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Milchkühe stehen am auf einem Feld in Niederlungwitz (Sachsen).

© Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Gesundheits-Debatte: Ist Milch nun gesund oder ungesund?

Sie gilt vielen noch immer als Inbegriff des gesunden Lebensmittels. Doch mittlerweile mehren sich Warnungen, Milch könnte gar Krebs auslösen. Wer hat Recht?

Ein ordentlicher Schluck aus dem Glas. Dann den Milchbart mit breiter Hand vom Mund gewischt. Genuss und strotzende Gesundheit suggerieren solche Szenen – in Werbespots sehr beliebt. Tatsächlich gibt es viele Gründe, Milch für gesund zu halten. Die der eigenen Mutter reicht beispielsweise vollkommen aus, einen kleinen Menschen zu ernähren und wachsen zu lassen. Zudem zeigen biochemische Analysen, dass auch die Milch anderer Spezies – von Kühen etwa – so ziemlich alle wichtigen Makro- und Mikronährstoffe enthält, die auch ein erwachsener Mensch braucht.

Die einen sagen so, die anderen so... auch die Studien

Und doch ist Milch in Verruf geraten. Immer mehr Konsumenten befürchten, dass sie in Wahrheit kein ideales Nahrungsmittel ist, sondern die Gesundheit erheblich gefährden kann. Milch, so ihre Argumentation, sei eben wirklich nur für Säugetier-Babys geeignet. Ab einem bestimmten Alter schade vor allem Kuhmilch, da sie viele wachstumsfördernde molekulare Bestandteile enthalte, die bei ausgewachsenen Menschen Krebs fördern könnten. Zu den Kritikern gehört auch Bas Kast, Autor des erfolgreichsten deutschsprachigen Ernährungssachbuchs der vergangenen Jahre. Er sagt, er sei aus diesem Grund auf Mandel- und Hafermilch umgestiegen.

Die Warnungen vor der Milch werden inzwischen offiziell ernst genommen, etwa vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, das kürzlich die für die Bewertung von Risiken zuständige Bundesbehörde um eine Auswertung der verfügbaren Forschungsergebnisse bat.

Allerdings liefern auch die Studien der Ernährungswissenschaftler keine definitiven Antworten. Das ist bei vielen Themen so, von Salz über gesättigte Fette bis Rotwein – und der Grund dafür, warum über Ernährungsfragen oft so erbittert gestritten wird.

Ernährungsstudien sind, egal ob es um Milch, rotes Fleisch, sekundäre Pflanzenstoffe oder Darmbakterien geht, generell fehleranfällig. Und sie liefern meist lediglich Korrelationen, aber keine ursächlichen Zusammenhänge. Und das ist nur eines der Probleme. Es wird beispielsweise auch fast nie wirklich gemessen, wie viel Käse etwa ein Studienteilnehmer isst oder wie viel Milch eine Teilnehmerin trinkt.

Stattdessen greifen Ernährungsforscher auf den guten alten Fragebogen zurück. Wenn man sich nur einmal vorstellt, man würde gefragt, wieviel Gramm Milchprodukte man vor fünf Jahren im Durchschnitt täglich gegessen hat, und wieviel vor zehn Jahren, und wieviel über den letzten Monat, wird klar, auf was für einem unsicheren Fundament solche Studien oft stehen.

Wes Brot ich ess', des' Milch ich empfehl'

Dazu kommt, dass solche Untersuchungen oft von den Herstellern genau der Produkte finanziert werden, um die es geht. Das hat Forscher schon dazu veranlasst, Studien über solche Studien aufzulegen, den Bostoner Kinderarzt David Ludwig und seine Kollegen etwa. Ihre Schlussfolgerung lautete dann, dass „industrielle Finanzierung von Ernährungsstudien Ergebnisse zugunsten der Produkte des Sponsors verfälschen können“.

Die Datenlage ist also eher trüb, und seriöse Wissenschaftler üben sich fleißig in Konjunktiven, wenn sie versuchen, den Stand der Forschung zusammenzufassen. Wenn sie dies tun, kommt aber meist doch ein eher positives Bild heraus. Im Fachblatt „Advances in Nutrition“ erschien kürzlich ein solcher Artikel der Ernährungsforscher Angel Gil und Rosa Ortega. Er listete wahrscheinliche positive Effekte von Milchprodukten auf – etwa Infarktprävention, gebremsten Muskelschwund im Alter oder geringeres Diabetesrisiko.

Finanziert hatte das Ganze allerdings – genau – ein Verband von Milchprodukte-Herstellern. Aber selbst bei einer Finanzierer-Liste ohne Danone und Co. sehen die Schlussfolgerungen meist ähnlich aus. Eine Analyse von Daten der so genannten PURE-Studie, 2018 erschienen, findet vor allem bei Vollmilch- und Yoghurtkonsum einen statistisch klaren Zusammenhang mit weniger Herztoten und auch weniger Sterblichkeit insgesamt. Die PURE-Studie ist eine der größten Ernährungsstudien überhaupt, mit Datenerhebungen in 21 Ländern. Sie sollte also eigentlich verlässlich sein. Ist sie aber vielleicht doch nicht. Jedenfalls hagelte es in den vergangenen zwei Jahren harsche Kritik an ihrer Methodik.

