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Gegenmittel. Impfungen – hier im Jemen gegen die Masern – gehören zu den wirksamsten Methoden der Seuchenbekämpfung.

© picture alliance / dpa

Gesundheitsbericht: Leben, Leiden, Tod

In den letzten 20 Jahren starben weniger Menschen an Infektionskrankheiten oder Hunger, auch Mütter und ihre Neugeboren werden besser versorgt. Das ist die frohe Botschaft des weltgrößten Gesundheitsberichtes, an dem fast 500 Wissenschaftler aus 50 Ländern beteiligt waren. Die schlechte Nachricht: Mehr Menschen müssen länger mit Behinderung und Krankheit zurechtkommen.

Wenn in einem abgelegenen afrikanischen Dorf ein Kind an Hirnhautentzündung stirbt oder ein junger Erwachsener einem aggressiven Krebs unterliegt, erfahren davon oft weder Arzt noch Amt. In vielen Fällen ist die Bürokratie des Landes so schwach, dass nicht einmal die Existenz dieses Menschen irgendwo vermerkt wurde. Hilfsorganisationen und Staaten brauchen jedoch verlässliche Daten über die Verteilung von Krankheiten und Todesursachen auf der Welt. Um das knappe Geld für Gesundheitskampagnen, Entwicklungs- und Strukturhilfe sinnvoll zu verteilen, müssen sie die tatsächlichen Probleme kennen und wissen, was erreicht werden kann.

486 Wissenschaftler aus 50 Ländern haben deshalb fünf Jahre lang alle erhältlichen Daten gesammelt, gewichtet und in Computermodelle eingespeist. Die sieben so entstandenen Studien mit insgesamt 650 Millionen Einzelergebnissen liefern ein umfassenderes Bild als alles, was die Vereinten Nationen oder die Weltgesundheitsorganisation bislang vorgelegt haben. Für 187 Staaten haben sie errechnet, wie lange die Menschen leben, wie gesund sie waren, woran sie schließlich sterben und welche der 67 Risikofaktoren für das Land am wichtigsten waren. Allein für eine der Datenbanken haben sie 800 Millionen Todesfällen zwischen 1950 und 2010 insgesamt 291 Krankheiten und Verletzungen zugeordnet.

Die Ergebnisse haben sie nun in einer Sonderausgabe des Fachmagazins „Lancet“ veröffentlicht. Die Hauptbotschaften sind positiv: Die Lebenserwartung ist seit 1970 um mehr als zehn Jahre gestiegen. „Mehr Menschen sterben erst wenn sie 70 Jahre und älter sind, HIV und Malaria verursachen weniger Leid, es sterben viel weniger Kinder unter fünf Jahren“, schreibt Lancet-Chefredakteur Richard Horton in einem Kommentar. Auf der anderen Seite sei Afrika nach wie vor der Kontinent, der am meisten von Leid betroffen ist. Und sinkende Todesraten hießen auch, dass mehr Menschen länger mit Behinderung und Krankheit zurechtkommen müssen und Hilfe brauchen.

Die Lebenserwartung

Bei Frauen stieg die Lebenserwartung zwischen 1970 und 2010 von durchschnittlich 61,2 auf 73,3 Jahre, bei Männern von 56,4 auf 67,5 Jahre. Am stärksten kletterte sie auf den Malediven, aber auch in Bangladesch, Bhutan, Iran, Peru und Angola. Im gleichen Zeitraum sind 60 Prozent weniger Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr gestorben (6,8 statt 16,4 Millionen). „Nun müssen wir mehr auf die jungen Erwachsenen zwischen 15 und 49 Jahren achten“, sagte einer der Autoren der Studie, Haidong Wang von der Universität von Washington. Die Aussage betreffe nicht nur Entwicklungsländer. Selbst in Griechenland, Israel und Russland sei ihre Sterblichkeitsrate in die Höhe geschnellt, im Süden Afrikas um 500 Prozent. Neben Krankheiten spielt in der Altersgruppe auch das Risiko, Opfer eines Straßenverkehrsunfalls zu werden, eine große Rolle.

