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Wissen: Gefrorener Rauch

Kaum mehr als Luft: Aerogele isolieren Kleider und Gebäude – und eignen sich auch für Medikamentenkapseln

Leicht wie Watte, hart wie Styropor und durchscheinend wie Nebel. Wenn ein Material all diese Eigenschaften hat, handelt es sich ziemlich sicher um ein Aerogel, einen Festkörper, der fast vollständig aus Nichts besteht: Bis zu 99,98 Prozent seines Volumens entfallen auf leere Poren. Der luftige Stoff kann vielfältig eingesetzt werden. Etwa zur Wärmedämmung, als Blendschutz in Dachfenstern und zukünftig vielleicht auch als Trägersubstanz für Medikamente.

Aerogele erhält man, indem man aus einem nassen Gel die Flüssigkeit entfernt, so dass sich in den Poren des Gels nur noch Luft (lateinisch „aer“) oder Vakuum befindet. Die zahllosen winzigen Hohlräume machen das Aerogel sehr leicht: Bei einigen Herstellungsverfahren wiegt es gerade dreimal so viel wie Luft. Auch leitet es die Wärme extrem schlecht und eignet sich daher hervorragend zur Wärmedämmung. Zudem besitzt es wegen der vielen Poren eine riesige Oberfläche, vergleichbar der von Aktivkohle. Und das alles bei hoher Festigkeit. Ein typisches Aerogel fühlt sich wie harter Plastikschaum an. Oft sieht der hochporöse Werkstoff aus wie gefrorener Rauch, er lässt sich aber auch so herstellen, dass seine Durchsichtigkeit der von Glas nahekommt.

Im Prinzip lassen sich Aerogele aus allen Metalloxiden, Polymenere und zahlreichen anderen Stoffen herstellen. Die meisten bestehen heutzutage aber aus Silikaten (Salzen der Kieselsäure). „Sie sind als Ausgangsmaterial zurzeit am preiswertesten und deshalb sehr gebräuchlich“, sagt Lorenz Ratke, stellvertretender Leiter am Institut für Materialphysik im Weltraum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Köln.

Die Herstellung läuft über einen „Sol-Gel-Prozess“. Dabei werden mehrere Ausgangsstoffe gemischt, so dass eine klare Flüssigkeit entsteht. Darin reagieren die Ausgangsstoffe miteinander, wobei feste Teilchen entstehen, die zusammenstoßen und miteinander vernetzen. Nach und nach entwickelt sich ein weitverzweigtes Netzwerk mit Flüssigkeit in den Zwischenräumen – ein Gel. Entzieht man den Poren dieses Gels die Flüssigkeit, ohne dass das Gel schrumpft, entsteht ein Aerogel.

„Das Verfahren ähnelt dem Entkoffeinieren von Kaffee“, sagt Ratke. Die Trocknung des Gels muss „überkritisch“ erfolgen. Das heißt, Temperatur und Druck müssen über dem kritischen Punkt der Flüssigkeit liegen, bei dem der Unterschied zwischen flüssig und gasförmig verschwindet. In der Regel ist das eine Temperatur von etwa 40 Grad Celsius und ein Druck von rund 80 bar, erläutert der Materialforscher. „Solche Bedingungen lassen sich verhältnismäßig einfach schaffen.“

Mittlerweile gibt es Fertigungsanlagen, die es erlauben, Aerogele für den massenhaften Gebrauch herzustellen. Zum Beispiel in Frankfurt, betrieben von dem amerikanischen Unternehmen Cabot. Die Produktion von Aerogelen läuft dort schon seit acht Jahren. Die Firma bietet den porösen Werkstoff in verschiedenen Formen an, als Krümel mit einer Partikelgröße von wenigen Millimetern oder als millimeterdünne Matte, die man rollen, pressen und schneiden kann. Die Krümel eignen sich etwa, um Zwischenräume in Wänden aufzufüllen und damit die Wärmedämmung von Gebäuden zu verbessern. Die Matten lassen sich ebenfalls zur Wärmeisolation nutzen, etwa in Dächern oder Fassaden. Cabot bietet sie auch Bekleidungsherstellern an, damit diese daraus Spezialausrüstung für Alpinisten entwickeln: Schuhe, Jacken, Handschuhe oder Schlafsäcke. Das ultradünne Material behalte seine Isolationseigenschaften, wenn es feucht ist, wirbt die Firma auf ihrer Webseite. Es halte doppelt so warm wie die derzeit besten Isolierstoffe und sogar bis zu zwölfmal so warm, wenn es zusammengedrückt wird.

Durchscheinend, leicht und wärmedämmend: Die Eigenschaften des Aerogels interessieren besonders, wenn es darum geht, große Glasdächer oder Oberlichtfenster zu dämmen. Das Aerogel streut die einfallenden Lichtstrahlen diffus, so dass sie nicht mehr blenden. Und wegen seines geringen Gewichts belastet es die Konstruktion nur wenig.

Lorenz Ratke vom DLR nennt weitere Anwendungen: „Aerogel aus Stärke, Alginat oder Zellulose eignet sich als Kapsel für medizinische Wirkstoffe, denn in seinen Poren kristallisiert der Wirkstoff nicht, sondern bleibt amorph, wodurch der Körper ihn besser aufnehmen kann.“ Somit brauche man weniger Wirkstoff, um den gewünschten medizinischen Effekt zu erzielen, und könne Kosten sparen. „Das wird sicherlich in den kommenden Jahren eine Rolle in der Pharmazie spielen“, schätzt Ratke.

Im Weltall hat sich das Aerogel schon bewährt. Die amerikanische Weltraumsonde Stardust startete 1999 und näherte sich fünf Jahre später dem Kometen Wild 2. In 240 Kilometer Entfernung flog die Sonde an dem Kometen vorbei, um Staubkörner aus seinem Schweif einzusammeln. Dazu klappte die Sonde einen speziellen Staubfänger aus – ein Aluminiumgerüst, dessen Waben mit Aerogel gefüllt waren. „Die Staubpartikel kamen mit sechs Kilometer pro Sekunde angeschossen, dieses riesige Tempo musste man irgendwie auf Null bringen, ohne die Teilchen dabei zu stark in Mitleidenschaft zu ziehen“, erinnert sich Elmar Jessberger, ehemaliger Direktor am Institut für Planetologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. „Das Aerogel eignete sich ganz besonders gut dafür, denn es wirkte wie eine Schaumgummimatratze.“

Zwei Jahre später brachte die Weltraumsonde Stardust den Staubfänger zur Erde zurück. Am 15. Januar 2006 landete er auf einer amerikanischen Militärbasis, wo er mit Hilfe von Hubschraubern geborgen wurde. Seither sind hunderte Forscher auf der ganzen Welt damit beschäftigt, den Staub zu untersuchen, um etwas über seine chemische Zusammensetzung zu erfahren. Ein Material, das beinahe komplett aus Nichts besteht, hat ihnen Arbeit für viele Jahre beschert.

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