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Nonnengänse fliegen über das Wattenmeer in Schleswig-Holsten. Die Vogelgrippe gefährdet dieses Jahr zunehmend Wildvögel. Noch ist nicht ganz klar, wann das Virus bei den Tieren ausbricht.

© Wulf Pfeiffer/dpa

Geflügelpest: Vogelgrippe-Viren wandeln sich

Die aktuelle Form der Vogelgrippe bedroht zunehmend Vögel in der freien Natur und im Zoo. Das Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit in bisherigen Funden nur die Spitze des Eisbergs.

Als in asiatischen Ländern vor einigen Jahren erstmals Menschen an der Vogelgrippe erkrankten, war auch hierzulande die Aufregung groß. Selbst als klar war, dass sie sich nicht bei anderen Menschen, sondern im direkten Kontakt mit Geflügel angesteckt hatten, das mit dem Influenza-Virus H5N1 infiziert war und mit dem sie auf ungewöhnlich engem Raum zusammenlebten. Bei den Erregern der Vogelgrippe oder Geflügelpest, die derzeit kursieren, hat sich dieses Problem – der Virus wird vom Tier auf den Menschen übertragen – noch nicht gezeigt: Die Influenza-A-Viren vom Subtyp H5N8 und H5N5 haben, soweit man weiß, in der ganzen Welt noch keinen Menschen infiziert oder krank gemacht. Trotzdem gibt es Grund zur Sorge.

„Mittlerweile haben in Deutschland die Fälle bei Wildvögeln und Ausbrüche bei Geflügel und in zoologischen Einrichtungen ein nie zuvor gekanntes Ausmaß angenommen“, heißt es in einer aktuellen Risikoeinschätzung des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit. Das besonders krank machende (hochpathogene) aviäre Influenzavirus (HPAI) vom Subtyp H5N8 ist inzwischen in insgesamt 23 europäischen Ländern aufgetaucht, von den Bundesländern blieb bisher allein das Saarland verschont. In Wildvögeln finden die Viren die geeigneten Helfer, um sich zu vermehren und ihren Aktionsradius zu vergrößern. Dass Zugvögel bei der Verbreitung eine Schlüsselrolle spielen, belegte im letzten Herbst die Studie eines internationalen Forschungskonsortiums, die im Wissenschaftsmagazin „Science“ erschien.

Seit November wurden über 50 Ausbrüche gemeldet

Beim FLI hält man die bisherigen Funde toter Wildvögel nur für die Spitze des Eisbergs: Möglicherweise tragen weitere Vogelarten das Virus in sich, ohne davon krank zu werden oder gar zu verenden. Infizierte Tiere, die nicht durch Krankheit in ihrem Aktionsradius eingeengt werden, können das Virus umso besser verbreiten. Wie ernst ist die Lage? „Von bedrohlichen Ausmaßen würden wir noch nicht sprechen, wir beobachten allerdings ein nach wie vor sehr dynamisches Tierseuchengeschehen“, so die Auskunft des FLI auf eine Nachfrage des Tagesspiegels. „Mit über 50 Ausbrüchen bei Hausgeflügel und gehaltenen Vögeln, etwa in Zoos und Tierparks, in der überschaubaren Zeit von November 2016 bis heute haben wir in Deutschland eine bisher noch nicht da gewesene Zahl erreicht, sind aber immer noch weit entfernt von Zahlen, die in Südostasien oder auch in den USA erreicht wurden, wo es von Dezember 2014 bis Juni 2015 über 200 Ausbrüche durch verschiedene hochpathogene H5-Viren gab.“

H5 ist die Bezeichnung für das Protein Hämagglutinin. Wie alle Influenzaviren verfügen die Erreger der Geflügelpest an ihrer Oberfläche über zwei Eiweiße, die Proteine Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N). Sie sind für die Wechselwirkung mit Zellen des unfreiwilligen Wirts, also des Menschen oder des Tiers, und damit für eine Infektion bedeutsam. Der von der asiatischen Vogelgrippe bekannte Subtyp H5N1 und die jetzt kursierenden H5N5 und H5N8 unterscheiden sich untereinander nur im Oberflächenprotein Neuraminidase. Neue Untersuchungen zeigen allerdings, dass die Verwandtschaft der beiden „Neuen“ größer sein könnte als bisher angenommen: H5N5, das in dieser Saison im Dezember erstmals nachgewiesen wurde, könnte ein Mischvirus sein, in dem auch genetisches Material des Virus H5N8 vorhanden ist. Solche Viren, von Wissenschaftlern „Assortanten“ genannt, entstehen, wenn ein Wirt das Pech hat, sich gleichzeitig mit zwei Virus-Subtypen zu infizieren, die dann in seinem Organismus ihr Erbmaterial austauschen können.

Das Virus wird zur tödlichen Bedrohung

Auch H5N8 hat sich wohl inzwischen verändert: In der Saison 2014/15, in der ein enger Verwandter des derzeit kursierenden Virus aus Süd-Russland nach Westeuropa kam, erkrankten hier kaum Wildvögel. Das ist nun anders: Im November 2016 wurde über ein Entensterben am Bodensee berichtet, inzwischen sind in Deutschland 46 verschiedene Vogelarten betroffen. Nicht nur für Hühner, sondern zunehmend für Wasservögel wie Enten, Gänse, Schwäne und Möwen wurde H5N8 zur tödlichen Bedrohung.

Obwohl schon seit Jahrzehnten zur Geflügelpest geforscht wird, ist noch nicht bis ins Detail geklärt, welche biologischen Eigenheiten dieser Influenzaviren dafür sorgen, dass sie mehr oder weniger ansteckend sind und nach der Infektion mehr oder weniger krank machen. Am FLI und anderen Forschungsstätten wird außerdem untersucht, wie sich die Viren aus den Jahren 2014/2015 von den jetzigen unterscheiden, warum sich die Viren der Geflügelpest über so lange Distanzen verbreiten können und wie sie es schaffen, von Wildvögeln bis zu Legehennen vorzudringen.

Die Freilandhaltung von Geflügel, für viele Konsumenten ein wichtiges Kauf-Kriterium, ist dadurch nach Auskunft des FLI nicht prinzipiell in Frage gestellt. Generell solle aber überlegt werden, ob größere Haltungen von Hausgeflügel in Gebieten mit hoher Wildvogeldichte angesiedelt sein müssen. Und zwar unabhängig davon, ob das Geflügel in Ställen oder im Freien gehalten wird. Wo Zugvögel rasten, besteht naturgemäß ein erhöhtes Risiko, dass sich Influenzaviren auch in Hühnerställe einschleichen.

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