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Luftbild von der Region rund um den Vulkan Vesuv.

© Gamma-Rapho via Getty Images/Bearbeitung: Tsp

Gefahren durch aktive Vulkane: Der Vesuv - ein Feuerberg im Vorgarten

Neben Neapel erhebt sich der Vesuv, einer der gefährlichsten Vulkane der Welt. Forscher überwachen ihn, um einen Ausbruch vorherzusagen. Doch im Ernstfall bleibt den Bewohnern wenig Zeit.

Drei Tage – mehr Zeit werden die Menschen rings um den Vesuv wohl nicht haben, wenn die Forscher einmal Alarm schlagen. Der Vulkan ist dafür bekannt, dass er relativ plötzlich und heftig ausbrechen kann. Mit einer Höhe von 1281 Metern zählt der Vesuv, der sich direkt neben Neapel erhebt, sicher nicht zu den imposantesten Feuerbergen der Erde; er gilt aber als einer der gefährlichsten.

Auch im Jahr 79 gibt es kaum eine Warnung. Jahrhundertelang ist der Vesuv ruhig gewesen, doch plötzlich erwacht er. Der römische Gelehrte Plinius der Jüngere beschreibt, wie die Erde bebt und eine Rauchsäule kilometerhoch aufsteigt. Später rasen pyroklastische Ströme, Lawinen aus glühend heißer Asche und Gasen, mit einer Geschwindigkeit von 180 Kilometern pro Stunde und mehr die Hänge herunter. Die Orte Pompeji, Herculaneum, Oplontis und Stabiae werden unter Tuff und feiner Vulkanasche begraben. Das waren nach heutigem Maßstab kleine Siedlungen. Inzwischen aber ist das Risiko um ein Vielfaches gewachsen: Mehr als eine halbe Million Menschen bevölkern die direkte Umgebung. Der gesamte Ballungsraum hat gar über drei Millionen Einwohner.

Der letzte große Ausbruch war 1944. Seitdem schläft der Vesuv. Doch er könnte jederzeit aufwachen, warnen Forscher. Damit dann möglichst niemand zu Schaden kommt, überwachen sie den Vesuv rund um die Uhr. Wissenschaftler und Katastrophenschützern haben einen mehrstufigen Notfallplan entwickelt. Das ist auch ein Modell für andere Großstädte, die ebenfalls von Vulkanausbrüchen bedroht sind (siehe Kasten).

Wann Vulkane ausbrechen, lässt sich nicht punktgenau vorhersagen. Doch anders als bei Erdbeben gibt es Vorzeichen. „Steigt Magma auf, bricht das Gestein darüber“, erklärt Roberto Scandone von der Universität Rom, der den Vesuv und andere Vulkane seit 40 Jahren erforscht. Tage, Wochen oder Monate vor einem neuen Ausbruch seien darum charakteristische Erdbeben zu registrieren. Diese und andere Signale ermöglichen Vorwarnungen vor größeren Ausbrüchen.

19 Stationen rund um den Vesuv beobachten seine Aktivität

Am Vesuv-Observatorium wird der Vulkan seit 1841 beobachtet. Es ist die älteste derartige Einrichtung auf der Welt. Mit GPS-Instrumenten am Boden und Satelliten am Himmel messen die Mitarbeiter, ob sich die Oberfläche des Vesuvs hebt. Andere Sensoren erfassen austretende vulkanische Gase. Wichtig sind aber vor allem seismische Messinstrumente, die jedes verräterische Zittern des Vulkans anzeigen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Seismometer noch vom Observatoriumsdirektor selbst entwickelt. Inzwischen haben die Wissenschaftler rings um den Vesuv 19 Stationen mit modernen Instrumenten eingerichtet. Allerdings registrieren sie auch Erschütterungen durch künstliche Explosionen, etwa in Steinbrüchen. Um sie von vulkanischen Vibrationen zu unterscheiden, haben die Wissenschaftler zusätzlich Sensoren installiert, die Infraschall empfangen, besonders tiefe, für das menschliche Gehör unhörbare Töne, mit denen sich die Explosionen zweifelsfrei erkennen lassen.

