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Drei Frauen mit Kopftüchern sitzen mit dem Rücken zur Kamera auf schwarzen Lehnstühlen.

© Alexander Cornwell/Reuters

Gefährdete Studierende und Lehrende: Die Angst an den Unis in Afghanistan

Hilferufe aus Herat und Kabul, Appelle, Akademiker aus dem Land im Griff der Taliban zu holen. Der DAAD will afghanische Partner bei Ausreise unterstützen.

„Bitte vergesst uns nicht und holt uns raus.“ Dieser Appell von Lehrenden und Studierenden der Universität Herat habe den in Wiesbaden ansässigen World University Service (WUS) nach dem Siegeszug der Taliban erreicht, berichtete der WUS-Vorsitzende Kambiz Ghawami Ende voriger Woche. „Die Universität ist geschlossen und wir wissen nicht, wie es weitergeht“, sei aus Herat zu hören. Alles, was dort in den vergangenen 20 Jahren aufgebaut wurde, sei in Gefahr.

Auch Studierende aus Kabul hätten sich an den WUS gewandt „und verzweifelt um Hilfe bei der Ausreise“ gebeten, berichtet Ghawami. Die Bundesregierung fordert er auf, den Verzweifelten eine Ausreise nach Deutschland zu ermöglichen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihr Studium und ihre Arbeit hier fortzusetzen. Ähnliche Aufrufe gibt es auch von anderen internationalen Organisationen wie Scholars at Risk (SAR).

Das Zeitfenster für eine Ausreise über Kabul scheint gegenwärtig eng zu sein, weil weiterhin von einem Abzug des US-Militärs, das den Flughafen offenhält, für den 31. August die Rede ist. Zudem haben derzeit offenbar nur Menschen eine Chance, ausgeflogen zu werden, die sich bereits in Kabul aufhalten. Und dabei haben nach Staatsangehörigen der westlichen Länder die „Ortskräfte“ Vorrang, die militärische, staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure aus dem Ausland unmittelbar unterstützt haben.

[Lesen Sie auch unseren Artikel auf Tagesspiegel Plus (€) über eine Jura-Studentin in Kabul und andere gefährdete Frauen in Afghanistan]

Über deutsche Bemühungen, darüber hinaus auch gefährdeten Personen aus dem akademischen Bereich zu helfen, ist bislang offiziell wenig zu hören. Der Deutsche Akademische Austauschdienst, der mit Mitteln des Auswärtigen Amts seit 2004 rund 49 Millionen Euro zum Hochschulaufbau in Afghanistan und für die Förderung von Stipendiat:innen investiert hat, erklärt auf Anfrage: „In der aktuellen Situation ist es unser dringendstes Anliegen, unsere Partnerinnen und Partner vor Ort sowie ihre Familien bei einer schnellen und sicheren Ausreise zu unterstützen.“

Förderprogramme, um Studierende und Lehrende aufzunehmen

Der DAAD stehe „seit Monaten mit besonders gefährdeten afghanischen Ortskräften in direktem Kontakt“. Mit einem eigenen Büro ist der DAAD „auf Grund der Sicherheitslage“ seit 2017 nicht mehr präsent.

Eine Perspektive für Nachwuchskräfte, die ihr Land verlassen müssen, bietet das Hilde Domin-Programm des DAAD, der auch auf das Integra-Projekt für geflüchtete Studierende hinweist. Die Alexander von Humboldt-Stiftung bringt mit der Philipp Schwartz-Initiative seit fünf Jahren Forschende an deutschen Unis unter. Mit dem Auswärtigen Amt und den Hochschulen, die sich in Afghanistan engagiert haben, stehe der DAAD in engem Austausch. Die Situation vor Ort werde auch mit einem Krisenstab beobachtet.

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Die Botschaften der Taliban insbesondere an Studentinnen und Wissenschaftlerinnen sind widersprüchlich. Zwar berichtete dpa am 17. August, ein Taliban-Sprecher habe im Interview mit dem britischen Sender „Sky News“ gesagt, Mädchen und Frauen könnten weiterhin „Bildung und höhere Bildung in Anspruch nehmen, das bedeutet auch Universitäten“.

[Einen Kommentar zur Notwendigkeit, afghanischen Frauenrechtlerinnen Sondervisa für Deutschland zu geben, lesen Sie hier: Holt sie da raus!]

Zwei Tage später aber hieß es in einem Agenturbericht aus Kabul, der Parlamentarierin Raihana Asad zufolge seien Studentinnen in Herat „von Taliban nach Hause geschickt worden“. Auf Twitter wird berichtet, Taliban hätten von der Unileitung in Herat verlangt, dass Dozentinnen nur noch Studentinnen unterrichten dürften und die Geschlechter getrennt studieren müssten.

Die Zahl der Menschen, die am deutschen akademischen Aufbau in Afghanistan beteiligt waren und sind, dürfte in die Tausenden gehen. Allein rund 1100 Studierende auf Master-Niveau und 100 Doktoran:dinnen hat der DAAD bis 2020 gefördert. Aktuell seien noch rund 100 Studierende in Deutschland. In einem Länderbericht heißt es, 15 Prozent aller Hochschulangehörigen in Afghanistan seien von deutschen Programmen erreicht worden – mit dem Ziel der „Hilfe zur Selbsthilfe“, um Best-Practice-Modelle für die Zukunft zu schaffen. Diese Zukunft und das Leben der Geförderten sind unter der Taliban-Herrschaft zweifellos akut in Gefahr.

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