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Mit der "Crispr"-Technik, einer Art Genschere, lassen sich an jeder beliebigen Stelle im Erbgut DNS-Stücke einsetzen oder herausschneiden.

© Sisters of Design

Genchirurgie: Revolution im Labor

Die einen fürchten sich vor dem "Menschen nach Maß", die anderen schwärmen von ungeahnten medizinischen Möglichkeiten. Aber wenn es um Crispr - und damit die Genchirurgie - geht, sind weder Hype noch Panikmache angemessen. Plädoyer für eine sachliche Debatte.

Wissenschaftler bringen das Wort „Revolution“ nicht so leicht über die Lippen. Wenn es aber um ein Werkzeug namens Crispr (sprich: Krisper) geht, sind manche regelrecht euphorisch. Es erleichtert ihre Arbeit in einem Ausmaß, dass es sich innerhalb kürzester Zeit weltweit durchgesetzt hat. Statt zum Beispiel jahrelang eine Maus zu züchten, der ein einziges Gen fehlt, können sie nun in ein paar Wochen mehrere Stellen im Erbgut ausschneiden, reparieren, an- oder abschalten. Das macht nicht nur Tierversuche realistischer. Genetische Ursachen von Krankheiten und biologische Mechanismen kann man so auch in der Petrischale besser analysieren.

Ein weiterer Vorteil: Während die ersten Skalpelle der Genchirurgie tausende Euro kosteten und kompliziert zu handhaben waren, ist Crispr vergleichsweise einfach und billig. Und je mehr Forscher damit arbeiten, desto schneller beseitigen sie die noch existierenden Macken. Aus der molekularbiologischen Grundlagenforschung ist Crispr kaum noch wegzudenken.

Albtraum Designerbaby und Wunderwerkzeug

Diese wahre Revolution kümmerte kaum einen außerhalb der Labore – bis chinesische Wissenschaftler im Frühjahr 2015 verkündeten, sie hätten das Erbgut menschlicher Embryonen verändert. Nicht besonders erfolgreich und nicht mit dem Ziel, sie einer Frau einzusetzen. Trotzdem hatten sie eine rote Linie überschritten. Crispr steht seitdem im gleißenden Licht der Öffentlichkeit. Der Albtraum von den „Designerbabys“, vom „Menschen nach Maß“ ist in die Köpfe zurückgekehrt.

Andere sehen Crispr fast als Wunderwerkzeug. Man könne damit die Killerzellen des Immunsystems (T-Zellen) „wie kleine Computer umprogrammieren“, sodass sie fortan einen Krebs erkennen und bekämpfen, jubelt beispielsweise der 36-jährige Internet-Milliardär Sean Parker. Der Napster- Gründer und erste Facebook-Präsident finanziert Versuche der Forscher um Carl June von der Universität von Pennsylvania. In sechs Kliniken wollen sie Krebspatienten Blutzellen entnehmen und zwei Gene mithilfe von Crispr ändern. Wenn die T-Zellen danach etwa den Knochenmarkskrebs erkennen können, sollen sie im Körper der Patienten die Verteidigung übernehmen. Über die Sicherheit und ethische Vertretbarkeit dieser ersten Versuche, Crispr beim Menschen einzusetzen, berät gerade ein Komitee. Für Parker ist jetzt schon klar, dass es um nicht weniger geht als „ein Manhattan-Projekt“ für die Krebstherapie.

Was ist eigentlich "natürlich"?

Die Hoffnungen, die Crispr bei Patienten wecken kann, sind mindestens so groß wie die Ängste vor jeglicher Genmanipulation. Umso wichtiger ist es, sich sachlich über Grenzen und Risiken zu verständigen. So ist es fast überfällig, dass sich am Mittwoch der Deutsche Ethikrat mit dem Thema beschäftigt. Offene Fragen gibt es genug. Wann ist eine Gentherapie mit Crispr eigentlich sicher und effektiv genug, um damit schwer kranke Erwachsene zu behandeln? Und was gilt als „natürlich“, wenn bei Pflanzen keine fremden Gene eingebaut werden, sondern Veränderungen, die auch die Evolution hervorbringen kann? Sollte man das regulieren? Und wie?

Besonders heikel: Das deutsche Embryonenschutzgesetz ist veraltet, es lässt absurde Lücken. Mit Embryonen darf hierzulande nicht geforscht werden, steht dort. Sie mit Crispr zu verändern, um die menschliche Entwicklung zu ergründen, wäre also tabu. Straffrei bleibt dagegen, wer ein solches Baby austrägt. Dabei ist es genau dieses Szenario, das Forschern kalte Schauer über den Rücken jagt. Denn das Kind würde die (wahrscheinlich fehlerhaften!) Veränderungen an alle künftigen Generationen weitergeben.

Die Fehler der Stammzelldebatte nicht wiederholen

Es gilt, die Technik weder zu verteufeln noch in den Himmel zu loben. Wohin diese Fehler führen, hat die Stammzelldebatte gezeigt. Aus Hype wurde herbe Enttäuschung, als es doch nicht so schnell vorwärtsging. Gleichzeitig schossen in einigen Ländern Kliniken aus dem Boden, die Kranken das Blaue vom Himmel versprachen, ihnen das Geld aus der Tasche zogen und letztlich doppelt und dreifach schadeten. Die Forschung, die diese Medizin tatsächlich voranbringen kann, wurde dagegen in Deutschland in eine Zwangsjacke gepresst.

Vielleicht finden Politik, Öffentlichkeit und Forschung dieses Mal eine vernünftige Balance. Und vielleicht hilft es, sich daran zu erinnern, dass Crispr im Moment vor allem die Grundlagenforschung revolutioniert.

Die Jahressitzung des Ethikrats zum Zugriff auf das menschliche Erbgut wird am Mittwoch, 10 bis 18 Uhr, in einem Livestream übertragen.

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