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Ruhigere Kugel schieben: Erst Altes abreißen, dann Neues hochziehen – das Schema F der Baubranche ist extrem klimaschädlich. Der Neubau von Häusern verursacht hohe CO2-Emissionen. „Architects for Future“ setzen auf klimaschonenden Umbau.

© Horst Ossinger/dpa

Gebäude verursachen 40 Prozent der CO2-Emissionen: „Mehrfamilienhäuser sind sinnvoller als Singlewohnungen“

Bauen wie bisher mündet zumeist in Abrisse und schadet dem Klima. Luisa Ropelato von „Architects for Future“ will das ändern. Ein Interview.

Welche Rolle spielt das Bauen für den Klimaschutz, Frau Ropelato?
Eine große. Circa 40 Prozent der CO2-Emissionen weltweit fallen auf Gebäude zurück. Dieses Ausmaß ist den allermeisten Menschen gar nicht bewusst. Die Baubranche ist ein riesengroßer Hebel, um die Klimaschutzziele zu erreichen, der bis dato kaum genutzt wird. Aber das können wir uns nicht mehr leisten.

Wo gibt es Möglichkeiten zur Verbesserung?
Also erst einmal bei der Energie, die zur Herstellung eines Gebäudes gebraucht wird. Und dann bei der Nutzungsenergie – also für Klimatisierung und Strom. Und am Ende des Lebenszyklus stellt sich die Frage: Wie verwende ich die Baustoffe wieder, gibt es da einen Kreislauf?

Der Verein Architects for Future stellt sieben Forderungen an die Baubranche. Die erste lautet „Hinterfragt Abriss kritisch“. Was steckt dahinter?
Im Moment werden Gebäude in der Regel abgerissen und neugebaut, weil es von der Gesetzgebung bis zu unserer Ausbildung so vorgegeben wird. Im Idealfall würden die Gebäude aber weitergenutzt und auch so gebaut, dass eine Weiternutzung möglich ist. Der Anteil der grauen Energie am Gesamtenergieverbrauch eines Gebäudes beträgt bis zu 50 Prozent.

Was ist graue Energie?
Graue Energie ist die Energie, die ich brauche, um ein Gebäude herzustellen – also für Baustoffe, Transport und Aufbau. Und wenn ich ein bestehendes Gebäude abreiße und stattdessen ein neues baue, missachte ich, was eigentlich schon an Energie darin steckt. Wir müssen also schauen, dass Sanierungen zum Regelfall werden. Die energetische Sanierungsrate liegt derzeit bei einem Prozent. Wir müssen aber auf vier Prozent pro Jahr, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

Luisa Ropelato, 28, ist Mitgründerin und seit 2020 Vorsitzende der Initiative „Architects for Future“, hat an der RWTH in Aachen studiert und arbeitet in einem Architekturbüro in Bremen.
Luisa Ropelato, 28, ist Mitgründerin und seit 2020 Vorsitzende der Initiative „Architects for Future“, hat an der RWTH in Aachen studiert und arbeitet in einem Architekturbüro in Bremen.

©  Mauritz Renz

Was braucht es, damit weniger Gebäude abgerissen werden?
Es müsste auf politischer Ebene eine Abrissgenehmigung erforderlich sein, für die begründet werden muss, warum ein Gebäude weichen soll. Oder umgekehrt: Warum brauche ich an dieser Stelle unbedingt einen Neubau? Es ist bizarr: Wir bauen unsere Gebäude für die Ewigkeit und reißen sie dann ab.

Worauf kommt es bei Sanierungen an?
Bei Sanierungen geht es vor allem darum, die Nutzungsenergie zu reduzieren. Wir müssen schauen, dass die Energie im Gebäude bleibt. Also Fenster austauschen, Dach und Fassaden dämmen. Es gibt auch diverse natürliche Alternativen wie Dämmmaterial aus Seegras, Hanf oder Zellulose.

Und beim Neubau?
Es kommt, wie bei der Sanierung auch, auf das richtige Material an. Wenn ich beispielsweise ein Haus aus Holz baue, speichere ich CO2 und schaffe dadurch eine CO2-Senke. Baue ich das gleiche Haus aus Beton, stoße ich CO2 aus. Das Holz sollte natürlich aus der Region kommen und nicht aus den Tropen. Und dann kommt es noch darauf an, wie ich die Materialien miteinander verbinde, um eine Wiederverwendung möglich zu machen.

Letztendlich kommt es darauf an, dass am Ende des Lebenszyklus eines Gebäudes Baustoffe wieder genutzt werden können. Gerade kleben wir aber munter alles zusammen und haben dann am Ende einen riesigen Haufen Sondermüll. Ich kann nicht einfach eine Dämmung aus Styropor auf eine Wand aus Kalksandstein kleben. Das kann ich nicht mehr wiederverwenden. Wir müssen dahin kommen, dass wir unsere Rohstoffe quasi aus den Städten gewinnen.

Die Stadt als Mine – wie funktioniert das?
Je größere Teile eines Gebäudes ich wiederverwenden kann, desto besser. Am besten ist es, wenn ich eine ganze Wand aus einem alten Gebäude in einem neuen nutzen kann. Das sind Verwendungsschleifen: Erst ganze Bauteile, dann einzelne Baustoffe bis hin zu Wiederverwertung des Materials.

