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In Googles Sycamore-Chip rechnen 53 Qubits.

© Google

Google vermeldet Quantendurchbruch: IBM zweifelt Überlegenheit von Superrechner an

Ein von Google entwickelter Prozessor rechnet erstmals deutlich schneller als die besten Supercomputer. Experten zeigen sich beeindruckt, aber auch skeptisch.

Ein Chip von einem Quadratzentimeter Größe hat in etwas mehr als drei Minuten eine Aufgabe gelöst, für die die stärksten Supercomputer der Welt Jahrtausende bräuchten. Dass die Berechnung, die er ausgeführt hat, keinen praktischen Nutzen hat, spielt dabei eine Nebenrolle. Denn bislang war das enorme Rechentempo dieser neu entstehenden Art von Computern nur Theorie.

Der von Google entwickelte Quantenprozessor ist nun der erste, der tatsächlich Superrechner abhängen kann. Die Ergebnisse waren bereits teilweise im September an die Öffentlichkeit geraten, bislang hatte Google allerdings geschwiegen. Nun stellt ein Forschungsteam um Google-Forscher John Martinis die Resultate im Fachmagazin "Nature" vor.

Googles neuer Chip mit dem Namen Sycamore ist so schnell, weil er eine gigantische Anzahl von Rechenschritten simultan ausführen kann, die ein klassischer Rechner nacheinander abarbeiten müsste. Dies verdankt er einem Phänomen der Quantenphysik, der "Überlagerung": Ein submikroskopisches Teilchen, etwa ein Elektron, kann gleichzeitig gegensätzliche Eigenschaften annehmen. Es kann zum Beispiel simultan links und rechts herum rotieren. Diese Besonderheit lässt sich in der Informationstechnik als "Qubit" nutzen – als Quantum Bit.

Ein Quantencomputer beschreitet alle möglichen Rechenwege parallel

Während ein klassisches Bit nur jeweils entweder den Wert "0" oder "1" annehmen kann, verharrt ein Qubit in einer Art Zwischenzustand zwischen den beiden Werten – ebenjener Überlagerung. Mit jedem zusätzlichen Qubit verdoppelt sich die Zahl der möglichen Kombinationen. Googles Chip arbeitet mit 53 Qubits. Die gleiche Anzahl von klassischen Bits könnte jeweils nur eine bestimmte Abfolge von Nullen oder Einsen darstellen. Die 53 Qubits hingegen speichern etwa zehn Billiarden verschiedene Kombinationen: eine Eins mit 16 Nullen.

Für den Testlauf des Quantencomputers müssen die Google-Forscher und -Ingenieure den Sycamore-Chip mit einer aufwendigen Konstruktion kühlen.
Für den Testlauf des Quantencomputers müssen die Google-Forscher und -Ingenieure den Sycamore-Chip mit einer aufwendigen Konstruktion kühlen.

©  Google

Schritt für Schritt verknüpft nun ein Algorithmus Paare von Qubits miteinander, in einer vom jeweiligen Problem abhängigen Reihenfolge. Während im klassischen Rechner bei jedem Rechenschritt eine eindeutige Entscheidung getroffen wird, beschreitet der Quantencomputer alle möglichen Rechenwege parallel. Falsche Varianten löschen sich dabei gegenseitig aus – durch die sogenannte „Quanteninterferenz“. Als Ergebnis bleibt dann ein eindeutiger Wert.

Der Algorithmus würfelte mehrere Millionen Mal

Die Quanteninterferenz wird Experten zufolge jedoch nur für spezielle Aufgaben den richtigen Output produzieren, wie etwa Optimierungsaufgaben oder maschinelles Lernen. Beides ist interessant für einen Datenkonzern wie Google. Vor fünf Jahren engagierte die Firma einen der führenden Physiker auf dem Gebiet: John Martinis von der University of California in Santa Barbara.

Dessen Team entwickelt Chips mit sogenannten "supraleitenden Qubits". Diese sind so etwas wie künstliche Atome. Es handelt sich um maschinell hergestellte Bauelemente, im Fall von Sycamore aus Aluminium und Indium. Die Elektronen darin verhalten sich bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt wie Qubits. Mit Mikrowellensignalen lassen sie sich verknüpfen und die Rechenergebnisse auslesen.

