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Krankheitssymptome sind je nach Geschlecht oft unterschiedlich. Ein Herzinfarkt etwa äußert sich bei Frauen anders.

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Gendermedizin: Am Herzen wird der kleine Unterschied gefährlich

Für Patienten ist die Geschlechterfrage eine Sache auf Leben und Tod: Haben Männer öfter Herzinfarkte? Oder wird er bei Frauen übersehen?

Als die „Gendermedizin“ um die Jahrtausendwende entstand, war eines der ersten Themen des jungen Gebiets der Unterschied der Geschlechter beim Herzinfarkt: Bei Frauen in jungen Jahren sind sie seltener als bei Männern, später aber werden sie dafür leichter übersehen und schlechter behandelt. Ärzte rechnen bei Frauen weniger damit, die Symptome sind anders und „untypisch“, EKGs weniger aufschlussreich, so erklärte es die amerikanische Kardiologin Marianne Legato in ihrem 2002 erschienenen Buch „Evas Rippe“. Eine im „British Medical Journal“ (BMJ) veröffentlichte Studie legt nun eine weitere Erklärungsmöglichkeit nahe: „Es werden Infarkte übersehen, weil die Schwellenwerte für Warnsignale bei Frauen niedriger angesetzt werden müssten“, sagt Vera Regitz-Zagrosek, Kardiologin am Institut für Geschlechterforschung in der Medizin der Charité auf dem Kongress der Internationalen Gesellschaft für Gendermedizin (IGM), der Ende September in Berlin stattfand (gefolgt vom Internationalen Kongress für Geschlechterforschung in der Medizin).

Ärzte müssen bei Diagnose und Therapie das Geschlecht berücksichtigen

In der BMJ-Studie wurden 1126 Menschen registriert, die im Verlauf einiger Monate mit Verdacht auf einen Herzinfarkt in das Royal-Infirmary- Krankenhaus in Edinburgh eingeliefert wurden. Bei doppelt so vielen Männern wie Frauen bestätigte er sich. Zu den Untersuchungsmethoden, die die Klinikärzte einsetzten, gehörte der Troponin-Test. Dabei wird im Blut nach Spuren eines Eiweißstoffs gefahndet, der auf Schäden des Herzmuskels hindeutet. Für ihre Studie, deren Ergebnisse kürzlich veröffentlicht wurden, setzten die Ärzte um Anoop Shah sowohl den Standard-Troponintest als auch einen neueren, sensibleren Test ein. Zunächst bestätigte sich, was zu erwarten war: Doppelt so viel Männer wie Frauen hatten nach den Standard-Kriterien einen Infarkt. Nur diese Personen wurden anschließend nach allen Regeln der Kunst behandelt. Gleichzeitig hatten die Ärzte zu Forschungszwecken aber auch den sensibleren Test eingesetzt – sodass doppelt so viele Frauen den Grenzwert überschritten, während es bei den Männern nur eine Handvoll mehr waren. Viele der Frauen, die beim empfindlicheren Test auffällig geworden waren, erlitten im Laufe eines Jahres einen Herzinfarkt. Einige starben sogar.

Die Studie zeigt, wie wichtig die Berücksichtigung des Geschlechts bei Tests mit Biomarkern wie Troponin ist. „Einige von ihnen scheinen nur bei Männern, andere nur bei Frauen aussagekräftig zu sein“, sagt Regitz-Zagrosek. „Doch leider hat man das lange Zeit nicht systematisch untersucht.“

