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Igel müssen sich bis Ende Herbst ausreichend Fettpolster für den Winterschlaf anfuttern, den sie bis in den Mai ausdehnen können.

© Sebastian Kahnert/dpa

Genaue Gründe noch unklar: Stadt-Igel werden seltener

Urbane Räume gelten als das Gegenteil von „Natur“, bieten einigen Tieren jedoch gute Lebensräume. Für Igel scheint sich das zu ändern.

Es herrscht großer Andrang in der Aufnahmestation des Arbeitskreises Igelschutz Berlin. Mehr als 100 Tiere sind derzeit in dem ehemaligen Ladenlokal im Berliner Stadtteil Hermsdorf untergebracht: kranke, unterernährte und verletzte. „Und in diesem Sommer ist die Station gar nicht leer geworden“, berichtet Sybille Ressel, die seit über 25 Jahren für den Verein tätig ist.

Igel sind Kulturfolger, die in städtischen Gebieten mit ihrem Mosaik aus Kleinlebensräumen besser zurechtkommen als in der ausgeräumten Landschaft „auf dem Land“. Doch scheint es den Stadtigeln im Vergleich zu früheren Zeiten nicht mehr so gut zu gehen, wie nicht nur der Bedarf an Pflege durch Tierschützer anzeigt.

Eine Studie aus Zürich belegt, dass die Igelpopulation dort über die letzten 25 Jahre um 40 Prozent abgenommen hat und die Tiere nur noch in etwa 80 Prozent der Gebiete zu finden sind, in denen sie zuvor vorkamen. Ein Forschungsteam um Anouk Taucher von der Forschungsgemeinschaft „Swild“ berichtete in der Fachzeitschrift „Animals“ über den Rückgang der Igelpopulation von rund 1500 auf 900 Tiere.

Bürgerforschung per Briefpost

„Die Ergebnisse sind besorgniserregend“, heißt es in einer Mitteilung auf der Projektseite „Stadtwildtiere“. Sie deuteten darauf hin, dass der Lebensraum Stadt für Igel an Qualität verliert.

Eine im Jahr 2011 veröffentlichte Bestandserhebung in Frankreich zeigte noch, dass in städtischen Gebieten mit im Mittel rund 37 Tieren pro Quadratkilometer fast zehnmal mehr Igel lebten als in ländlichen mit im Durchschnitt vier Tieren pro Quadratkilometer. Für die Untersuchungsflächen in der Stadt Zürich wurde in der aktuellen Studie ein Rückgang von 32 auf 19 Igel pro Quadratkilometer festgestellt.

Grundlage der Studie sind die Daten aus zwei Bürgerforschungsprojekten aus den Jahren 2016 bis 2018 und aus dem Jahr 1992. „Wir hatten hier in Zürich damit die Möglichkeit die Bestandsentwicklung in einem direkten Vergleich aufzuzeigen“, sagte Taucher dem Tagesspiegel.

Damals hatten Mitwirkende Beobachtungen von Igeln auf Meldekarten dokumentiert, die mit der Post an die Haushalte verteilt worden waren. Die Größe der Gesamtpopulation auf 46 Quadratkilometern der Stadtfläche war anhand von Zählungen abgeschätzt worden.

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In dem jüngeren Bürgerforschungsprojekt konnten Mitwirkende Beobachtungen von Igeln online auf der Projekt-Meldeplattform sammeln. 2016 wurde die die Verbreitung der nachtaktiven Einzelgänger zudem systematisch mit Spurentunneln erfasst.

Das sind Kartontunnel, die in Igellebensräumen aufgestellt werden. Läuft ein Igel hindurch, wird er erst über ein Farbkissen und dann über ein Papier geleitet, sodass er Fußabdrücke hinterlässt, anhand derer die Tiere erfasst werden können. Zudem wurde 2017 die Bestandsgröße mit der Fang-Wiederfang-Methode erfasst. Bei regelmäßigen Fangaktionen gibt der Anteil markierter, bereits zuvor gefangener Tiere Aufschluss über die Gesamtzahl der Tiere in einem Gebiet.

Räuber im Stadtrevier

„Die Gründe für den markanten Rückgang sind zurzeit noch unklar", sagen die Forschenden. Mögliche Ursachen sind die zunehmende Verdichtung des städtischen Lebensraums, der Rückgang der Insekten, zunehmender Autoverkehr sowie Parasiten oder Krankheiten.

Eine weitere Erklärung liegt darin, dass mittlerweile auch mehr Dachse in der Stadt vorkommen. Sie können Igel überwältigen und fressen. Ob ihr Zuwachs für den Rückgang der Igel verantwortlich ist, kann aber noch nicht beurteilt werden. Die Forschungsgruppe plant weitere Untersuchungen zur Klärung.

Nur in einigen ehemaligen Igelrevieren ist relativ klar, warum dort weniger der Tiere vorkommen, etwa wenn Flächen neu bebaut werden. Andere Gebiete, etwa in der Züricher Altstadt stehen unverändert seit 1992 und dennoch werden dort heute weniger Tiere angetroffen, berichtet Taucher. In wieder anderen gäbe es weiterhin viele Igel. „Die wichtigsten Ursachen für den Rückgang sind die Verluste von Lebensräumen und der Nahrungsgrundlage“, vermutet die Biologin.

Der in Mitteleuropa vorkommende Braunbrust-Igel gehört zu den Insektenfressern, nimmt aber auch Spinnen und Schnecken. In sehr gepflegten Gärten und Parks finden Igel wenig Beute und auch selbst kaum Unterschlupf. Taucher würde etwas mehr Unordnung auf Grünflächen begrüßen: Laubhaufen und ungestutzte Hecken und zudem mehr heimische Pflanzen, die Insekten und damit auch Igeln Nahrung bieten.

Neben direkten Störungen durch den Menschen, etwa mit Laubbläsern, vermutet auch Sybille Ressel, dass ein verringertes Nahrungsangebot den Tieren zu schaffen macht. Der Arbeitskreises Igelschutz Berlin empfiehlt, stark abgemagerten Igeln ganzjährig zu helfen.

Jungigel sollten nur in Obhut genommen werden, wenn sich das Muttertier nach mehrstündigem Warten nicht einfindet. Nach Wintereinbruch sind auch größere Tiere hilfsbedürftig, da sie entweder krank sind oder aus ihrem Winterquartier vertrieben wurden.

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