Um die Überlegenheit der Technik zu demonstrieren, hat Google auf seinem Chip eine Art Zufallsalgorithmus laufen lassen. Dieser verbindet benachbarte Qubits willkürlich miteinander und führt dann eine Messung durch. Dabei wird zufällig eine Kombination aus Nullen und Einsen ausgewählt.

Zwei Google-Forscher testen Mikrowellenkabel, mit deren Hilfe die Qubits kontrolliert werden.
Zwei Google-Forscher testen Mikrowellenkabel, mit deren Hilfe die Qubits kontrolliert werden.

© Google

Der Algorithmus würfelte mehrere Millionen Mal auf diese Weise. Man würde erwarten, dass nun eine rein zufällige Mischung aus Kombinationen entsteht, so wie bei häufigem Würfeln alle Augenzahlen etwa gleich oft vorkommen. In Wahrheit jedoch erscheinen einzelne Varianten deutlich öfter als andere. Der Grund dafür ist die Quanteninterferenz, bei der sich ein Teil der Kombinationen gegenseitig auslöscht.

Dieses vom Quantenchip erzeugte Muster kann ein klassischer Rechner zwar auch simulieren. Dafür muss er die riesige Zahl an Varianten aber schrittweise abarbeiten, was Google zufolge rund 10.000 Jahre dauern würde. Das hätten Tests auf dem Superrechner "Summit" gezeigt, den Martinis Team Teile der Aufgabe berechnen ließ.

IBM bezweifelt Googles Erfolg

Ob diese Rechenzeit allerdings korrekt ist, bliebt offen. Eine Forschungsgruppe von IBM – die Firma hat Summit mitentwickelt und arbeitet ebenfalls an Quantencomputern – hat vor wenigen Tagen auf die Gerüchte reagiert und behauptet, Summit hätte die Berechnungen in zweieinhalb Tagen ausführen können, womöglich noch schneller, wenn man mehr Zeit für diese Aufgabe bekommen hätte.

Damit bezweifelt IBM auch ganz offiziell Googles Aussage, man habe "Quantenüberlegenheit" ("Quantum Supremacy") demonstriert. Diesen Terminus hatte 2012 der Physiker John Preskill vom California Institute of Technology populär gemacht. Sie sei dann erreicht, wenn ein Quantencomputer Aufgaben lösen könne, die für klassische Computer unmöglich sind. Wenn IBM's Summit allerdings wirklich nur 2,5 Tage für die Aufgabe brauchen würde, wäre dieses Kriterium bei Weitem nicht erfüllt.

Die Fachgemeinde diskutiert schon seit den ersten Berichten über Googles angeblichen Durchbruch. Manch einer freut sie sich über den Fortschritt. Skeptikern, die glaubten, Quantencomputing funktioniere nur in der Theorie, sei nun der Wind aus den Segeln genommen, kommentierte damals etwa Scott Aaronson von der Universität Texas in Austin. Obwohl sich Forscher weltweit schon seit den ersten Gerüchten über Googles Erfolg beeindruckt zeigten, kritisieren nicht wenige den Begriff der Quantenüberlegenheit. Der hohe Grad der Beschleunigung, den er nahelegt, werde bei vielen Aufgaben gar nicht zu verwirklichen sein.

Nützlicher könnte ein "Quantenvorteil" sein

Dass nun aber Google zuerst diese Quantenüberlegenheit erreicht, das hat die Fachgemeinde erwartet. Die Firma arbeitet seit mehreren Jahren gezielt darauf hin. Schließlich fand Martinis' Team ein geeignetes Problem, das einerseits dem Quantencomputer möglichst wenig abverlangt, andererseits für einen klassischen Computer besonders knifflig ist.