Eiweiss-Wert warnt vor Herzkreislauferkrankungen

Das ändert sich jetzt. Zum Beispiel ist das Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten besonders gut vorhersagbar über die Konzentration von Proneurotensin. Dieses Eiweiß ist ein gut messbarer Vorläufer von Neurotensin, das bei der Verwertung von Fett aus der Nahrung eine wichtige Rolle spielt, das aber für Messungen zu instabil ist. „Erhöhte Proneurotensin-Werte im Blut sind auch bei gesunden Frauen ein bedeutsamer Prognosefaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch für Diabetes und Adipositas, die wiederum Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen“, sagt Alan Meisel von der Universität von Kalifornien in San Diego. Das Malmö-Präventionsprojekt, aus dem die ersten Hinweise für die Bedeutung des Proneurotensin stammen, hat auch gezeigt, dass hohe Werte mit einem erhöhten Risiko für Brustkrebs einhergehen. Das mag daran liegen, dass Brustkrebszellen besonders sensibel auf Neurotensin reagieren, weil sie viele Andockstellen für das Eiweiß auf ihrer Zelloberfläche haben. Dem lässt sich mit Diäten entgegenwirken, die die Konzentration von Proneurotensin im Blut reduzieren.

Bei mancher Therapie wirkt sich der Unterschied zwischen den Geschlechtern mitunter erheblich auf die Erfolgschancen aus. Bei der Tavi-Methode etwa, bei der eine defekte Aortenklappe des Herzens ohne Operation mittels Herzkatheter ersetzt wird, profitieren eher Frauen als Männer. Das hat eine Metaanalyse von Verena Stangl von der Medizinischen Klinik und Poliklinik mit Schwerpunkt Kardiologie an der Charité ergeben. „Weitere Details werden zeigen, welche Konsequenzen man bezüglich der Therapie daraus ziehen kann – für beide Geschlechter“, sagt sie.

Schon Nabelschnurblut unterscheidet sich je nach Geschlecht

Wie sich die Geschlechtsunterschiede etablieren, untersucht Stangls Arbeitsgruppe an Zellen aus Nabelschnurblut – bereits so früh sind Unterschiede zwischen dem Blut von Mädchen und Jungen erkennbar. „Weibliche Neugeborene haben ein stabileres Immunsystem, weibliche Zellen können besser Verbindungen miteinander eingehen, Wundheilungen verlaufen besser“, sagt die Kardiologin.

Geschlechtsunterschiede bei Stoffwechselerkrankungen untersuchen Forscher vom Institut für Diabetes und Regenerationsforschung am Helmholtz-Zentrum in München an weiblichen und männlichen Mäusen. Susanna Hofmanns Team widmet sich Entzündungen im Gehirn der Nager, die im Zusammenhang mit fettreicher Ernährung stehen. „Bei diesen Prozessen spielen zwei Zellpopulationen eine Rolle“, sagt Hofmann. „Eine von ihnen, die Astrozyten, ist bei weiblichen Mäusen vermehrt aktiviert.“

Im Rahmen der Arbeitsgruppe „Women and Diabetes“ widmet sich Hofmann auch dem „guten“ Cholesterin HDL. Substanzen, die den HDL-Werten aufhelfen könnten und schon zur Behandlung der Arteriosklerose geprüft werden, könnten eines Tages auch bei Frauen mit einem Diabetes vom Typ 2 zum Einsatz kommen. „Frauen, die schon vor den Wechseljahren einen Diabetes entwickeln, verlieren komplett den hormonellen Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt Hofmann. „Ihr Risiko ist gegenüber Männern deutlich erhöht.“

Geld nur noch für geschlechterbewusste Forschungsprojekte

In der Forschung führt an Geschlechterdifferenzierung kein Weg mehr vorbei: Die amerikanische Gesundheitsbehörde NIH hat im Juni dieses Jahres geraten, nur noch solche Forschungsprojekte zu fördern, die Geschlechterspezifik berücksichtigen. Für die EU erarbeitet das Projekt „EuGenMed“ eine „Roadmap“ für solche Rahmenbedingungen. „Systematische Sex- und Genderanalysen müssen in die biomedizinische und in die Gesundheitsforschung eingebracht werden“, fordert Ineke Klinge, an EugenMed beteiligt und zurzeit Gastprofessorin am Berliner GIM. Studien würden dadurch zwar meist aufwendiger und teurer. Aber eine geschlechtersensiblere Medizin könne die Menschheit auch gesünder machen.

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