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Doktorgrad. Ein Politikwissenschaftler darf ihn trotz Plagiaten behalten.

© imago/photothek

Gericht weist Doktorentzug zurück: Ein Plagiat, das die Prüfer kannten

Seltenes Urteil: Ein Gericht macht den Entzug eines Doktorgrades rückgängig. Der Grund: Die Uni wusste schon bei der Verleihung des Titels um die Mängel.

Wolfgang Dippel ist seit über einem Vierteljahrhundert Doktor der Politikwissenschaft und bleibt es auch. Gerade war er 2015 Staatssekretär im Hessischen Sozialministerium geworden, da machte ein Nachrichtenportal auf seine längst verstaubte Dissertation über die Gemeinde Breuna aufmerksam, einen Luftkurort mit dreitausend Einwohnern.

Die Doktorarbeit war – letztlich auch vor Gericht unbestritten – in weiten Teilen aus einer vergleichbaren Untersuchung plagiiert. Deshalb wollte die titelverleihende Uni Kassel den Doktorgrad nachträglich entziehen. Mangels eigenständiger wissenschaftlicher Leistung hätte die Dissertation nie angenommen werden dürfen.

Die Hochschule scheiterte aber mit der Degradierung jetzt endgültig vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Aktenzeichen 10 A 1651/18.Z), weil alle Mängel schon der damaligen Prüfbehörde genau bekannt waren. Deshalb könne von einer „vorsätzlichen Täuschung“ durch den Doktoranden und der Hochschule als seinem Opfer keine Rede sein.

Ein "zäher Betreuungsprozess" der Doktorarbeit

Doktorvater Eike Hennig erinnert sich konkret so: Es sei „Konsens der Gutachter und Prüfer“ gewesen, das Promotionsverfahren nach einer „langen, inhaltlich schwierigen Textproduktion schnellstmöglich und einvernehmlich zum Ende zu bringen“. Für ihn selber sei alles ein „zäher Betreuungsprozess“ gewesen.

Die schwache Note „bestanden“ (mit später vergessenen Auflagen zur Nachbesserung) trage den wissenschaftlichen Mängeln Rechnung. Darüber, so Hennig juristisch pointiert vor Gericht, seien er und seine Mitprüfer „nicht getäuscht worden“, ja „hätten auch nicht getäuscht werden können“.

[Lesen Sie hier: Wie Hochschulen mit Plagiaten umgehen - und wie sie es Plagiierenden oft leicht machen.]

Die Täuschungsabsicht ist das A und O für die Aberkennung des Doktorgrades, wie der Hamburger Rechtsprofessor und zeitweilige Vorsitzende des bundesweiten Beschwerdegremiums für die Wissenschaften, Hans-Heinrich Trute, gelegentlich klarstellte: „Typischerweise geht es bei der Titelentziehung gar nicht direkt um das Plagiat. Die Täuschung ist juristisch gesehen der relevante Ansatzpunkt, das Plagiat spielt implizit eine Rolle.“ Demnach wird die objektive Fehlleistung erst mit der Täuschung der prüfenden Fakultät sanktionswürdig.

Die Kasseler Richter sagen das klipp und klar so: „Ob eine Täuschung vorliegt, ist nicht aus der Sicht eines am Promotionsverfahren nicht beteiligten Lesers der Arbeit zu beurteilen, sondern aus Sicht der die Dissertation beurteilenden Bediensteten“ der Hochschule. Eine spätere Nachprüfung könne höchstens ganz willkürliche Entscheidungen aufheben.

Das Urteil fällt aus dem Rahmen der üblichen Gerichtsurteile

Die Klarstellung aus Kassel fällt so unzweideutig aus, weil sie aus dem Rahmen der üblichen Gerichtsurteile über Dissertationsplagiate fällt.

Denen genügt durchweg der bloße Nachweis von objektiven Verstößen gegen die „Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens“, irregulären Strickmustern im Textgewebe – schon damit nehme der Doktorand eine vorsätzliche Täuschung in Kauf, heißt es normalerweise. Und dabei darf nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig von 2018 gar „nicht berücksichtigt werden“, wie Betreuer und Prüfer den Doktoranden im konkreten Fall (ver-)leiteten.

Demnach haben die Hochschulen praktisch einen Freifahrtschein, um ihrer eigenen Verantwortung zu entgehen. Aber der Hessische Verwaltungsgerichtshof macht das nicht länger mit.

Hermann Horstkotte

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