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Harpyien können bei ihrer Jagd im Kronenbereich große Säugetiere erbeuten.

© Lailson Marques

Harpyien ohne Jagdrevier: Die Schwäche der vollendeten Adler

Werden die Wälder Südamerikas abgeholzt, hungert die Harpyie. Naturtourismus könnte den Vögeln das Überleben sichern.

„Die Harpyie ist der Habichtsadler in seiner Vollendung“, schrieb der Zoologe Alfred Brehm in seinem „Illustrierten Thierleben“ aus den 1860er Jahren. Mit einer Spannweite bis zu 230 Zentimetern und einem durchschnittlichen Gewicht der Weibchen  von 7,3 Kilogramm gehört diese auch „Affenadler“ genannte Art zu den größten Adlern.

Doch wenn sie nicht genug zu fressen finden, bereitet das auch Tieren der stärksten Art in der Natur Probleme. Genau das scheint zur Zeit der Harpyie zu passieren.

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Hungrige Einzelküken

Ein Team um Everton Miranda und Colleen Downs von der Universität von Kwa Zulu-Natal im südafrikanischen Pietermaritzburg, sowie Carlos Peres von der britischen University of East Anglia hat 16 Harpyien-Nester im Norden des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso beobachtetet. Wie die Forschenden in der Zeitschrift Nature Scientific Reports berichten, finden die mächtigen Greifvögel erheblich weniger Beute und können keinen Nachwuchs großziehen, wenn der Amazonas-Regenwald abgeholzt wird.

Da im Gebiet in den vergangenen 35 Jahren fast 30 Prozent der Waldfläche abgeholzt wurden, vermutet Miranda, dass dort in dieser Zeit der Lebensraum von mehr als 3000 Affenadler-Brutpaaren verschwunden ist.

Harpyien sind Waldbewohner, die auf den gerodeten und in Rinderweiden und Sojafelder verwandelten Flächen kaum noch Beute machen können. Die großen Vögel brauchen täglich im Durchschnitt 800 Gramm Beute. Um ihre Nester zu bauen suchen Harpyien sich häufig Paranuss-Bäume, die mindestens 40 Meter hoch sind. Der Stamm sollte sich in drei starke Äste teilen, um sicheren Untergrund für das große Nest zu bieten. Affenadler nutzen Nester oft jahrzehntelang, wenn die Bäume nicht gefällt werden.

Die Tiere wenden viel Zeit und Energie auf, um ihren Nachwuchs aufzuziehen: Nur alle zweieinhalb bis drei Jahre legt das Weibchen zwei Eier, von denen das Paar aber nur eines der schlüpfenden Küken großzieht.

Eine Harpyie zerlegt in ihrem Nest im südlichen Amazonasgebiet einen erbeuteten Kapuzineraffen.
Eine Harpyie zerlegt in ihrem Nest im südlichen Amazonasgebiet einen erbeuteten Kapuzineraffen.

© Everton Miranda

Um mehr über ihre Nahrung zu erfahren, hat Miranda 16 Nester mit automatischen Kameras beobachtet. 253-mal zeichneten die Geräte Beutetiere auf, die identifiziert werden konnten. Weitere 53 Beutetiere bestimmte der Biologe anhand ihrer Knochen und Überreste.

Etwa 24 Prozent der Beute waren Zweizehen-Faultiere, 18 Prozent machten die knapp drei Kilogramm schweren Haubenkapuziner-Affen aus und weitere 7,5 Prozent stellten die rund acht Kilogramm wiegenden Grauen Wollaffen. Harpyien erbeuten im Geäst des Regenwaldes auch Grüne Leguane. Die Hasen-großen Spießhirsche, Nabelschweine oder ähnliche Beute am Waldboden wird seltener gemacht. Während Jaguare auf gerodeten Flächen bisweilen auf Beute wie Rinderkälber ausweichen, tun Harpyien das nicht. Miranda fand in den Nestern keine Überreste von Nutztieren.

Wenn die Harpyien aber nur noch alle zwei Wochen Beute ins Nest schleppen, reicht das einfach nicht. Im ungestörten Regenwald füttern Elterntiere ihre Küken alle zwei oder drei Tage, rund 690 Gramm pro Tag. In Gegenden, in denen mindestens die Hälfte des Waldes gerodet war, waren es dagegen nur noch 110 Gramm am Tag.

In Gebieten, in denen bereits 50 bis 70 Prozent des Waldes zerstört war, verhungerten in drei Nestern die Jungadler. Fehlt mehr als 70 Prozent des Waldes, verschwinden auch die erwachsenen Adler. Harpyien überleben nur, wenn mindestens die Hälfte des einstigen Waldes noch steht, schließt Miranda.

Traditionsbewusste Jäger

Nur einmal konnte der Forscher beobachten, dass die Eltern auf Gelbbrust-Aras und Hokkohühner als Beute auswich. Die Eltern brachten mit dieser viel kleineren Beute ihr männliches Küken durch. Der Nachwuchs lernte von seinen Eltern und spezialisierte sich ebenfalls auf Vögel.

Die meisten Waldteile, in denen die Harpyien gut Beute finden, gehören Ureinwohnern. Dort werden die Adler aber auch wegen ihrer Schwanz- und Flügelfedern gejagt. Bisweilen werden Jungadler auch als Haustiere gehalten oder verkauft.

Miranda fordert, die Einheimischen in die Naturschutzarbeit einzubeziehen und die Jagd einzustellen. Naturtourismus könnte zu einer Einnahmequelle werden. Erste Projekte laufen bereits. Dort verdienen die Einheimischen mit dem Bau von Beobachtungstürmen, dem Freihalten von Wegen und dem Versorgen der Touristen und ihrer Führer ein wenig Geld. Die traditionsbewussten Affenadler haben so eine Überlebenschance.

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