Das ist ein altbewährter Ansatz.
Ja. Früher war es gerade im Zimmerbau üblich, dass Baumaterial wiederverwendet wurde. Der Umgang mit dem Material war viel wertschätzender – auch aus der Not heraus. Wir denken heute, wir könnten es uns leisten, die Baustoffe nicht mehr wiederzuverwenden, aber das können wir nicht. Das ist ein Irrglaube.

Eine weitere Forderung von Architects for Future lautet „Vermeidet Downcycling“. Was ist damit gemeint?
Wenn ich eine Fertigbauwand aus Beton schreddere und als Straßenunterbau nutze, dann habe ich sie downgecycelt. Aber man könnte sie auch höherwertig wiederverwerten, zum Beispiel als Zuschlag in Recyclingbeton. Am besten wäre es natürlich sie als Ganzes in einem anderen Bauprojekt wiederzuverwenden. Trotzdem zählt das Schreddern in Deutschland als Recycling. Deshalb ist die angegebene Recyclingrate mit über 90 Prozent auch erstaunlich hoch.

Sie sagten zu Beginn, die Wurzeln für die Abrissmentalität liegen auch in der Ausbildung. Was ist das Problem?
Wir lernen in der Ausbildung fast ausschließlich neu zu bauen. Nicht, wie Bauen im Bestand funktioniert, nicht, wie man kreislaufgerecht konstruiert und nicht, welche Materialien klimafreundlich sind. Wer sich dafür interessiert, muss sich das Wissen selbstständig erarbeiten oder sehr gezielt an den vereinzelten Lehrstühlen danach suchen. Es ist zwar da, aber nur in der Theorie. Wir müssen es schaffen, dass das Wissen auch zur Anwendung kommt.

Ein Faktor, der immer wieder als Gegenargument genannt wird, ist, dass es teurer ist, nachhaltig zu bauen. Dort wird aber mit einer Wirtschaftlichkeit argumentiert, die nur die Kosten betrachtet, die jetzt im Moment anfallen. Das ist viel zu kurz gedacht, wir müssen auch die Folgekosten mit einberechnen. Also auch: Was kostet es uns, wenn uns die Klimakrise einholt? Wir brauchen eine CO2-Steuer, die deutlich spürbar ist. Es ist irrwitzig, dass es scheinbar wirtschaftlicher ist, ein Gebäude komplett abzureißen und neu zu bauen, als den Bestand zu sanieren.

Was können Eigentümer:innen tun?
Es geht nicht darum, dass einzelne Eigentümerinnen und Eigentümer ihre Gebäude sanieren. Sinnvoller wäre es, sich der Problematik mit dem Quartiersansatz zu nähern und sich zu fragen, welche Gebäude ähnlich sind und mit ähnlichen Maßnahmen saniert werden können. Und wie Sanierungen bezuschusst werden können, auch vom Bund. Denn de facto ist das ein gesellschaftliches Problem, dass unsere Gebäude zu viel Energie verbrauchen. Es ist wichtig, dass wir das auch als Gesellschaft angehen.

Was ist denn die klimafreundlichste Wohnform?
Die Faustregel lautet: Auf so wenig Fläche mit so vielen Menschen wie möglich. Das Einfamilienhaus ist, wenn überhaupt, nur für kurze Zeit eine sinnvolle Wohnform – also so lange die Kinder noch klein sind und man als Familie in dem Haus lebt. Wenn die Kinder ausziehen, dann wohnen nur noch zwei Menschen auf einer Fläche, die für vier und mehr geplant war.

Wie bleibt ein Gebäude möglichst lange nutzbar?
Es geht darum, flexibel zu bauen, also das Gebäude für mehrere Nutzungen auszulegen. Einen Skelettbau kann ich für Büroräume nutzen, ihn aber auch zu Wohnungen umrüsten, wenn ich feststelle, dass ich die Büroräume nicht mehr brauche, weil alle im Homeoffice arbeiten.

Wie kann die Natur beim Bauen miteinbezogen werden?
Es ist wichtig, dass wir uns den natürlichen Mechanismen nicht widersetzen, sondern sie uns zu Nutze machen und unsere Städte so lebenswert halten. In jeder Stadt gibt es zum Beispiel natürliche Kaltluftschneisen. Zum einen ist es wichtig, dass die Gebäude diese nicht verstellen, damit eine Stadt auch natürlich auskühlen kann. Zum anderen kann ich das sogar in den Bau integrieren – quasi als natürliche Klimaanlage. In klimatisch heißeren Ländern wurde eigentlich schon immer so gebaut.

„Entwerft für eine offene Gesellschaft“, lautet eine weitere Forderung von Architects for Future. Wie kann durch Bauen sozialer Mehrwert geschaffen werden?
Gerade bauen wir immer mehr Singlewohnungen zur Gewinnmaximierung. Aber wollen wir so eigentlich wohnen? Ich glaube, es wäre sinnvoller, in Mehrfamilienhäusern Gemeinschaftsflächen zu schaffen, gerade auch angesichts der Vereinzelung in unserer Gesellschaft. Es geht darum Räume schaffen, in denen sich die Menschen wohlfühlen. Ein Zuhause.

Was ist Ihre Utopie vom Bauen?
Ich glaube, wir unterschätzen ganz gerne, was für eine Macht Architektur über uns hat. Weil sie uns umgibt – überall. Das nützlich zu machen für mich und für andere, finde ich eine total schöne Vorstellung.

Anna-Lena Schlitt

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