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Gehör finden. Geisteswissenschaftler forschen zu aktuellen Fragen, etwa zum Islamismus (hier Salafisten in Berlin). Daneben leisten sie theoretische Begriffsarbeit.

© imago/Christian Mang

Geisteswissenschaften und Politik: „Alle wollen mit uns diskutieren“

Wie politisch sind die Geisteswissenschaften? Eine Debatte über Freiheit und intellektuelle Behinderung an der Humboldt-Universität.

Sie haben es schon wieder getan. Sich selbst befragt. Auf einem Podium. Aber das ist ja auch ihr Job, die Geisteswissenschaften halten schließlich so etwas wie ein Patent auf kritische Selbstreflexion. Um „Das Politische in den Geisteswissenschaften“ ging es diesmal. Geladen hatte die Humboldt-Universität, zu deren exzellenzprämiertem Zukunftskonzept ein designiertes „Forum Geisteswissenschaften“ gehört.

Es bestand Einigkeit. „Kein Thema, an dem ich gearbeitet habe, war nicht auch im öffentlichen Raum präsent“, sagte die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun, die sich aktuell mit der Frage beschäftigt, was junge Europäer in den Dschihad zieht; zuvor hat sie zu ökonomischen, religiösen, feministischen Themen gearbeitet. Die Literaturwissenschaften sind ohnehin, zumindest noch, als Nationalphilologien konzipiert. Ihre Gegenstände, sagte die Germanistin Ethel Matala de Mazza, verlaufen entlang nationaler und sprachlicher Grenzen und sind damit zwangsläufig auch politischer Natur. Und selbst die vermeintlich abstrakte Philosophie sei in sich politisiert, fand Rahel Jaeggi, deren Studie „Kritik von Lebensformen“ jüngst einen ethisch enthaltsamen Liberalismus geißelte. „Mit unserer theoretischen Begriffsarbeit spannen wir einen Resonanzraum auf, in dem eine besondere Art von Fragen formuliert werden kann.“

Institutionelle Zwänge nehmen dem Politischen die Spitze

Stimmt, fand auch Dieter Thomä, Philosoph aus St. Gallen, der dann aber trotzdem in den Konsens grätschte. „Beteuern wir unser politisches Dasein nicht nur im stillen Kämmerlein?“ Und gebe es nicht institutionelle Zwänge, die dem Politischen seine Spitze nähmen? „Die Universität hat uns aufgetragen, uns mit Fragen zum Geist zu beschäftigen.“ Das sei eine Setzung von außen, die automatisch begrenze. „Natürlich sind wir vom konkreten Entscheidungsdruck entlastet“, gab Matala de Mazza zu. Auch Joseph Vogl fand, die politische Dissidenz an der Universität sei nur dialektisch zu haben. Man habe als Professor nun mal eine pädagogische Aufgabe, selbst wenn sie darin bestehe, „intellektuelle Behinderungen abzubauen“ und ein „Denken jenseits der Ressentiments“ zu erlernen.

Jedenfalls, fanden alle, sei die Lage heute anders als zu Zeiten Immanuel Kants, der in der Veranstaltungsankündigung als geschichtsphilosophischer Fluchtpunkt herhalten musste. Von 1798 stammt seine berühmte Schrift über den Streit der Fakultäten, in der er die Philosophische Fakultät zur Trutzburg gegen theologische und politische Vereinnahmungen erklärte. Von der Universität als Elfenbeinturm könne keine Rede mehr sein, und auch der Professor sei längst eine postheroische Figur, eingespannt in die ökonomisierte Logik von Credit Points und Drittmittelanträgen.

Methode: Lesen und Denken

Sei man heute nicht eher „Bühnenbildner“, fragte Thomä – dienstfertig die Bühne bauend und erläuternd, auf der gesellschaftliche Prozesse stattfinden? Ganz so passiv sah sich das Podium aber nicht, auch wenn der Wettstreit der Fakultäten derzeit, zumindest von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, für die Naturwissenschaften entschieden worden sei. Die Normierung der DFG-Antragsformulare, die nach Tierversuchen und Arbeitsmaterial fragten, ließen Geisteswissenschaftlerinnen zwangsläufig ratlos zurück. „Bei dem Kästchen ‚Methode‘ kann ich eigentlich nur eintragen: Lesen und Denken“, meinte Jaeggi. Vogl, dessen jüngste Studien über das Gespenst des Kapitals und den Souveränitätseffekt einen deutlich ökonomischen Zuschnitt haben, befand, dass die Geisteswissenschaften derzeit eine Art Übergriffigkeit zeigten. „Es gibt ein Interesse an den anderen Disziplinen. Sie sind wie ein Lebertran, den man zur Stärkung zu sich nehmen muss.“ Nichtsdestotrotz konkurriere man eifrig um Deutungshoheit, sagte von Braun: „Welche Fakultät setzt die Paradigmen, nach denen wir denken?“

Geisteswissenschaften in der Pose der Entmachteten

Pragmatismus also, statt politisch visionärem Glanz? Ein paar glitzernde Begriffe hatte das Podium durchaus zu bieten: Hoffnung, Freiheit, Sinn. Die Geisteswissenschaften übten sich manchmal in der Pose der Entmachteten, sagte von Braun – dabei hätten sie immer noch eine große Anziehungskraft: „Unsere Studierenden hoffen, dass sie bei uns Probleme der politischen Öffentlichkeit reflektieren und analytisch behandeln können. Wir bieten diesem Begehren nach Differenzierung und widersprüchlichen Antworten einen Freiraum. Das ist ein Pfund, mit dem die Geisteswissenschaften noch stärker wuchern sollten.“ Auch Jaeggi fand, die Nachfrage nach geisteswissenschaftlicher Reflexion sei allerorten zu spüren. „Wir können uns doch alle kaum retten vor Einladungen: ins Theater und Sub-Öffentlichkeiten, die mit uns diskutieren wollen.“

Der wuchtige Begriff des Politischen blieb derweil etwas unkonturiert. „Über Feindbilder haben wir gar nicht gesprochen“, konstatierte Vogl am Ende und versuchte auf dem letzten Meter eine Bannung: „Für mich ist der Gegner eine Form der kapitalistischen Verunstaltung durch gegenwärtige Wirtschaftsprinzipien.“ Dann gab es Wein.

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