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Auf einem Foto aus den frühen 1950er Jahren sitzen Studentinnen und Studenten auf Sesseln an einem Teetisch und unterhalten sich.

© Gerd-Viktor Krau/Fotoarchiv der deutschen Kinemathek

Geschichte des Klubhauses der Freien Universität: Vom Imma-Tee zur Wasserschlacht mit dem SDS

Eine Villa für brave und wilde Studierende: Das 1950 unter anderem als Tagesheim für Oststudenten gegründete Klubhaus der Freien Universität Berlin steht leer.

Es ist einer der großen Momente in der Frühgeschichte der 1948 gegründeten Freien Universität Berlin. Am 2. Januar 1950 übergibt der FU-Rektor (und Mitbegründer und erste Herausgeber des Tagesspiegels) Edwin Redslob die idyllisch am Zehlendorfer Waldsee gelegene Villa Goethestraße 49 in Anwesenheit von Oberbürgermeister Ernst Reuter an die Studentenschaft der jungen Universität.

Täglich von 11 bis 21 Uhr soll das Haus offenstehen, namentlich für jene, die aus dem Umland, also aus der DDR, zum Studium nach Dahlem pendeln. Doch hinter der Idee vom Studentenheim mit Bibliothek, Schachtisch und Musikzimmer steckt noch eine andere Überlegung: Es sollte eine Alternative geben zu den Häusern der Burschenschaften, denn die FU war von Anbeginn gegen schlagende und Farben tragende Verbindungen eingestellt.

Der Jurastudent und spätere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) wurde noch zu Beginn der 60er Jahre als Vorsitzender des Allgemeinen Studentenausschuss (Asta) abgewählt, als seine Mitgliedschaft in einer Burschenschaft bekannt wurde.

900 DM West Miete für die Villa am See

Es ging ruck-zuck damals: Am 1. November 1949 spricht sich Bundespräsident Theodor Heuss – im Einklang mit der Westdeutschen Rektorenkonferenz – bei der Eröffnung des Wintersemesters an der FU gegen ein Wiederaufleben der alten studentischen Verbindungen aus.

Drei Wochen später beschließt das Kuratorium, der Studentenschaft ein eigenes Klubhaus zur Verfügung zu stellen, schon eine Woche danach wird über zwei Immobilien im Nahbereich des Campus gesprochen, am 19. Dezember bereits der Mietvertrag für die etwas abseits gelegene Villa in der Goethestraße unterzeichnet.

Genauer: Für zwei Häuser, denn das benachbarte, ursprünglich für den Chauffeur des Eigentümers errichtete Gebäude, gehörte dazu: 900 DM West betrug die Miete für das Ensemble mit Seezugang.

Rückansicht einer repräsentativen Villa mit Freitreppe zum Garten.
Villa am Waldsee - ein Haus mit expressionistischen Bauelementen, das heute unter Denkmalschutz steht.

© Reinhard Friedrich

Bauherr war 1924 der Ingenieur Adolf Wiecke, Generaldirektor in der mitteldeutschen Stahlindustrie mit Sitz in Berlin, Ehrensenator der Technischen Hochschule Dresden und Kuratoriumsmitglied des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Eisenforschung in Düsseldorf. Als Architekt ist Willy Kämper jr. verzeichnet, der sonst kaum Spuren hinterlassen hat.

Die Villa am Waldsee aber steht seit 1995 wegen ihrer „geschichtlichen und künstlerischen Bedeutung“ unter Denkmalschutz. Die Denkmalpflege spricht vom „expressionistischen Formenrepertoire“ in der Fassade eines ansonsten eher kompakten Gebäudes.

Der Hausherr im Fadenkreuz der Nazis

Hausherr Wiecke allerdings stirbt früh, und die Immobilie wird 1928 von Friedrich Georg Knöpfke erworben. Erst Verlagskaufmann, dann Führungskraft bei der Deutschen Grammophon, stößt er schon 1923 zum Radio und wird Direktor der Funk-Stunde AG.

Am 29. Oktober macht er die historische Ansage: „Achtung, Achtung. Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus auf Welle 400. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telephonischem Wege beginnt.“

Fünf junge Männer in Anzug und Schlips sitzen vor Teetassen und Gläsern mit Alkohol an einem runden Tisch.
50er-Jahre Herrenrunde im Tagesheim - mit Tee, edlem Tröpfchen und Zigarre.

© Reinhard Friedrich

Der Hörfunkpionier gerät dann allerdings in den Strudel einer nie gänzlich aufgeklärten Affäre um angebliche Bestechung und Steuerhinterziehung. Und ins Fadenkreuz der Nazis, die dem demokratischen Rundfunk den Prozess machen wollten. Ein großes Thema in der Presse: Flucht in die Schweiz, Verhör beim Staatsanwalt, Beschlagnahme des Hauses, Haft und Haftverschonung, schließlich Selbstmord. Was nicht in der Presse stand: Gestapo, KZ, Misshandlung.

