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Ein Paar sitzt auf roten Campingstühlen mit Blick aufs Meer vor einem Wohnmobil.

© Getty Images

Gute Vorsätze: Träumen Sie lieber realistisch!

Große Pläne und gute Vorsätze sind das eine. Sie umzusetzen, braucht Selbsterkenntnis und Selbstmanagement. Experten geben Tipps, wie das gelingt.

Alles fing mit dem Unmut an, der die Schmuckdesignerin überkam, wenn sie ihre Werkbank sah. Zwar lieben die Kunden von Doris Virchow (Name geändert) ihre schlichten modernen Ketten und modernen Ohrringe. Aber die Anfertigung ist für die Künstlerin nur noch Verdruss. Die immergleichen Handgriffe erinnern sie an Eintopf kochen.

Mit 52 Jahren will die Berliner Designerin etwas Anderes aus ihrem Beruf machen. Sie liebt das gemeinsame Gestalten mit anderen Menschen – Schmuckworkshops für Laien, denkt sie, das wäre es. Das würde sie reizen.

Ziele, die uns im Geiste locken, die wir uns herbeiwünschen, verleihen unserem Leben Farbe. Darauf hoffen wir; ihnen streben wir entgegen. Manchmal sind es scheinbar profane Sehnsüchte, etwa Gewicht zu verlieren oder eine Weltreise zu unternehmen, nicht selten materielle Wünsche beispielsweise ein Haus zu kaufen, mitunter aber auch elementare Visionen der Persönlichkeitsentwicklung. Der Klassiker ist die Selbstständigkeit, der Exot das Auswandern.

Doch egal welches Ziel man sich steckt – viele erreichen es nie. Und bald wird aus gutem Vorsatz Unmut, Enttäuschung, mitunter gar Selbstvorwurf – fälschlicherweise: „Es ist sehr menschlich, dass wir ständig Wünsche in die Zukunft projizieren, etliche davon aber nicht erreichen“, sagt der Organisationspsychologe Cornelius König von der Universität des Saarlandes. „Das ist kein Drama, solange wir insgesamt zufrieden sind.“ Wenn die Ziele sich aber permanent in Mauern verwandeln, gegen die man läuft, wenn das wiederholte Scheitern in die Jammerschleife führt, dann ist es höchste Zeit, sich eine kritische Frage zu stellen: Woran liegt es, dass das Selbstmanagement permanent misslingt?

Drei Voraussetzungen, ums ans Ziel zu kommen

Der Weg zu den meisten Zielen ist keine Kurzstrecke, sondern eher ein Halbmarathon. Fast immer gibt es während des Laufs kritische Phasen, die Selbstmanagementexperten besonders in den Blick nehmen:

1. Die mentale Vorbereitung, ehe wir in den Startblock treten. Wer sie überspringt, läuft leichtfertig in die falsche Richtung und erschrickt beim Zieleinlauf, dass sich kein innerer Jubel einstellt.

2. Das Überwinden der Durststrecke nach einem erfolgreichen Start. Oft geht dem Läufer die Puste aus, er knickt ein.

3. Das Lösen der inneren Bremse, um wirklich ans Ziel zu kommen. Nicht wenige schlagen auf der Laufbahn eigentümliche Haken, weil Ängste und mangelndes Zutrauen sie am geradlinigen Kurs und vollen Tempo hindern.

Für alle drei Phasen gibt es jedoch Rüstzeug – die Methodiken des Selbstmanagements, um ans Ziel zu kommen.

Beginnen wir mit dem Warming-up hinter dem Startblock. Das ist vor allem mentaler, nicht körperlicher Natur: „Viele Menschen setzen sich viel zu viele Ziele, die gar keine sind“, sagt der Neurowissenschaftler und Selbstmanagementexperte Joachim Bauer von der Universität Freiburg. Deshalb erreichen sie diese nie oder wenn sie endlich ankommen, fühlen sie sich unglücklich, weil sie nicht echt waren. Ziele dieser Art sind mehr fixe Idee als ernsthaftes Vorhaben, etwa der Büroangestellte, der sich mal eben mit einer Band auf Tour gehen sieht. Der Wunsch ist weder gereift, noch sind die denkbaren Wege dahin bedacht. Oft verhüllen solche Luftschlösser sogar echte tieferliegende Sehnsüchte nach persönlicher Veränderung, warnt Bauer: Der Angestellte sehnt sich beispielsweise nach einer anderen Lebensweise, vielleicht nach einer anderen Tätigkeit, die seiner Kreativität mehr Raum bietet. Aber als Musiker mit kleinem Gehalt ohne die Sicherheit einer festen Stelle wäre er in Wahrheit auch nicht zufrieden.

