner geworden sind, als sie es noch in fast jedem einzelnen Jahr der Bezugsdekade 1950 bis 1959 waren. 

Trotz dieser harten Vorgabe kamen die beiden Forscherinnen nach der Auswertung der Daten zu einem bestürzenden Ergebnis: Nimmt man als Indikator des Klimawandels den Rückgang der arktischen Eisflächen am Ende des Sommers, hat die Arktis die Schwelle in ihr neues Klima schon vor etwa 20 Jahren überschritten.

Bezüglich des Indikators „Temperaturen“ ist der Klimawandel in den hohen nördlichen Breiten noch nicht ganz so weit fortgeschritten. Hier sagen die Computersimulationen voraus, dass der sich aktuell abspielende Übergang des alten in ein neues arktisches Klima wohl erst Mitte dieses Jahrhunderts vollständig vollzogen sein wird. Und erst in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts werden schließlich auch immer mehr Regentage anstelle von Tagen mit Schneefall dokumentieren, dass die alten kalten Klimazeiten im Arktischen Meer und in den umliegenden Ländern endgültig vorbei sind.

Ohne Klimaschutz 30 Grad mehr

In der Studie weisen die Wissenschaftler aber auch ausdrücklich darauf hin, dass ein Rückgang der weltweiten Emissionen von Kohlendioxid diese prognostizierten Ausmaße des Klimawandels in der Arktis verringern würde. Bis jetzt scheinen die Emissionen allerdings eher dem schlimmstmöglichen aller Szenarien zu folgen, dem sogenannten „Repräsentativen Konzentrationspfad 8.5“. Dieser von Fachmenschen kurz RCP8.5 genannte Emissionspfad beschreibt business as usual: Die Emissionen der Treibhausgase steigen wie bisher auch weiterhin nahezu ungebremst an.

In diesem Fall würden wir die Arktis spätestens in der 2. Jahrhunderthälfte wohl nicht wiedererkennen. Im Vergleich zum alten Arktisklima lägen laut den CMIP5-Simulationen die Temperaturen in den Polarnächten am Ende des Jahrhunderts um bis zu nahezu 30 Grad höher. Und vermutlich schon ab der Mitte dieses Jahrhunderts würde der Arktische Ozean zumindest in jedem Polarsommer weitgehend eisfrei werden. 

Auch das Menetekel einer eisfreien Arktis warnt uns, wohin die Klimareise der Erde nach dem jetzigen Stand der Emissionen gehen wird: in eine katastrophale Heißzeit. Viel Zeit, dies noch zu verhindern, bleibt nicht mehr.

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