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Ein Kleinkind steht mit zwei Erwachsenen auf einem Spielplatz im Sand.

© picture alliance / Andreas Geber

Geschichte der Adoptionen in Deutschland: „Man lebte hier lange mit der Illusion der elternlosen Kinder“

An der Technischen Universität Dresden werden Lebenswege adoptierter Kinder seit der Nachkriegszeit erforscht. Ein Gespräch über Wurzeln und Wohlergehen.

Das Interview mit der Historikerin Bettina Hitzer vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden führte Adelheid Müller-Lissner. Hitzer leitet das Projekt „Zugehörigkeit. Die Geschichte der Adoption von Kindern 1945-2000“. Vom Team gesucht werden noch Eltern, die zwischen 1955 und dem Jahr 2000 Kinder adoptiert haben, und Menschen, die in diesem Zeitraum adoptiert wurden, als Studienteilnehmer:innen (Kontakt unter: adoptionsstudie@tu-dresden.de). Weitere Informationen zum Forschungsprojekt unter: https://hait.tu-dresden.de/ext/forschung/forschungsprojekt-5149/

Frau Hitzer, einen Schwerpunkt Ihres Projekts zur Geschichte der Adoptionen im Nachkriegs-Deutschland bildet die Auswertung individueller Adoptions-Geschichten. Was macht diese Geschichten für die Geschichtswissenschaft interessant?
Sie geben uns eine Idee davon, wie sich gesellschaftliche Vorstellungen über Familie, Identität, Herkunft und Fremdheit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verändert haben. Zum Thema „Auslandsadoption“ zeigt das etwa die Geschichte von Anneli Schinkel, die 1982 als Kim Kyong Jo in die Bundesrepublik Deutschland kam und später das Buch „Seidentochter“ schrieb.

Sie wurde Anfang der 80er Jahre als Baby adoptiert, kam 2005 auf Einladung der dortigen Regierung erstmals nach Korea, begegnete dort ihren leiblichen Eltern und setzte sich mit dem Spannungsfeld zwischen biologischer Herkunft und kultureller Prägung auseinander.

Wie ist das historisch einzuordnen?
Diese Geschichte verweist auf das in den 70er und frühen 80er Jahren vorherrschende Konzept, man helfe „elternlosen“ Kindern aus diesen Ländern am besten, indem man sie in Familien in westlichen Ländern bringt. Diese Vorstellung von humanitärer Hilfe ist inzwischen in die Kritik geraten. Das Haager Adoptions-Übereinkommen von 1993 und die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 beinhalten, dass die Kinder wenn irgend möglich im Herkunftsland aufwachsen sollten.

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Die „transnationale“ Adoption, bei der Kinder vor allem aus asiatischen Ländern adoptiert wurden, war während der Zeit des Kalten Krieges ein „westliches“ Phänomen. Wie stellte sich die Situation bezüglich transnationaler Adoptionen in der DDR dar?
Jetziger Forschungsstand ist, dass es das praktisch nicht gab. Das lag vor allem am niedrigen Status von Eltern- und Familienrechten in der DDR. Zudem war die Integration von sichtbar „Fremden“ in der DDR-Bevölkerungspolitik nicht vorgesehen. Kinder aus dem globalen Süden durften zwar durchaus in der DDR aufwachsen, wie das Beispiel der SWAPO-Kinder aus Namibia zeigt, allerdings weitgehend getrennt von der übrigen DDR-Gesellschaft im Kinderheim.

Ein Porträtbild.
Die Historikerin Bettina Hitzer vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden.

© Saied Sarifi/Promo

Was weiß man über „Zwangsadoptionen“ in der DDR, die medial für einigen Wirbel sorgten?
In einer Vorstudie des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, die 2018 erschien, ist präziser von „politisch motivierter Adoption“ die Rede. Inzwischen ermöglicht eine Gesetzesänderung den Zugang zu den Akten, und die Entscheidung, wer die Hauptstudie durchführt, soll in diesem Jahr fallen.

Das Thema ist ausgesprochen kompliziert zu erforschen, denn man muss in jedem einzelnen Fall prüfen, was hinter der Kindeswegnahme stand. In den wenigen bisher genau rekonstruierten Fällen spielte oft eine versuchte oder gelungene „Republikflucht“ eine Rolle. Zugleich wurden Eltern als „asozial“ stigmatisiert – darunter waren auch Fälle, die hätten so auch in der alten Bundesrepublik stattgefunden. Es ging auch um Lebensformen, die nicht erwünscht waren, und das konnte von der SED durchaus politisch gedeutet werden.

