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Das Cover des Duden-Ratgebers "Richtig gendern".

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Geschlechtergerechte Sprache: Nützliche Sternchen brauchen keine Amtshilfe

Der Rechtschreibrat befasst sich mit dem Gendersternchen, will sich am Freitag dazu äußern. Ein Gastkommentator zur Daseinsberechtigung alternativer Formen. Ein Gastbeitrag.

Die amtliche Rechtschreibung ist, wie es sich für alles Amtliche gehört, gegenüber der Praxis oft leicht angestaubt. Das zeigt sich auch an orthografischen Verkürzungen von geschlechtergerechten Doppelformen wie „Patientinnen und Patienten“. Offiziell erlaubt ist hier nur die sogenannte „Sparschreibung“ mit Schräg- und Bindestrich: „Patient/-in“. Allerdings nur dann, wenn der Wortstamm für beide Formen gleich ist – „Ärzt/-in“ ist nicht erlaubt, weil es wie eine Verkürzung von „Ärzt und Ärztin“ aussähe.

Außerhalb des Regelwerks haben sich radikalere Formen der Verkürzung etabliert, etwa ein Schrägstrich, der sich um Wortstämme nicht kümmert („Ärzt/in“), oder das Binnen-I („ÄrztIn“). Daneben gibt es Formen, die keine Verkürzung einer Doppelform sondern eine Überwindung der Zweigeschlechtlichkeit signalisieren sollen, wie den Gendergap („Ärzt_innen“) und das Gendersternchen („Ärzt*innen“).

Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Unser Gastkommentator Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

© picture alliance / Ben Stefanowi

Mit all diesen Formen befasst sich nun erstmals der Rechtschreibrat, der dafür schon im Vorfeld kritisiert worden ist. Die Formen seien überflüssig, da das Deutsche längst eine geschlechtsneutrale Form habe – nämlich das Maskulinum. „Arzt“ oder „Chirurg“ bezeichnen nach dieser Theorie als „generische“ Maskulina Männer und Frauen. Wer das nicht verstehe, verwechsle Genus (das grammatische Geschlecht des Wortes) und Sexus (das biologische Geschlecht des Bezeichneten). Diese seien voneinander unabhängig, was man an Wörtern wie „Mensch“ erkenne, die, obwohl grammatisch maskulin, Männer und Frauen meinen, und an Wörtern für unbelebte Dinge, wie „Tisch“, die ein Genus, aber keinen Sexus haben.

Das "generische" Maskulinum ist eine grammatische Fiktion

Tatsächlich verwechselt niemand in dieser Diskussion die Kategorien Genus und Sexus. Das Missverständnis liegt bei denen, die an ein „generisches“ Maskulinum glauben: Sie verwechseln die logische Unabhängigkeit dieser Kategorien mit deren empirischer Unabhängigkeit. Denn bei Personenbezeichnungen korrelieren Genus und Sexus stark: Maskulina bezeichnen hier meist Männer, Feminina dagegen meist Frauen. Vor allem aber sind Wörter, die sich ausschließlich auf Männer beziehen („Mann“, „Mönch“, „Junge“, „Kerl“) immer Maskulina. Wörter, die sich ausschließlich auf Frauen beziehen, sind dagegen Feminina („Frau“, „Nonne“) und vereinzelt Neutra (der Diminutiv „Mädchen“ oder das „Weib“).

Diese Korrelation zwischen Genus und Sexus hat einen nachweisbaren Einfluss auf die Sprachverarbeitung: Eine Vielzahl von Experimenten zeigt, dass grammatisch maskuline Formen bevorzugt auf Männer bezogen werden. Wer etwa einen „Lieblingsmusiker“ nennen soll, erwähnt signifikant seltener Frauen als bei der Frage nach „Lieblingsmusiker oder Lieblingsmusikerin“. Oder: Wer einen Satz über „Sozialarbeiter“ liest und im Folgesatz erfährt, dass „mehrere der Frauen“ keine Jacke tragen, braucht messbar länger, um „Frauen“ auf „Sozialarbeiter“ zu beziehen, als wenn im Folgesatz „mehrere der Männer“ steht.

Der Rechtsschreibrat muss den Sprachgebrauch untersuchen

Diese und andere Experimente zeigen, dass das „generische“ Maskulinum eine grammatische Fiktion ist und alternative Formen eine Daseinsberechtigung haben. Der Rechtschreibrat muss das aber gar nicht diskutieren. Laut Satzung soll er die „Schreibentwicklung“ beobachten und Vorschläge zur „Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache“ machen. Und der Wandel im schriftsprachlichen Umgang mit Geschlecht ist längst sichtbar – die oben genannten Formen finden sich seit Jahrzehnten im Sprachgebrauch verschiedener alternativer Subkulturen und sind von dort aus in die Kommunikation von Medien, Unternehmen und Behörden gelangt.

Ob berechtigt oder nicht, die Formen sind da. Der Rechtschreibrat muss nun untersuchen, wie verbreitet sie sind, wer die jeweilige Form verwendet und was genau damit kommuniziert wird. Dann kann er Empfehlungen aussprechen, oder er kann entscheiden, den Gebrauch dieser Formen weiterhin unreguliert der Sprachgemeinschaft zu überlassen. Wenn sie nützlich sind, werden sie sich auch ohne Amtshilfe durchsetzen.

Der Autor ist Professor für Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Anatol Stefanowitsch

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