Adressbücher sind unsentimental: Wo in einem Jahr „Knöpfke, F. G., Direktor“ verzeichnet ist, steht im Folgejahr „Knöpfke, M., Witwe“. Nach dem Tod ihres Mannes zieht der Chauffeur aus, ein Fotograf und Maler namens Scheper, H. zieht ein: Hinnerk Scheper, der frühere Leiter der Wandmalereiwerkstatt am Bauhaus Dessau und spätere Denkmalpfleger von West-Berlin.

Die Studentenschaft übernimmt die Regie

Witwe Margarete Knöpfke ist es, die 1949 der Freien Universität das Haus vermietet, ausdrücklich „zur Benutzung als Clubhaus der Studentenschaft“. Und die Studentenschaft übernimmt dann auch die Regie, und zwar durch den jeweiligen Kulturreferenten des Astas.

Das ist zuerst der spätere Professor für Religionswissenschaften, Klaus Heinrich, der Offene Abende einrichtet zum Austausch mit Literaten, Musikern und Malern – mit Arrivierten wie auch dem Nachwuchs in den eigenen Reihen. Der in der Nachbarschaft wohnende Galerist Rudolf Springer ermöglicht kleinere Kunstausstellungen, der Orientalist Walther Braune führt allwöchentlich thematisch offene – und öffentliche – „Mitternachtsseminare“ durch, deren Name sich aus der Abfahrtszeit des letzten Zugs vom U-Bahnhof Krumme Lanke ableitet.

Zwei weibliche Gäste des Klubhauses unterhalten sich in der Küche mit zwei Mitarbeiterinnen, die abwaschen, beziehungsweise abtrocknen.
In Sommerkleid und Kittelschürze - Spaß mit der Küchencrew Mitte der 70er Jahre.

© Reinhard Friedrich

Die diversen studentischen Gemeinschaften an der FU – vom Kliniker-Klub über die Freunde der Publizistik, die Evangelische Studentengemeinde und die Liberale Hochschulgruppe bis hin zur Europa-Union – füllen das Haus mit Hunderten von Veranstaltungen und Tausenden von Besucherinnen und Besuchern.

Eine Dienstwohnung für die Heimleiterin

Kein Wunder also, dass die FU schon 1952 über ein Angebot Knöpfkes zum Erwerb des Hauses nachdenkt – allein, es fehlt das Geld. Erst 1965 kommt es dann doch noch zum Kauf der Immobilie durch das Land Berlin, wobei allerdings das Grundstück geteilt wird und das durchaus ansehnliche Chauffeurshaus bei den Erben der Witwe Knöpfke bleibt.

Für die Heimleiterin wird nun ersatzweise eine Dienstwohnung im Obergeschoss des Klubhauses eingerichtet, aus der später Gästezimmer werden für Besucher der FU.

Das gesellige Leben führt unterdessen zu Konflikten mit der Nachbarschaft. Schon 1951 klagen die Heubners von nebenan über „beispiellosen Lärm“ zu nächtlicher oder gar morgendlicher Stunde. Die Leitung der FU bittet daraufhin die Dekane, in den Fakultäten darauf hinzuweisen, dass solcher Lärm „unter allen Umständen unterbleiben muss“. Sie bittet damit auch Nachbar Heubner, denn der ist selbst Dekan, in der Medizin.

Keinen Anstoß erregen dagegen die „Imma-Tees“, die Teenachmittage für die Neuimmatrikulierten, oder die Kämpfe an der Tischtennisplatte. Insgesamt, so erinnert sich der Religionswissenschaftler Hartmut Zinser, der Mitte der 60er Jahre Kulturreferent des Astas war, seien im Klubhaus die Sitten streng eingehalten worden.

Studenten sitzen bei einer Konferenz an einem Podium, in der Mitte sitzt Rudi Dutschke.
Studierende bei der 1968 vom SDS organisierten "Internationalen Vietnam-Konferenz" an der TU in Berlin. In der Mitte auf dem Podium: Rudi Dutschke.

© Volkmar Hoffmann/picture alliance/dpa

Plötzlich laufen alle barfuß

Das aber ändert sich offenbar schlagartig: Im Juni ’68 wird dem Verwaltungschef der FU berichtet, dass bei einem Treffen des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) überall Scherben, Asche, Essensreste herumliegen, dass alle barfuß laufen, größtenteils im Badeanzug, dass Studenten mit dem Boot des Nachbarn auf dem See fahren und dass dieser Nachbar „mit dem Wasserschlauch von den SDS-Mitgliedern attackiert“ worden sei.

Zu diesem Zeitpunkt lagen die Schüsse auf den SDS-Häuptling Rudi Dutschke, die ihn nur wenige Schritte entfernt vom SDS-Büro am Kurfürstendamm niederwarfen, erst einige Wochen zurück – er konnte also nicht dabei gewesen sein.