Raus aus dem Hamsterrad - und einfach ausprobieren

Deshalb: Wenn ein neues Ziel vor dem inneren Auge auftaucht, rät Bauer, erst einmal einen Schritt zurückzutreten. „Es braucht Zeiten der Muße, des Nachdenkens und Sinnierens ohne Zeitdruck. Nur so können wir herausfinden, ob wir ein Ziel wirklich mit unserem ganzen Selbst wollen. Ist ein Ziel in seinen Motiven erst einmal gut genug verankert, erreicht es sich fast wie von alleine.“

Ohne Zeit kein Ziel, warnt Bauer. „Wer hektisch im Rad des Alltags rennt, sollte weder private noch berufliche Entscheidungen fällen.“ Das Gehirn befinde sich dann im Reiz-Reaktionsmodus – perfekt, um Aufgaben flott zu erledigen, aber ungeeignet, um sich selbst wahrzunehmen, Handlungsmöglichkeiten zu ergründen und Lösungswege durchzuspielen. Diese mentalen Fähigkeiten braucht es aber, um ein Ziel auszuloten.

Niemand muss jedoch sinnierend im stillen Kämmerlein sitzen, ehe er zu einem neuen Ziel aufbricht. Phasen der Muße sind entscheidend, mitunter aber auch das Antesten. Wie der Läufer vor dem Sprint probeweise in den Startblock tritt und einige Starts hinlegt, empfiehlt die Selbstmanagementexpertin Cordula Nussbaum: „Es ist wichtig, es im Kleinen auszuprobieren.“

Die Schmuckdesignerin Doris Virchow hat genau das gemacht. Sie gab im Hof ihres Ateliers Workshops: Kinder und Erwachsene gossen alten Silber- und Goldschmuck in neue Formen. „Das war sehr schön, wenn die Runde klein war und die Vorbereitung nicht zu aufwändig“, so ihre erste Erfahrung.

Wie wichtig das Ergründen der eigenen Motive vor dem Loslaufen ist, zeigen auch Experimente aus der Hirnforschung. Die Psychologin Shelley Taylor von der Universität von Kalifornien in Los Angeles etwa beschrieb 2015 im Fachjournal „PNAS“ ein Experiment mit 67 Erwachsenen, die sich zu wenig bewegten und in der Studie zu mehr körperlicher Aktivität angespornt wurden. Ein Teil der Probanden wurde vor Beginn aufgefordert, sich über ihre Kreativität, ihre Haltung zum Geld, ihre Gläubigkeit und andere Werte Gedanken zu machen und über den ihnen am wichtigsten Wert sogar eine Abhandlung zu schreiben. Die so auf die eigenen Bedürfnisse und Motivationen eingestimmten Teilnehmer bewegten sich in den folgenden vier Wochen viel mehr als die Übrigen.

Ein Haus in Südfrankreich? Lieber gleich das Wohnmobil

Nicht wenige rennen dagegen in blindem Aktionismus los und verwenden ihre Energie lieber darauf, sich das Ziel in den schillerndsten Farben auszumalen. „Sie träumen vom Haus in Südfrankreich mit Veranda. Dann suchen sie aufwändig, fahren hin und bemerken erst dort, dass sie das eigentlich gar nicht wirklich wollen“, nennt Nussbaum ein Beispiel. Für den Hirnforscher Bauer wäre das ein typischer Fall eines Irrlaufs aufgrund mangelnden mentalen Warming-ups. Nussbaum rät, den Kurs sofort zu korrigieren: „Starres Festhalten am Ziel wäre dann das Falsche. Loslassen – war eben nichts.“ Um Irrläufe aus schierer Zielegläubigkeit zu vermeiden, rät sie zu einem breiten Zielekorridor. Das Ziel selbst sollte einem nie zu detailliert vor Augen stehen, nur die Richtung, für die man sich aufgrund der eigenen Bedürfnisse entschieden hat. „Ich liebe die Freiheit und mag Eigentum, deshalb könnte mir ein Haus entsprechen. Vielleicht tut es aber auch ein Campingwagen“, veranschaulicht Nussbaum.

Auf dem Weg an jedes Ziel gibt es aber, oft schon just nach dem Start, mindestens eine Durststrecke. Gerade mit voller Kraft aus dem Startblock geschnellt geht den meisten Menschen rasch die Puste aus. Auch Virchow erlebt dieses Gefühl. Ihre Webseite für ihr neues Konzept ist online, aber ihr Geld verdient sie immer noch mit dem leidigen Schmuck. Sie weiß nicht, ob und wie ihre neue Geschäftsidee der Schmuckworkshops tragfähig werden kann.