In den letzten Jahren rumpelte es glücklicherweise nur schwach unter dem Vesuv. So besteht derzeit laut Experten kein Grund zur Sorge. Falls Magma bis in eine Tiefe von 3000 bis 5000 Metern aufsteige, werde es durch einen verfestigten Stopfen blockiert, schrieben Scandone und seine Kollegin Lisetta Giacomelli im Herbst in der Fachzeitschrift „Annals of Geophysics“. Erst ein kräftigerer Magmaschub würde einen Ausbruch erzwingen. Für diesen Fall gibt es mehrere Katastrophenszenarien. Das folgende ist nur ein besonders plausibles von ihnen.

Bei Voralarm sollen erste Bewohner ihre Häuser verlassen

Sobald eines Tages die Erdstöße stärker werden, sich die Erdoberfläche hebt und vermehrt Gase wie Schwefeldioxid und Kohlendioxid aus dem Krater entfleuchen, müssen die Fachleute reagieren. Überschreiten die Messwerte ein kritisches Niveau, informiert das Osservatorio Vesuviano den Katastrophenschutz, und nach Beratung mit weiteren Experten wird Stufe 1 des Notfallplans für erreicht erklärt – „attenzione“ genannt. Noch muss niemand um sein Leben fürchten, noch ist ein unmittelbarer Ausbruch nicht zu erwarten. Aber alle wichtigen Institutionen werden in erhöhte Bereitschaft versetzt, um eine mögliche Evakuierung vorzubereiten.

Die Entscheidung, wann die Warnstufe erhöht werden muss, treffen Vulkanexperten gemeinsam. „Es gibt keine festgelegten Zahlen“, sagt Scandone. Vulkane sind zu komplex, als dass simple Grenzwerte definiert werden könnten.

Vielleicht beruhigt sich der Vesuv wieder. Vielleicht aber steigt im Untergrund weiter Magma auf, die Beben werden stärker. Ab einem höheren kritischen Level ruft der Katastrophenschutz Stufe 2 des Notfallplans aus – den „preallarme“ (Voralarm). Somit herrscht in der Umgebung des Vulkans der Ausnahmezustand. Bewohner in der sogenannten roten Zone, in einem Radius von etwa 15 Kilometern rings um den Vesuv, können jetzt freiwillig ihre Häuser verlassen, die Orte werden durch Sicherheitskräfte vor Plünderungen geschützt.

In der roten Zone rings um den Vulkan leben 700 000 Menschen. Die größte Gefahr für sie wären bei einem starken Ausbruch die pyroklastischen Ströme. Außerdem müssen die Bewohner der roten Zone mit dem Fall von Asche und größerem vulkanischen Auswurf rechnen, was Dächer zum Einsturz bringen kann. Erst im Januar 2013 ist die Zone auf Drängen von Wissenschaftlern ausgedehnt worden.

Die Siedlungsdichte rund um den Vesuv ist zu hoch

Verstärken sich die Anzeichen für einen Ausbruch weiter, erklärt der Katastrophenschutz schließlich Warnstufe 3 für erreicht – „allarme“. Das bedeutet, dass binnen drei Tagen eine Eruption zu erwarten ist. Die rote Zone wird sofort evakuiert. Nach einem vereinbarten Schema werden die Vulkanflüchtlinge über ganz Italien verteilt. Sicherheitskräfte riegeln das Innere des evakuierten Bereichs ab.

