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Manches verlernt man nicht. Wie man Blumen pflegt, bleibt auch Demenzkranken oft im Gedächtnis.

© Getty Images/Westend61

Gartengestaltung für Demenzkranke: Blüten bringen ein bisschen Glück

Pflanzen wecken schöne Erinnerungen. Warum und wie ein Garten auch bei Demenz helfen kann. Gespräch mit der Gartentherapeutin Ulrike Kreuer

Frau Kreuer, viele wissen: Ein Garten tut der Seele gut. In Ihrer Arbeit mit Senioren haben Sie herausgefunden, dass besonders Demenzkranke von blühender Umgebung profitieren Warum?

Natur berührt uns, und wir brauchen keine kognitive Leistung, um mit ihr in Kontakt zu kommen. Aber Natur schützt uns auch, und vor allem Demenzkranke brauchen einen geschützten Raum.

Sie haben schon zahlreiche Gärten für Senioreneinrichtungen angelegt, in denen auch demente Menschen leben. Was ist dabei zu beachten?

Wenn Sie in Ihren eigenen Garten gehen, gibt es sicher Orte, an denen Sie sich besonders wohlfühlen oder wo Sie gern Hand anlegen wollen. Ihr Garten wirkt auf Ihre Befindlichkeit. Das gilt umso mehr für Demenzkranke. Möchte ich zum Beispiel, dass der Garten ein Maximum an Selbstständigkeit ermöglicht, muss ich die Wegeführung so anlegen, dass die Menschen sich nicht darin verlaufen. Ich muss aber auch kleine Oasen, geschützte Orte, bieten. Oder ich möchte Aktivität und Mobilität unterstützen und hervorrufen. Dann muss ich Bereiche so gestalten, dass Menschen Lust bekommen, ein Werkzeug in die Hand zu nehmen oder sich zu betätigen. Ich lege bei der Gestaltung wenig Wert auf Schönheit oder Biodiversität. Ich mache mir Gedanken, wie alles auf die Menschen wirkt.

Ulrike Kreuer: Gartengestaltung für Menschen mit Demenz. Praxisbuch für den Alltag, Haupt Verlag, Bern, 192 Seiten, 29,90 Euro.
Ulrike Kreuer: Gartengestaltung für Menschen mit Demenz. Praxisbuch für den Alltag, Haupt Verlag, Bern, 192 Seiten, 29,90 Euro.

© Foto (Cover): Haupt Verlag

In Ihrem Buch geben Sie viele Tipps. Eine Ihrer Formeln lautet: „Breite Wege laden zum Flanieren ein, schmale Wege reizen zum schnelleren Gehen.“

Ja, deshalb muss ich mir genau überlegen, wie ich den Weg durch die Fläche mäandern lasse. Wo will ich einen Ort für Begegnungen schaffen? Dort stelle ich vielleicht eine Bank auf.

Alte Menschen sind oft nicht gut zu Fuß. Wie vermeidet man Stolperfallen?

Querrillen oder Farbwechsel können auf Demenzkranke oder Sehbehinderte wie eine Bremse wirken. Manchmal haben Sie den herrlichsten Garten und wundern sich, warum die Menschen nicht hineingehen wollen. Das kann schon an einer großen schwarzen Fußmatte liegen, die von den Bewohnern als Loch wahrgenommen wird, das ihnen Angst macht.

In einem bestimmten Stadium haben viele Demenzkranke die Tendenz, weglaufen zu wollen. Es hält sie nicht an dem Ort, wo ihr (neues) Zuhause ist. Braucht man eine Mauer zur Einfassung?

Wenn ein Zaun sichtbar wird, kommt jemand vielleicht erst auf die Idee, dass er dahinterkommen möchte. Wenn der Zaun eingefriedet ist, vielleicht mit einer Formgehölzhecke, wird den Menschen die Grenze nicht bewusst. Dann entsteht bei ihnen nicht das Gefühl, hier will ich raus, weil sie „ein Drinnen“ gar nicht so erleben.

Beim Garten geht es ums Sehen, Riechen oder Fühlen. Nach welchen Kriterien sollten die Pflanzen ausgewählt werden?

Wenn im Seniorenheim Menschen wohnen, die überwiegend im Bett liegen, wähle ich Pflanzen aus, die ich gut pflücken und mit hineinnehmen kann. Duft spielt eine Rolle, denn er weckt Erinnerungen. Es sollten aber auch Pflanzen mit einer besonderen Haptik sein. Menschen, speziell in Pflegeheimen, erfahren ja kaum Berührungen. Das ist ein großes Problem. Denn die Hilferufe der Betroffenen, oft Begleiterscheinungen einer Demenzerkrankung, sind ja Substitutionen für etwas, was fehlt. Viel lässt sich erreichen, wenn man mit einem weichen Blatt oder einem Grashalm über die Haut am Arm streicht. Dazu könnte man Wollziest nehmen oder auch Weidenkätzchen.

Immer was los: Ein Vogelhäuschen im Garten regt zum Beobachten an.
Immer was los: Ein Vogelhäuschen im Garten regt zum Beobachten an.

© imago

Spielen auch Geräusche eine Rolle?

Im Garten hört man etwa den Wind, der durch die Bäume weht, Vögel, die morgens zwitschern, oder ein Piepsen in der Hecke. Es geht um gemeinsames Lauschen.

Kann man die Menschen sogar zur Gartenarbeit animieren?