Nach Nussbaums Erfahrung ist die Durststrecke der häufigste Grund, weshalb Menschen ein selbst gestecktes Ziel fallen lassen. Dem lässt sich vorbeugen, indem man dem Ziel vorher im Geiste Schritt für Schritt entgegen geht. Der Organisationspsychologe Cornelius König erläutert diese Methodik am Beispiel des Hausbaus: „Zentral ist die Frage, wie das erfahrungsgemäß abläuft: Was kann alles schiefgehen? Bauarbeiten verzögern und verteuern sich fast immer – hat man ausreichend zeitlichen Puffer für den Umzug eingeplant und auch noch finanzielle Reserven? Und wer fährt jeden Tag auf die Baustelle, um nach dem Rechten zu sehen?“ Da diese Fragen Erfahrung voraussetzen, ist in dieser Phase der Austausch mit kundigen Personen, mit Hausbesitzern und Bauherrn sowie das Recherchieren die einzige Möglichkeit, fehlende Kenntnisse wettzumachen. Noch ehe man losläuft, sollte man sich auf das Gedankenspiel der kleinen Schritte einlassen, rät König. Es setzt sich aber während des Halbmarathons fort, da nicht jede Eventualität eintritt, dafür andere ungeahnte Ereignisse passieren.

Fatal für den Austausch während der Durststrecke sind allerdings Neider, Miesepeter und Ängstliche. „Ich möchte gerne joggen, um ein paar Pfunde loszuwerden und dann sagen die: ,Du? Du kommst doch nicht mal den nächsten Berg hoch?’“, gibt Bauer ein Beispiel. „Das demotiviert bis ins Mark.“ Häufig finden sich lähmende Bedenkenträger sogar innerhalb der Familie und im Freundeskreis. Mancher Partner will beispielsweise insgeheim gar nicht, dass sich seine Freundin beruflich verändert und ist deshalb für dieses Ziel der denkbar schlechteste Ratgeber.

Freunde sollten ermutigen - und kritisch nachfragen

Die bessere Wahl seien Freunde oder Bekannte, die einem beim Marathonlauf zum Ziel anfeuern, sagt Nussbaum. Mit ihnen sollte man sich auf dem Weg ans Ziel deshalb regelmäßig austauschen oder gar fest verabreden. Sie sollten ermutigen, aber auch unbequem nachfragen, wie es mit den selbst gesteckten Zielen vorangeht und unkonventionelle Lösungswege aufzeigen. Das trägt durch frustrierende Phasen.

Nicht selten hindern aber die eigenen Persönlichkeitsstrukturen daran, Ziele zu erreichen. Bauer erinnert sich an einen Fall: „Ein Studierender der Wirtschaftswissenschaften, sehr begabt, litt angeblich an einer Arbeitsstörung. Er hatte das Studium geliebt, Bestnoten und plötzlich konnte er seine Abschlussarbeit nicht schreiben.“ Vor dem Zieleinlauf zaudern Menschen. Sie weichen zurück, lassen Chancen verstreichen. Von außen mutet dieses Scheuen, dieser Zickzacklauf unerklärlich an. Dahinter steckt aber oft eine innere Bremse, die bei jedem Lauf immer wieder spürbar wird. „Die muss man unbedingt lösen“, sagt Nussbaum. „Sonst steht man sich letztlich selbst im Weg.“

Die Bremse stammt oft aus der Kindheit. Wer als Kind oder Jugendlicher oft „lass das, das kannst du doch nicht“ zu hören bekam, hat diese negativen Ansagen verinnerlicht, meint Bauer. Diese Menschen trauen sich nichts zu. Die innere Bremse sei eine Ursache, weshalb Kinder aus bildungsfernen Familien sich mitunter scheuen, akademisch erfolgreich zu sein, auch wenn sie alle Voraussetzungen dafür mitbringen, so Bauer. Oder sie hindert Kinder aus bildungsnahen Familien, einen unorthodoxen Weg etwa als Künstler zu gehen.

Eine innere Bremse war es auch, die den Studierenden vom Abschluss abhielt. Die Eltern hatten nie studiert, arbeiteten beide in ungelernten Berufen. Aus unbewusster Angst, sich von ihnen zu entfremden, steckte er kurz vor dem Studienabschluss fest. Als Bauer ihm das klar machte, überwand er die Blockade, machte seinen Abschluss. Selbsterkenntnis half auch Doris Virchow, ihrem Ziel näher zu kommen. Ihre Eltern hatten ihr suggeriert, sie sei die kreative Ruhige, die sich zurückziehe und nicht so leicht mit Menschen in Kontakt trete. Erst als sie sich dessen bewusst wurde, konnte sie aufstehen und sagen: „Nein, so bin ich nicht. Dieser Rolle bin ich entwachsen“ und ihr Workshop-Projekt voranbringen.

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