Aber auch Dutschke hatte ein Klubhaus-Erlebnis, weit harmloser und doch unerfreulich: 1964 habe er sich im Klubhaus bei einer Studentenorganisation für einen Arbeits- und Studienaufenthalt in Afrika beworben, erzählt der spätere Chef der Studienabteilung der FU, Traugott Klose. Doch Dutschke wurde abgelehnt. Er sei so dominant aufgetreten, dass man ihn nicht für teamfähig hielt, sagt Klose, der damals noch Physikstudent an der TU und Mitglied der Auswahlkommission war.

Ärger über ein Treffen zwischen Asta und FDJ

Im Sommer 1966 gab es im Klubhaus sehr zur Erregung der überwiegend antikommunistisch gestimmten West-Berliner Öffentlichkeit und – wie Zinser sich erinnert – „zum Unwillen des Senats“ ein Treffen zwischen Asta und FDJ-Funktionären der Ost-Berliner Humboldt-Universität. Den Rektor der FU, Hans-Joachim Lieber, hatte man vorher gar nicht erst gefragt. Besonders ergiebig war das Treffen nicht, ein Politikum war es allemal.

Knut Nevermann, damals Asta-Vorsitzender, kam sehr viel später als Staatssekretär für Wissenschaft zurück ins Klubhaus. Da habe er scherzhaft kritisiert, dass das Haus der Studentenschaft geraubt worden sei, erinnert er sich. Und tatsächlich schaffte das Berliner Hochschulgesetz von 1969 den Asta ab, dem das Klubhaus ja unterstellt war.

Die Studierendenschaft war in jener Zeit eher mit dem Krieg in Vietnam beschäftigt als mit der Villa in Zehlendorf. Ohnehin hatte sich das Leben der Studenten und Studentinnen, die in den Anfangsjahren der FU noch großenteils in untervermieteten Zimmerchen der umliegenden Stadtteile hausten, inzwischen nach Kreuzberg und Charlottenburg verlagert. Und nach dem Mauerbau war ein Tagesheim für Kommilitonen aus dem Osten auch entbehrlich: Es konnte ja niemand mehr pendeln.

Ein Aufschrei der Studierenden zur Rettung ihres Klubhauses – Go-In, Sit-In, was auch immer – ist nicht dokumentiert. In diesem Moment griff der Chef des FU-Außenamts, Horst Hartwich, zu. Er habe sich, so Zinser, das Haus verdienstvollerweise für die FU „unter den Nagel gerissen“. Es wäre sonst verkauft worden.

Empfänge für die Neuberufenen

So aber blieb es für weitere 50 Jahre ein Ort des intimen Gedankenaustausches, des förmlichen wie des informellen Beisammenseins: Empfänge für die Neuberufenen der Freien Universität, Promotions- und Habilitationsfeiern, Emeritierungen, aber auch Gremiensitzungen fanden hier ein wenig abseits des Campus statt. In langen Sitzungen wurden Forschungsprojekte besprochen oder Studienordnungen entwickelt.

Seit über einem Jahr aber steht das Haus inzwischen leer; das von Neon hinterleuchtete Schild des im Zuge der Zeit vom Klubhaus zum Clubhaus mutierten Treffpunktes ist entfernt. Die FU wollte das Gebäude der Universität der Künste für deren Kunsterzieherausbildung zur Verfügung stellen, doch das scheiterte an baulichen Gegebenheiten.

[Lesen Sie auch eine kleine Berlin Universitätsgeschichte rund um die FU und ihren Aufstieg von der Massen- zur Exzellenzuniversität: Exzellent gemacht]

Noch hat die FU nach eigener Auskunft keinen neuen Plan: „Im Augenblick werden weitere Nutzungsszenarien geprüft“, heißt es auf Anfrage. Offenkundig ist, dass der Bau dringend sanierungsbedürftig ist – dem Vernehmen nach ein Millionenprojekt.

Die FU findet andere repräsentative Räume

Ex-Präsident Johann W. Gerlach, der auch mal seinen Geburtstag dort feierte, hat noch die Weinproben mit dem sachkundigen Chef des Außenamtes und einigen Dekanen in Erinnerung, bei denen entschieden wurde, was für die protokollarischen Termine der Uni angeschafft werden sollte.

Doch wichtiger ist ihm die ideelle Bedeutung des Klubhauses: Die ausländischen Stipendiaten, die man dort regelmäßig versammelt habe, hätten sich durch das Ambiente geehrt gefühlt. Und wer immer das Haus sonst besucht habe, sei „beseelter nach Hause gegangen als er gekommen war“.

Doch seit 1994 hat die FU ein sehr vorzeigbares Präsidialamt in der Kaiserswerther Straße, die frühere Alliierte Kommandantur. Und neuerdings steht der Universität auch die umfassend modernisierte frühere Direktorenvilla des Botanischen Gartens für Repräsentatives zur Verfügung. Was immer jetzt also aus dem Haus in der Goethestraße wird, für das Klubhaus scheint die Zeit abgelaufen zu sein.

Christian Walther

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