"Normale Rechner nutzen oft besondere mathematische Strukturen eines Problems, um schneller zur Lösung zu kommen", sagt Andreas Wallraff von der ETH Zürich. Der Zufallscharakter der Aufgabe mache dies aber unmöglich. Als geeigneteres – und gleichzeitig schwerer erreichbares – Vergleichskriterium nennt Wallraff einen "Quantenvorteil". Dazu müsste ein Quantenrechner einen praktischen Vorteil gegenüber klassischen Computern bieten, also eine nützliche Aufgabe bei gleichen Kosten viel schneller erledigen. Als erste nützliche Anwendung für solch einen Quantenvorteil erwarten Forscher das Simulieren von großen Molekülen, das etwa die Wirkstoffsuche in der Pharmaindustrie beschleunigen und billiger machen könnte. Supercomputer können chemische Verbindungen aus rund 50 Atomen gerade noch berechnen. Weil sich der Rechenaufwand mit jedem Atom aber verdoppelt, werden auch künftige Supercomputer nicht viel mehr schaffen.

Ein Quantenrechner jedoch dupliziert seine Rechenpower mit jedem zusätzlichen Qubit. Nicht nur Googles Rechner hat die für die Simulation großer Moleküle nötige Schwelle von 50 Qubits erreicht, sondern auch Maschinen der Konkurrenten IBM und Intel. Im Rahmen des EU-Projekts OpenSuperQ etwa soll bis 2021 ein Rechner mit 50 bis 100 Qubits am Forschungszentrum Jülich gebaut werden. Ähnliches, nur mit Qubits aus elektrisch geladenen Atomen, will ein zweites EU-Projekt namens AQTION in Innsbruck erreichen.

Die Fehlerkorrektur muss besser werden

Die bloße Anzahl an Qubits ist aber nicht alles. "Für Algorithmen benötigt man Operationen zwischen mehreren, beliebig weit voneinander entfernten Qubits", erklärt Ferdinand Schmidt-Kaler von der Universität Mainz. Auf Googles Chip aber können nur direkt benachbarte Qubits verknüpft werden. Auch die automatische Korrektur von Fehlern, die durch kleinste Umwelteinflüsse schon nach Sekundenbruchteilen auftreten, steht noch am Anfang.

Zusätzliche Qubits können solche Fehler aufspüren und neutralisieren. Ein für viele Zwecke programmierbarer Quantencomputer werde daher Tausende, wenn nicht Millionen von Qubits benötigen, schätzen Forscher. Ob supraleitende Qubits wie die von Googles Sycamore sich am besten für so große Systeme eignen, sei offen, sagt Schmidt-Kaler. Sein Team arbeitet an Chips, die Kalzium-Ionen als Qubits enthalten. Über Lichtleiter können Gruppen von Qubits Informationen austauschen. Ziel sind Bausteine, von denen sich beliebig viele zusammenschalten lassen, ähnlich den Transistoren auf heutigen klassischen Computerchips.

Der Quantenrechner der Zukunft könnte aber auch ein Hybrid aus mehreren Arten von Qubits sein. "Daher brauchen wir ein Ökosystem aus Forschungsgruppen, die auch mit Ingenieuren zusammenarbeiten, um die verschiedenen Techniken zu integrieren", sagt Schmidt-Kaler.

"Wie der erste Flug der Gebrüder Wright"

Eine breit nutzbare Überlegenheit der Quantenrechner könnte also noch Jahre oder Jahrzehnte entfernt sein. Darauf weist auch William Oliver vom Massachusetts Institute of Technology in einem begleitenden Kommentar in "Nature" hin.

Ihn erinnere Googles Demonstration in vielerlei Hinsicht an die ersten Flüge der Gebrüder Wright. "Ihr Flugzeug war nicht das erste, das flog, und es löste kein dringendes Transportproblem", schreibt er. "Aber sie haben ein neues Betriebsregime aufgezeigt: den eigenständigen Flug eines Geräts, das schwerer war als Luft."

An eine weite Verbreitung von Flugzeugen, wie wir sie heute kennen, war noch lange nicht zu denken, und doch war es ein extrem wichtiger Schritt. So verhalte es sich, schreibt Oliver, auch mit dem ersten Bericht über die Überlegenheit von Quantencomputern. (mit nes, fsch)

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