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Giraffenjungbulle „Henri“ im Tierpark Berlin

© Tierpark Berlin

Giraffenidentitäten: Fellmuster von Giraffen verraten Verwandtschaftsverhältnisse

Giraffenforscher identifizieren Tiere an ihrem Fellmuster. Giraffen erkennen in der Musterung noch mehr.

Es ist ihm noch nicht anzusehen, aber Henri gehört zu einer der größten Unterarten der Giraffen. Rothschild-Giraffen sind in Uganda und Kenia heimisch. Henri ist der neueste Zugang der Herde im Tierpark Berlin. Die Giraffenkuh Amalka brachte ihn am 5. Juni 2020 zur Welt. Derzeit erkundet er bereits sein Gehege, immer dicht an der Seite seiner Mutter. Was die beiden verbindet, sind neben der innigen Mutter-Kind-Beziehung auch weniger auffällige Merkmale.

Das Fellmuster von Giraffen, das helle Netz mit dunklen Flächen, ist einzigartig wie der menschliche Fingerabdruck. Die Schweizer Giraffenforscherin Monica Bond braucht nur ein Foto und einen genauen Blick auf das Muster, um Tiere zu identifizieren. Wahrscheinlich erkennen sich die Tiere auch gegenseitig daran. In ihren Herden mit wechselnder Zusammensetzung von bis zu dreißig Tieren wissen sie, wer momentan dazugehört und wer nur dahergelaufen kommt.

Muttertiere und ihre Kälber bilden Familienherden, denen auch Tanten und Cousinen angehören. Hin und wieder adoptieren sie auch Kälber. „Ich sah kürzlich eine Giraffenkuh, die drei verschiedene Kälber säugte“, erzählt Bond. Da jede Kuh nur alle zwanzig Monate ein Kalb zur Welt bringt, waren mindestens zwei der Jungtiere nicht ihre eigenen.

Jungbullen bilden eigene Gangs von bis zu dreißig Tieren. „Die sind mitunter recht kühn und versperren Autofahrern auf Safari schon mal den Weg. Sie raufen und kämpfen miteinander – meist spielerisch“, sagt Bond. Ausgewachsene Giraffenbullen sind dagegen Einzelgänger. In der Paarungszeit ringen sie mit anderen Bullen in einem ritualisierten Kampf um Weibchen. Dabei treten sie, schlagen sich mit den Köpfen und beißen auch.

Sozialleben in der Savanne

Giraffen erkennen auch, welche Giraffen nicht ihrer Art angehören. Die vier bekannten Giraffenspezies, die Nord-Giraffe, die Massai-Giraffe, die Netz-Giraffe und die Süd-Giraffe teilen Lebensräume, aber paaren sich nicht untereinander. Auch würden sie sich nicht der Herde einer anderen Spezies anschließen. Dass sie einander nach Artzugehörigkeit unterscheiden können, ist besonders bemerkenswert. Denn für das menschliche Auge ist das kaum möglich.

„Das Fellmuster und die Gestalt innerhalb einer Art variieren so stark, dass die Unterschiede zwischen den Spezies für uns regelrecht verschwimmen“, sagt Stephanie Fennessy. Sie und ihr Mann sind Giraffenforscher und fanden anhand von Erbgutanalysen heraus, dass die Großtiere vier Arten bilden. Und auch wenn sie schwer auseinanderzuhalten sind: „Sie unterscheiden sich im Erbgut mehr als Eis- und Braunbär“, sagt Fennessy.

Während ihrer Forschungsaufenthalte in der tansanischen Serengeti geht Monica Bond jeden zweiten Tag auf Giraffenfahrt (bis März 2020). Sie fotografiert die Tiere aus circa fünfzig Metern Entfernung. „Giraffen lassen sich gut aus dem Auto heraus fotografieren. Aussteigen darf ich nicht, denn wenn Giraffen uns auf zwei Beinen sehen, laufen sie weg.“

Später lässt Bond eine Mustererkennungssoftware über die Bilder laufen. Das Computerprogramm sucht charakteristische Strukturen im Fellmuster, etwa ein Fünfeck neben einem leicht gerundeten Sechseck. Diese Ausschnitte aus dem Fellmuster sind in einer Datenbank hinterlegt und den Tieren darin Namen zugeordnet. So weiß Bond, ob sie ein bekanntes Tier vor sich hat oder ein noch nicht registriertes Exemplar. In der Datenbank ist auch vermerkt, mit wem die Giraffe zuletzt unterwegs war und wo.

Das Sozialleben von 3000 Tieren hat Bond auf diese Weise schon aufgezeichnet. So will sie mehr über die Gruppendynamik und die Lebensräume erfahren. Giraffen wurden bislang meist in Zoos erforscht. „Aber im Freiland können wir herausfinden, wie die Tiere zusammenleben und welche überleben“, sagt Bond.

Tarnung und Kühlung

Mit ihrer Fotosammlung konnten die Wissenschaftlerin und ihr Forschungspartner Derek Lee zeigen, dass das Muster von der Giraffenmutter vererbt wird. Sie finden identische Mustermerkmale bei beiden. „Vielleicht erfolgt die Vererbung auch vom Vater. Das wissen wir jedoch nicht, weil wir die Väter oft nicht kennen." Sie beteiligen sich nicht an der Jungenaufzucht.

Das netzartige Muster der Giraffen hat weitere Funktionen: Es hilft den Tieren, sich zu tarnen. Die Kälber sind Beute für Löwen und Hyänen. Die Hälfte der Jungtiere überlebt die ersten Jahre nicht, obwohl sie sehr schnell wachsen und ihre Größe im ersten Jahr von zwei auf vier Meter verdoppeln. Bond konnte zeigen, dass Giraffenjunge mit großen braunen Flecken eher überleben. „Sie fallen in der Steppenlandschaft nicht so auf.“ Ein zu monotones Muster können die Tiere sich trotzdem nicht leisten, sonst würden sie aufgrund ihrer Körpergröße rasch überhitzen. Die hellen Streifen zwischen den dunklen Partien kühlen, weil sie die Sonnenstrahlung nicht so gut absorbieren.

Das Fellmuster ist ein zuverlässiges Erkennungsmerkmal. Viele Forscher nutzen es, um Tiere zu erkennen. Die „Giraffe Conservation Foundation“ bietet auf der Webseite giraffespotter.org einen Erkennungsservice an. Hat man ein Foto einer Giraffe geschossen, kann man es hochladen und nachfragen, wen man vor sich hatte. Dann heißt es vielleicht: „Das ist Bob, der wurde vor zwei Jahren schon einmal in der Serengeti fotografiert.“

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