Für Menschen, deren Kinderwunsch eine Zeit lang unerfüllt bleibt, bietet die Fortpflanzungsmedizin inzwischen immer weiter verfeinerte Möglichkeiten. Wirkt sich das auf das Adoptionsgeschehen aus?
Von den Zahlen her kann man feststellen, dass in der Bundesrepublik 1978 mit gut 11.000 adoptierten Kindern ein Gipfel erreicht war, danach gab es einen kontinuierlichen Rückgang. Hier spielt neben anderen Faktoren sicher auch die Reproduktionsmedizin eine Rolle, deren Erfolgsgeschichte damals begann.

In Interviews haben mir einige Frauen erzählt, dass sie vor der Adoption zunächst medizinische Hilfe gesucht haben. Bei der Entscheidung für die Reproduktionsmedizin spielt auch die gewachsene Erkenntnis mit, dass schon die Zeit der Schwangerschaft für die Gesundheit des Babys von Bedeutung ist, etwa wie die Mutter sich ernährt, ob sie Alkohol oder andere Drogen nimmt.

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Wie verlief die Entwicklung rechtshistorisch?
Die Zahlen sind auch deshalb zurückgegangen, weil die Adoptionsnovelle von 1977 das Adoptionsverfahren komplizierter gemacht hat und die Voraussetzungen anspruchsvoller geworden sind, die die Adoptiveltern erfüllen müssen. Viele potenzielle Eltern schrecken davor zurück oder sind von vorneherein ausgeschlossen.

In jüngster Zeit ist das Adoptionsrecht jedoch in anderer Hinsicht liberalisiert worden, so dürfen auch gleichgeschlechtliche Ehepaare gemeinsam Kinder adoptieren. Auch heute ist die Zahl der Bewerbungen aber deutlich höher als die der erfolgreichen Vermittlungen.

Ein Buchstabenspiel, mit dem die Wörter Papa, Mama und Kind gebildet wurden.
Adoptierte Kinder wollen in aller Regel früher oder später erfahren, wer ihre leiblichen Elternteile sind.

© Jens Kalaene/picture alliance/dpa

Wie hat sich die Sicht auf die Bedeutung der biologischen Herkunft einerseits und der kulturellen Prägung andererseits im Verlauf der Jahrzehnte verändert?
Es gibt eine starke Spannung zwischen zwei Entwicklungen. Vor 1977 galten adoptierte Kinder nicht als „verwandt“ mit der weiteren Familie, hatten etwa keine Erbberechtigung gegenüber den Großeltern. Mit der Gesetzesnovelle von 1977 wird aus der „Annahme an Kindes Statt“ die „Annahme als Kind“, die Adoptivfamilie der leiblichen Familie also gleichgestellt.

Gleichzeitig gewinnt das Recht auf Kenntnis der biologischen Herkunft an Bedeutung – auch wenn bei Auslandsadoptionen dieses Argument zunächst zugunsten der humanitären Hilfe zurückgestellt wird, der mögliche Verbleib in der Herkunftskultur also für die Definition des Kindeswohls vorerst keine Rolle spielt.

Dass spätestens ab den 90er Jahren auch hier die Kenntnis der Herkunft wichtiger wird, liegt meines Erachtens einerseits am psychoanalytischen Diskurs über Identität und Trauma,  andererseits an der wachsenden Bedeutung der Genetik, die dieses Wissen auch für die eigene Gesundheit bedeutsam macht. 

Das Wissen über die eigene Herkunft gewinnt damit immens an Bedeutung.
Unbedingt, aber man muss hier zwei Dinge trennen: die Kenntnis der leiblichen Eltern und die Information über die Tatsache der Adoption. Früher, als bei jeder Eheschließung noch die Abstammungsurkunde vorgelegt werden musste, wusste jedes Adoptiveltern-Paar, dass der Moment kommen würde, an dem das Kind von der Adoption erfahren würde.

Es gab allerdings hitzige Diskussionen über den geeigneten Zeitpunkt, dies dem Kind mitzuteilen. Heute ist man sich einig, dass damit ganz früh begonnen werden sollte. Mit dem „Adoption-Rights-Movement“ gewann seit den 70er Jahren zunächst in den USA, später auch in der Bundesrepublik die Forderung nach Wissen über die leiblichen Eltern an Bedeutung. Im Fall der internationalen Adoptionen sind aber die Namen oft nicht bekannt. Man lebte hier lange mit der Illusion der „elternlosen Kinder“.

Welche Methoden kommen in Ihrer Studie zum Einsatz?
Wir wälzen Akten in Archiven, durchforsten die Fachliteratur, die zwischen 1945 bis 2000 zum Thema Adoption und Herkunft erschienen ist, nehmen Filme, Romane und Kinderbücher unter die Lupe. Und wir planen mindestens 60 lebensgeschichtliche Interviews.

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