Und: Wie viele Milchprodukte – und welche – konsumiert werden, das wurden die Mitmachenden nur ganz am Anfang der Datenerhebung gefragt. Im Durchschnitt war dies dann etwa zehn Jahre her, als ihre Gesundheitssituation für die Studie ausgewertet wurde. Ob also diejenigen, die vom Schlaganfall eher verschont blieben, wirklich weiter fleißig Joghurt gegessen und Milch getrunken haben, ist überhaupt nicht bekannt.

Ein Wachstumsfaktor als wichtiger Faktor

Man könnte so weitermachen. Aber auf Seiten der Milchgegner sieht es nicht besser aus mit der Datenlage. Wer dort behauptet, es sei klar, dass Milch für Erwachsene nicht gut sein könne, schießt jedenfalls über das Ziel hinaus. Ob etwa der "Insulinähnliche Wachstumsfaktor 1" ( IGF-1) tatsächlich in den Mengen, die durch Kuhmilch - direkt und durch Anregung seiner Bildung im Körper - ins System kommen, Krebs fördert oder gar auslöst, weiß kein Mensch.

Die Warner beziehen sich auf von ihnen selbst handverlesende Studien, die darauf Hinweise zu geben scheinen, denen aber jede Menge anderer Untersuchungen mit gegensätzlichen Ergebnissen gegenüber stehen. Oder sie argumentieren schlicht, dass eine krebsfördernde Wirkung zumindest gut möglich sei. Das ist dann auch plausibel.

Denn Wachstumsfaktoren regen Zellen eben zum Wachstum an, das ist ihr Job. Weil im menschlichen Körper aber ein stetes Gleichgewicht zwischen Ab- und Aufbau herrscht und Regeneration nötig ist, werden sie auch gebraucht. Allerdings scheint es zumindest bei manchen Tumorerkrankungen doch einen Zusammenhang zu geben, etwa zwischen Milchkonsum und Prostatakrebs. Andere Krebsrisiken sinken aber vielleicht sogar. Und man darf auch hier eben die generell den Ernährungsstudien anhaftenden Unsicherheiten nicht vergessen.

Mini-Erbgut mit Mega-Wirkung

Bleibt noch das, was man den Fluch der neuen Forschungsergebnisse nennen könnte: Wie es aussieht, haben wir in all den Jahrzehnten, in denen uns Milch als gesund angepriesen wurde, ständig etwas mitgeschluckt, von dem man bis vor kurzem gar nicht wusste, dass es existiert: Micro-RNA. Diese winzigen Stückchen Erbsubstanz sind in Zellen an der Regulierung aller möglicher Prozesse beteiligt. Und im Labor kam auch heraus, dass manche von ihnen bei der Entstehung von Tumoren eine Rolle spielen.

Eigentlich sollte zwar allein die Tatsache ein wenig beruhigen, dass Konsumenten von Milch und Milchprodukten Studien zufolge nicht deutlich häufiger oder früher Krebs bekommen als Lakto-Abstinenzler. Doch das überzeugt die Skeptiker nicht. In Deutschland ist Bodo Melnik, Hautarzt und Medizinprofessor an der Uni Oldenburg, die lauteste warnende Stimme. Wegen der Micro-RNA sieht er in der Milch einen „hochbrisanten Cocktail“, den man meiden sollte.

Genau darum ging es in dem Auftrag, den jüngst das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erteilte: Die Behörde sollte zu möglichen Gesundheitsrisiken durch in Milch enthaltende Micro-RNA Stellung nehmen. Eine undankbare Aufgabe, weil eben so wenig Konkretes überhaupt erforscht ist. So lautete die Schlussfolgerung, veröffentlicht Ende Mai: „Die zurzeit verfügbaren Daten lassen den Schluss nicht zu, dass von Micro-RNA in der Milch gesundheitliche Risiken ausgehen.“

Eine entscheidende Frage ist hier natürlich, ob die Micro-RNA überhaupt über den Darm in den Organismus gelangt. Untersuchungen, die es dazu gibt, sind widersprüchlich – und ihre wissenschaftliche Qualität offenbar oft besonders mangelhaft. Laut BfR spricht viel dafür, dass schon im Darm kaum mehr etwas davon vorhanden ist, weil es auf dem Weg dahin bereits abgebaut wird. Dass Micro-RNAs nicht allzu stabil sind, zeigt auch die Tatsache, dass man im Joghurt kaum mehr welche findet. Das ist auch einer der Gründe dafür, dass fermentierte Milchprodukte selbst bei scharfen Milchkritikern insgesamt deutlich besser wegkommen.

Milch ist nachweislich schlecht - für das Klima

Argumente, der Gesundheit wegen Milch wegzulassen, haben derzeit auf wissenschaftlicher Basis jedenfalls nur die, die an Laktoseunverträglichkeit oder Milcheiweißallergie leiden.

„Ich halte Milch für eines der hochwertigsten Proteine und sehe definitiv keinen Grund, hier Zurückhaltung zu empfehlen“, sagt Andreas Pfeiffer, Deutschlands vielleicht bekanntester Ernährungsmediziner, der an der Charité und am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam arbeitet.

Ein gutes Anti-Milch-Argument gibt es aber: Kühe sind sehr bedeutsame Verursacher von Treibhausgasemissionen.

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