Ob die Frist von drei Tagen ausreicht, ist unter Fachleuten umstritten. Vulkane wie der Vesuv können auch schneller von den Vorzeichen zu einem Ausbruch übergehen. „Die Zahl drei ist ein Kompromiss“, sagt Scandone. Der Katastrophenschutz hätte sich eine Frist von sieben Tagen gewünscht. Man hofft aber, dass viele Einwohner schon vorher freiwillig ihre Koffer packen. Außerdem gibt es Bestrebungen, die Siedlungsdichte rings um den Vesuv zu verringern. Schon vor zehn Jahren bot die Region Kampanien für jeden Wegzug eines Haushalts aus der roten Zone eine Prämie von bis zu 30 000 Euro an, ohne großen Erfolg.

Sobald der Vesuv Asche spuckt, kann sie den Flugverkehr behindern. In der weiteren Umgebung, der sogenannten gelben Zone, regnen dann zuweilen Asche und Lapilli, kleine Steinchen, vom Himmel. Anhand von Messungen der Eruptionsstärke und der Windrichtung können die Mitarbeiter des Osservatorio Vesuviano vorhersagen, in welchem Sektor der gelben Zone vulkanischer Niederschlag zu erwarten ist. Nordwestlich des Vulkans muss man bei Regen zusätzlich mit „Laharen“ rechnen, Schlammströmen aus Regenwasser und Vulkanasche.

Gefahr geht auch von den Phlegräischen Feldern aus

Der Notfallplan ist nicht auf der Basis des letzten Ausbruchs im Jahr 1944 entwickelt worden, sondern mit Bezug auf die Eruption des Jahres 1631. Die Wissenschaftler haben sich gezielt einen Ausbruch mit ähnlicher Vorgeschichte ausgesucht. Zwischen 1631 und 1944 war der Vulkan fast ununterbrochen aktiv. Die seltenen Ruhephasen des Vesuvs dauerten maximal sieben Jahre. Der Schlummer des Feuerbergs seit 1944 ist somit der längste seit 1631. „Nach einer Ruhephase brechen Vulkane wie der Vesuv oft explosiv aus“, warnt Scandone. Eine Pause wie vor 1631 kann sich wiederholen, der Vulkan kann sich aber auch schon in naher Zukunft wieder regen. Das An- und Abschwellen der Vulkanaktivität über lange Zeiträume vermögen Wissenschaftler derzeit nicht vorherzusagen.

Der Vesuv ist nicht die einzige vulkanische Gefahr für den Großraum Neapel. Westlich der Stadt liegen die Phlegräischen Felder. Wissenschaftler bezeichnen sie als eine Caldera, eine Art in sich zusammengebrochener Vulkan. Von der potenziellen Gefahr zeugen Thermalquellen und Öffnungen, an denen Gase austreten. Der letzte kleine Vulkankegel in dem Gebiet, der „Monte Nuovo“, wuchs erst 1538 gen Himmel. Neuen Studien zufolge stehen die Magmareservoire der Phlegräischen Felder und des Vesuvs miteinander in Verbindung, was die dazwischen befindlichen Neapolitaner sicher nicht ruhiger schlafen lässt.

Immer wieder werden die Einwohner der Region durch Meldungen von vermeintlich aufwallender vulkanischer Tätigkeit aufgeschreckt. 1984 hieß es zum Beispiel, die Erdoberfläche in den Phlegräischen Feldern hebe sich ungewöhnlich schnell, was zu einer Evakuierung des Gebiets führte. Dann folgte aber eine Entwarnung. „Die Phlegräischen Felder können vor einer Eruption jahrelang Unruhezeichen von sich geben“, sagt Scandone. Die Vorzeichen von Calderen sind viel unzuverlässiger als die von gewöhnlichen Vulkanen.

Vorerst ist alles ruhig am Golf von Neapel. „Man sollte eigentlich auch mal sagen, dass Vulkane keine großen Killer sind“, meint Scandone gelassen. In der Tat fordern Erdbeben und Überschwemmungen weltweit viel mehr Menschenleben. Die Neapolitaner haben im Laufe der Zeit gelernt, sich mit dem Risiko zu arrangieren. Und mit der Vorstellung, dass ihnen im Ernstfall nur drei Tage bleiben.

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