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Kernkraft. Pollen aus Bohrkernen, die – wie hier im deutschen Wattenmeer – weltweit gewonnen werden, geben Aufschluss darüber, was wann wo wuchs. Schon früh hatten Menschen darauf einen erheblichen Einfluss und bestimmten so das Gesicht der Erde.

© Steffen Wolters

Globaler Wandel begann mit der Landwirtschaft: Der Mensch greift seit Jahrtausenden massiv in Ökosysteme ein

Homo sapiens prägt das Angesicht des Planeten und die Artenzusammensetzung schon weit länger als bisher vermutet – heute aber rasanter denn je.

Menschen haben schon lange bevor sie durch Treibhausgasemissionen das Klima beeinflussten, die Erde nachhaltig geprägt. Seit Jahrtausenden bereits verändert die Landwirtschaft die Vegetation stark. Zu diesem Schluss kommen Ondrej Mottl und Suzette Flantua von der Universität im norwegischen Bergen und ihr Team in der Zeitschrift „Science“.

Sie analysierten Pollen aus Ablagerungen von Gewässern und Mooren. Ergebnis: Ein umfangreicher, im Lauf der Zeit zunehmender Vegetationswandel, der inzwischen in einigen Regionen das Tempo der Veränderungen nach Ende der vergangenen Eiszeit übertrifft.

Stabiles Klima, stabile Artengemeinschaft

Die Gruppe ermittelte die Veränderungsrate („RoC“, Rate of Change) der Vegetation. Deren höchste Werte weltweit zeigen sich vor rund 12.000 Jahren. In dieser Zeit stellte sich das Klima von der Eiszeit gerade auf eine viel wärmere Periode um.

Allerdings geschah dies nicht überall gleichzeitig. In West- und Mitteleuropa sowie im Osten Nordamerikas schwankte das Klima vor 15 000 bis 10 000 Jahren angetrieben von Strömungsänderungen im Nordatlantik mehrmals im Laufe einiger Jahrhunderte stark zwischen kalten und wärmeren Bedingungen. In dieser Epoche erreichten dort die RoC-Werte ihre Höchststände. In Mittel- und Südamerika, Afrika und Ostasien wird ein nachhaltig starker Wechsel der Vegetation dagegen erst vor 10 000 bis 8000 Jahren sichtbar.

Gleichzeitig änderten sich Muster und Stärke der Regenfälle in den tropischen Regionen stark. Solch natürliche Schwankungen dürften also damals der entscheidende Faktor für den Wandel der Pflanzenwelt gewesen sein. Als sich danach das Klima stabilisierte, veränderten sich auch die Ökosysteme weniger.

Stabiles Klima, aber nun Veränderungen der Vegetation

Doch trotz stabilen Klimas stiegen die RoC-Werte abgesehen von den hohen Breiten etwa des heutigen Kanada oder Sibiriens schon wenige tausend Jahre später wieder. Je nach Kontinent begann dieser Prozess vor 4600 bis vor 3100 Jahren. In den letzten Jahrhunderten erreichen die RoC-Werte teilweise sogar wieder die Werte aus der Periode kurz nach der letzten Eiszeit – oder übertreffen sie.

„Hinter dieser Entwicklung dürfte die Landwirtschaft stehen, die in dieser Zeit zunehmend intensiver betrieben wurde“, vermutet Manuel Steinbauer, der an der Studie seiner Kollegen in Norwegen nicht beteiligt war. Er und sein Team von der Universität Bayreuth haben kürzlich ihrerseits ganz ähnliche Hinweise gefunden, veröffentlicht vor drei Wochen ebenfalls in „Science“. Sie untersuchten Veränderungen in der Vegetation abgelegener Inseln. Menschen erreichten etwa die Atolle der Südsee erst vor wenigen Jahrtausenden. Auf Island ließen sich die ersten Wikinger um das Jahr 870 nieder, während die Vorfahren der Maori Neuseeland vor rund 800 Jahren erreichten.

Auch hier können in Sedimenten uralte Pollen gefunden werden. „In einer monatelangen Arbeit wird dann analysiert, zu welchen Arten die Pollen in den verschiedenen Schichten gehören“, erklärt Steinbauer. Diese Pflanzenmischung wiederum zeigt, welche Vegetation in der jeweiligen Zeit in der Region, wo der Bohrkern genommen wurde, wuchs.