Es geht nicht darum, dass alle Senioren und Seniorinnen mit dem Spaten buddeln. Ich muss herausfinden, was jemand noch schafft. Es kann sein, dass jemand nur mit dem Finger Blätter von rechts nach links verschiebt, die getrocknet auf dem Tisch liegen. Oder ich flechte ein Rankgerüst aus Weiden, und jemand sitzt im Rollstuhl daneben und reicht sie mir an. Auch das ist eine Tätigkeit. Ich stelle immer mein Werkzeug auf. Es ist erstaunlich, was das auslöst. Es gab einen Herrn, der hat sich sofort einen Spaten genommen und wollte auf der Wiese buddeln. Gerade altes Gartenwerkzeug, das ich schon auf Flohmärkten gekauft habe, weckt Erinnerungen. Manchmal können die Menschen noch viel, viel mehr, als ihnen eigentlich zugetraut wird.

Am liebsten rustikal. Alte Menschen nehmen gern solide Werkzeuge in die Hand.
Am liebsten rustikal. Alte Menschen nehmen gern solide Werkzeuge in die Hand.

© imago

Manche kommen vielleicht auch auf merkwürdige Ideen. Was passiert, wenn die Menschen Blüten abreißen?

Damit muss die Gruppe umgehen. Wenn wir gemeinsam Geranien ausputzen, kommt es vor, dass Menschen auch die Blätter abmachen. Andere ärgert das vielleicht, aber solche Auseinandersetzungen gehören dazu. Wenn die Geranie dann kahl ist, aber die Dame, die an ihr gezupft hat, sich gut fühlt, ist das ein positives Ergebnis. Die Frau hat aus ihrer Sicht „etwas geschafft“. Und sie hat durch die Bewegung der Hände auch noch etwas für ihre Mobilisation getan.

Nicht von ungefähr werden in Pflegeheimen oft nur Plastikblumen dekoriert. Die Angestellten haben schon für die Pflege der Menschen zu wenig Zeit. Nun sollen sie noch einen Garten pflegen?

Ich lege schon seit 2003 in Seniorenheimen Gärten an und kann sagen: Es ist eine praktikable Geschichte. In meinem Buch habe ich eine Beispielrechnung über eine 1600 Quadratmeter große Fläche, für die 345 Arbeitsstunden nötig sind. Viele Einrichtungen haben bereits eine Außenanlage, die sowieso gepflegt werden muss. Man kann Fördermittel, etwa beim Deutschen Hilfswerk, beantragen. Nachbarn helfen vielleicht ehrenamtlich mit, aber natürlich muss man auch die Mitarbeiter ins Boot holen.

Ulrike Kreuer ist Gartenbauingenieurin und Gartentherapeutin. Sie arbeitet seit Jahren vorwiegend mit alten Menschen.
Ulrike Kreuer ist Gartenbauingenieurin und Gartentherapeutin. Sie arbeitet seit Jahren vorwiegend mit alten Menschen.

© Verlag

Um die Mühen der Gartenarbeit zu verringern, werden jetzt immer öfter Hochbeete angelegt. Folgen Sie dem Trend?

Hochbeete haben immer etwas Fremdes, alte Menschen kennen sie oft gar nicht. Warum sollten sie dorthin gehen? Mein Wunsch ist ja, dass sich die Menschen den Pflanzen aus eigenem Antrieb nähern. Bei Hochbeeten funktioniert das nicht, sie sind kein Bestandteil der Biografie.

Experimentieren Sie auch mit exotischen Pflanzen?

Ich hantiere lieber mit Pflanzen, die in unserer Gesellschaft verankert sind. Bambus oder etwa eine Thuja-Hecke sind es nicht. Wenn ich im Ahrtal oder an der Mosel einen Garten anlege, muss ich mit Weinreben arbeiten. Das sind die Biografiepflanzen dieser Gegend. In Brandenburg muss ich mich umgucken, welche Pflanzen dort typisch sind. Gärten müssen immer mit den Menschen, die in der Region leben, zu tun haben.

Funktionieren all Ihre Tipps auch im privaten Grün?

Natürlich, sogar auf ganz kleinem Raum. Auf einer Blumenbank zum Beispiel, oder auf dem Balkon. Wenn im Winter nichts wächst, lassen Sie Kresse auf Watte keimen, das funktioniert immer. Ich brauche nicht zwangsläufig einen großen Garten. Was ich brauche, ist die Verbindung zur Natur. Ich kann ein Vogelhäuschen aufhängen, oder besser gleich mehrere. Wenn Sie das Futter mal hier, mal dort reinlegen, müssen die Vögel danach suchen. So erzielen Sie mehr Aktivität der Tiere. Auch Bettlägerige können das gut beobachten. Oder Sie pflanzen sichtbar einen „Hingucker“. Das kann eine Felsenbirne sein, die wunderschönes, orange leuchtendes Herbstlaub hat.

Haben Sie bei den Bewohnern und Bewohnerinnen Veränderungen festgestellt?

Ich bin ja jeweils nicht so lange dort. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen können das besser beurteilen. Aber natürlich nehme ich auch vieles wahr. Im Herbst mache ich gern ein Lagerfeuer im Garten. Dann kommen bei den Menschen Erinnerungen hoch. Viele fangen automatisch an zu singen. In den Gesichtern merkt man Veränderungen. Es ist wichtig, nach draußen zu gehen. Wenn Menschen Grün erleben, sind sie wie ausgewechselt. Das gilt für alle, gerade jetzt in Corona-Zeiten, aber für Menschen mit Demenz ist es noch wichtiger. In einer Einrichtung in Köln habe ich ein luftiges Gewächshaus gebaut. Dort können die Menschen reingehen und sind völlig happy. Es geht um Lebensfreude, und Pflanzen bewirken in dieser Hinsicht viel. Es ist ein Unding, dass Gartentherapie noch keine Kassenleistung ist.

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