Laut Statistik starben in Ländern der Sub-Sahara die Menschen ein Jahr früher als 1970, vor allem wegen HIV/Aids. In Osteuropa, Weißrussland und der Ukraine verringerte Alkoholmissbrauch die Lebenserwartung. Am ältesten werden japanische Frauen (85,9 Jahre) und isländische Männer (80 Jahre).

Die Todesursachen

Infektionskrankheiten, Hunger und mangelhafte Versorgung von Müttern und Neugeborenen verursachten 17 Prozent weniger Todesfälle als noch vor 20 Jahren (13,2 Millionen statt 15,9 Millionen) – vor allem, weil weniger Durchfall- und Atemwegserkrankungen und weniger Masern und Tetanus auftraten. HIV und Malaria sind nach wie vor ein massives Problem, die Zahl der Menschen, die an Aids starben, stieg von 0,3 auf 1,3 Millionen. Malaria forderte 2010 fast 1,2 Millionen Todesopfer.

Zwei von drei Menschen weltweit unterlagen nicht-übertragbaren Krankheiten wie zum Beispiel Krebs (acht Millionen) sowie Schlaganfällen und Infarkten (12,9 Millionen). Auch in vielen Entwicklungsländern werden diese Krankheiten zu den bedeutendsten Problemen.

Gesunde Jahre

Die gesteigerte Lebenserwartung bedeutet nicht automatisch, dass die Menschen auch länger gesund sind. Vielmehr müssen sie oft länger mit Behinderungen zurechtkommen. Im Jahr 2010 konnten Frauen in Japan, Singapur, Südkorea und Spanien mit durchschnittlich mehr als 70 gesunden Jahren rechnen. Männer erreichten das in keinem Land der Erde. Nur in Afghanistan, Jordanien und Mali ging es Männern länger gesundheitlich gut als Frauen.

Die ärgsten Beeinträchtigungen

Eine Haushalts- und Onlinebefragung von 30 000 Menschen ergab, dass Schizophrenie und schwere Multiple Sklerose von den meisten als die ärgsten Gesundheitsprobleme gesehen werden. Wenig Angst machten ihnen zum Beispiel Erektionsprobleme, die Amputation von Fingern oder Zehen, leichte Herzkrankheiten und Schlaganfälle.

Am häufigsten wurde die Gesundheit von Rücken- und Nackenschmerzen, Depressionen und Eisenmangel beeinträchtigt. In diesem Teil der Studie wurden 1000 Krankheitsfolgen nach ihrer Bedeutung geordnet. „Gesundheit ist mehr als Überleben“, sagte Alan Lopez von der Universität von Queensland. „Regierungen geben viel Geld aus, um Krankheitsfolgen erträglicher zu machen.“

Was die Gesundheit gefährdet

Die wichtigsten Risikofaktoren waren 2010 ein zu hoher Blutdruck (ursächlich für 9,4 Millionen Tote), Zigarettenrauch (6,3 Millionen Tote) und – besonders in Osteuropa und Lateinamerika – Alkohol (fünf Millionen Tote). Da viele Haushalte Holz und Kohle als Brennstoff benutzen, rangierte die Luftverschmutzung in Innenräumen an vierter Stelle der Faktoren, die die Gesundheit gefährden. Untergewicht bei Kindern rutschte auf Platz acht. Zu wenig Bewegung und falsche Ernährung – insbesondere zu viel Salz und zu wenige Früchte – verursachten nach den Berechnungen der Forscher 12,5 Millionen Todesfälle.

Wie die Kranken und Toten gezählt werden

Für die „Global Burden of Disease“-Studie wurden alle verfügbaren Daten ausgewertet: von Studien über Krankenhausakten, Bevölkerungszählungen und Register bis hin zu verbalen Autopsien. Bei diesen Befragungen werden Angehörige von Toten besucht, um die Todesursache und ähnliche Fälle aufzuspüren. Trotzdem bleiben Lücken, die Berechnungen basieren daher auf komplexen Computermodellen. So kommt es teilweise zu großen Unterschieden zwischen den Zahlen, die die Weltgesundheitsorganisation und das Global-Burden-of-Disease-Konsortium veröffentlicht haben.

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