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Fassade der Central European University in Budapest.

© REUTERS

Geschlechterforschung: Gender Studies – in Ungarn bald verboten?

Neuer Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit: Die Orbán-Regierung will Geschlechterforschung an den Universitäten untersagen.

Warum verdienen Frauen europaweit 16 Prozent weniger als Männer im gleichen Beruf? Wie kann der Staat besser gegen häusliche Gewalt vorgehen? Wie können die Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren besser geschützt werden? Das sind einige Fragen, mit denen sich der Forschungsbereich Gender Studies, oder Geschlechterforschung, auseinandersetzt. Auch für Menschen in Ungarn sind diese Fragen wichtig, doch dort darf vielleicht nicht mehr lange nach Antworten geforscht werden. Wie bereits kurz gemeldet, plant eine Verfügung des ungarischen Ministeriums für Humanressourcen (EMMI), den Unterricht in Geschlechterforschung zu verbieten.

Das Verbot beträfe zwei Universitäten: Nur an der privaten Central European University (CEU) und an der Eötvös-Loránd-Universität Budapest (ELTE), einer der größten des Landes, werden Masterstudiengänge in Gender Studies angeboten. Insgesamt wären jährlich nur einige Dutzend Studierende von dem Verbot betroffen.

Gender Studies könnten aus der Liste akkreditierter Studiengänge fallen

Noch ist die genaue Bedeutung eines möglichen Verbots nicht klar: Entweder könnte die Regierung beschließen, den Studiengängen die staatliche Finanzierung zu entziehen. Das würde nur die ELTE betreffen, da die CEU den Studiengang unabhängig von staatlichen Geldern betreibt. Die zweite Option wäre das Streichen der Gender Studies aus der Liste der national akkreditierten Studiengänge.

Der Vorgang zeigt aber vor allem, wie willkürlich die Fidesz-KDNP-Regierung, die zwei Drittel der Abgeordneten im ungarischen Parlament stellt, über die Forschungsfreiheit walten kann. Die Universitäten hatten – mitten in der Sommerpause – nur 24 Stunden Zeit, um auf die Vorlage zu reagieren. Das Verbot sei fachlich unbegründet, vor allem da der Studiengang den langfristigen Bedarf an wichtigen Fachkräften im Land sichert, heißt es von Seiten der ELTE. Es gibt ihn dort erst seit einem Jahr. Noch 2016 hatte die zuständige Behörde die Akkreditierung überprüft und bestätigt. „Der Entwurf ist verfassungswidrig, da er in die Bildungsfreiheit eingreift“, sagt Éva Fodor, Prorektorin für die Fachbereiche der Sozial- und Geisteswissenschaften an der CEU. Aktuell wird auch über die Finanzierung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften diskutiert, die in Zukunft stärker von der Regierung abhängen soll.

Eine offizielle Erklärung für das geplante Verbot gab es zunächst nicht. Mittlerweile haben Regierungspolitiker die Unwirtschaftlichkeit des Studiengangs und den mangelnden Bedarf an Absolventen auf dem Arbeitsmarkt als Gründe hervorgebracht. „Keiner möchte ,Genderologen‘ einstellen, deshalb müssen sie auch nicht ausgebildet werden“, sagte Zsolt Semjén, Parteivorsitzender der christlich-nationalen Volkspartei KDNP, Koalitionspartner der Regierungspartei Fidesz.

Rektoren und Konservative protestieren gegen drohendes Verbot

Weltweit gilt Geschlechterforschung vielen rechten Parteien und katholischen Institutionen als Ideologie. Trotz zahlreicher Veröffentlichungen in anerkannten Publikationen wird die wissenschaftliche Basis des interdisziplinären Fachs angezweifelt. Auch in Deutschland wird die Finanzierung der Gender Studies von verschiedenen Seiten als Geldverschwendung kritisiert, Genderforscherinnen sind Bedrohungen und Hasskommentaren ausgesetzt. Der Angriff auf den Studiengang sei ein Symbol, sagt Zsolt Enyedi, Politikwissenschaftler und Prorektor für ungarische Belange der CEU. Die Regierungsparteien versuchten damit, „den Hardliner-Wählern zu zeigen, dass sie einen Kreuzzug gegen die westliche Welt führen“. Denn diese trüge zum Moralverfall in Ungarn bei.

Die Reaktionen auf ein mögliches Gender-Studies-Verbot waren dennoch laut und überparteilich solidarisch. Die Ungarische Rektorenkonferenz sprach sich gegen ein Verbot aus. Gábor Bencsik, Redakteur der christlich-konservativen Wochenzeitung „Demokrata“ bezeichnete die 24-Stunden-Frist als „Beleidigung“ und „Arroganz der Mächtigen“. Er rief konservative Intellektuelle in einem Artikel auf, „ihre eigene Regierung vor ihren Fehlern zu bewahren“.

International sprachen nicht nur die Europäische Vereinigung für Genderforschung ATGENDER, sondern auch die Internationale Soziologische Vereinigung und zahlreiche Universitäten, wie die London School of Economics, ihre Sorge aus – und ihre Solidarität mit den betroffenen Fakultäten.

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