Landwirtschaft und eingeschleppte Arten als Faktoren

Steinbauer und sein Team untersuchten Pflanzenpollen, die sich in den vergangenen 5000 Jahren abgelagert hatten, von 27 über verschiedene Breitengrade verteilten Inseln. Die Artenzusammensetzung änderte sich in dem Zeitraum fast immer dramatisch, als Menschen zum ersten Mal ihre Füße auf die Inseln setzten. Im Mittel schnellte dann die Veränderungsrate der Pflanzenwelt auf das Elffache des ursprünglichen Wertes hoch. Besonders drastisch fielen diese Veränderungen auf den Inseln aus, die erst in den letzten 1500 Jahren besiedelt wurden. So brannten die Maori im 13. Jahrhundert offenbar allen Wald auf den Poor Knights Inseln vor der Nordinsel Neuseelands ab, um dort ihre Gärten und Felder anzulegen. Danach waren fast alle zuvor vorhandenen Pflanzenarten verschwunden, während etliche neue auftauchten.

Doch die Landwirtschaft der Neuankömmlinge sei „zwar zwar eine sehr wichtige, aber keineswegs die einzige Ursache dieser radikalen Veränderung der Vegetation“ gewesen, erklärt Steinbauer. So rotteten die Maori bereits in den ersten hundert Jahren nach ihrer Ankunft die vermutlich neun Arten der großen Moa-Vögel weitgehend aus. Ähnlich wie in Europa vor mehr als hunderttausend Jahren der gewaltige Appetit von Waldelefanten, Nashörnern, Wisenten und Auerochsen statt eines geschlossenen Waldes eine eher offene Landschaft entstehen ließ und erhielt, hatte auch die Ernährung der Moas die Vegetation Neuseelands entscheidend geprägt.

Als sie verschwanden, veränderte sich daher auch der Rest der Natur stark. Ähnliches geschah, als Seefahrer Ziegen auf Inseln aussetzen oder Siedler Kaninchen, Ratten, Regenwürmer und andere Tiere mitbrachten. Alle diese Faktoren veränderten die Vegetationsmuster erheblich.

Unumkehrbare Veränderungen

Offensichtlich hat die Menschheit also bereits seit Jahrtausenden erheblichen Einfluss auf die Natur. Das kann auch bedeuten, dass die bisher bekannten starken Veränderungen der Ökosysteme im 20. und 21. Jahrhundert ihren Beginn teilweise schon Jahrtausende früher hatten als bisher vermutet. In den letzten Jahrzehnten hat die wachsende und pro Kopf mehr Ressourcen verbrauchende Menschheit die Veränderungen aber stark beschleunigt. „Dabei zeigen die Daten des Teams aus Norwegen den Einfluss des von uns Menschen ausgelösten Klimawandels noch gar nicht an“, ergänzt Steinbauer.

Hinzu kommt noch ein anderer Befund: „Inzwischen sind die Ökosysteme vielerorts so stark umgekrempelt, dass sie kaum mehr in den Ausgangszustand zurückkommen“, sagt Steinbauer. Zu diesem Schluss kommt der Bayreuther Forscher auch aufgrund seiner eigene Studie zu den Ökosystemen von Inseln. Nachdem etwa die Maori den Wald der Poor Knights Inseln komplett vernichtet hatten, verließen sie eine der Inseln bereits 1820 komplett. Dieses Eiland ist also seit 200 Jahren wieder unbewohnt. Zwar kehrte der Wald in dieser Zeit zurück. Doch es wachsen dort jetzt völlig andere Arten als vor der ersten Besiedlung durch Menschen. Nach natürlichen Katastrophen wie Wirbelstürmen oder Vulkanausbrüchen dagegen reagiert die Natur anders: Sie erholt sich meist rasch wieder und ein fast gleiches Ökosystem wie zuvor etabliert sich erneut.

Weiter in die Natur eingreifen, aber gezielt

Derzeit und in Zukunft kommen die Klimaveränderungen als Faktor des botanischen Wandels noch hinzu. Jonathan Overpeck von der University of Michigan in Ann Arbor und David Breshears von der University of Arizona in Tucson schlagen in einem kommentierenden Artikel in „Science“ eine Doppelstrategie vor, um die resultierenden Umweltprobleme in den Griff zu bekommen: Zum einen sollte der Klimawandel so schnell wie möglich gestoppt werden. Da aber auch dann die Temperaturen weltweit noch um 1,5 bis zwei Grad über die vorindustriellen Werte steigen dürften, sollte man daneben die Vegetation vorausschauend managen. Wälder etwa müssten mit anderen Sorten und Arten für den Klimawandel fit gemacht werden, damit sie ihre Leistungen für die Ökosysteme weiterhin weiter erfüllen könnten.

Der Mensch soll also sogar weiter massiv eingreifen – nur anders als bisher. Steinbauer sagt es so: „Weil wir die Natur in den vergangenen Jahrtausenden zunehmend stark gestört haben, dürfen wir die Hände jetzt nicht in den Schoß legen, sondern müssen sie aktiv schützen.“

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