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Frauen und Männer stehen mit Plakaten und Fahnen auf einem Platz in Istanbul.

© AFP

Fünf Jahre Philipp-Schwartz-Initiative: "Im Exil neu zu starten, bleibt sehr schwer"

Chance für Forschende im Exil: Zum Jubiläum stellt die Philipp-Schwartz-Initiative von Stipendien auf befristete Arbeitsverträge um. Doch viele Sorgen bleiben.

„Ich bin Projektkoordinatorin in einem internationalen Programm am Bard College Berlin.“ Wenn Aysuda Kölemen sich so vorstellt, klingt der Stolz auf eine akademische Karriere an, die sie vom Studium der Politischen Wissenschaften an der Bosporus-Universität in Istanbul über den PhD an der University of Georgia, Athens in den USA und zurück in die Türkei führte – als Professorin an der Istanbuler Altinbas Universität.

Doch wenn es nach Staatspräsident Erdogan und seinem Machtapparat gegangen wäre, hätte ihre Karriere dort vor drei Jahren geendet. Ohne Einkommen und mit der sehr realen Drohung, verhaftet, vor Gericht gestellt und eingesperrt zu werden.

Dass es anders kam, verdankt Kölemen wiederum ihrem wissenschaftlichen Standing, ihrer internationalen Vernetzung und ihren Sprachkenntnissen, zu denen seit einem Gastaufenthalt in Heidelberg neben Englisch auch Deutsch gehört. Und der Alexander von Humboldt-Stiftung, von der sie nach der Nominierung durch das Berliner Bard College ein Stipendium der Philipp-Schwartz-Initiative erhielt.

Vor fünf Jahren wurde das Programm mit Mitteln des Auswärtigen Amts gegründet – als Reaktion auf die Flüchtlingsbewegung vor allem aus Syrien, aber auch aus etlichen anderen Staaten, in denen die Wissenschaftsfreiheit, das Leben und Arbeiten auch von Forschenden massiv bedroht sind. 280 Wissenschaftler:innen wurden und werden seitdem durch die Philipp-Schwartz-Initiative gefördert.

Der Namensgeber half exilierten Kollegen in der NS-Zeit

175 kommen aus der Türkei, 65 aus Syrien, sechs aus dem Irak, sechs aus dem Iran, sechs aus Venezuela, fünf aus dem Jemen und 17 aus anderen Staaten. Die Stipendien sind mit einem Grundbetrag von 2650 Euro monatlich (plus zahlreiche Nebenleistungen etwa für mitreisende Familienangehörige) auf zunächst zwei Jahre befristet und haben eine einjährige Verlängerungsoption.

Benannt ist die Initiative nach dem Frankfurter Pathologen Philipp Schwartz, der 1933 emigrieren musste. Er gründete die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland und lehrte an der Universität Istanbul. Nach 1945 wurde ihm die Rückkehr auf seinen Frankfurter Lehrstuhl verwehrt, woraufhin Schwartz Anfang der 50er Jahre zum zweiten Mal emigrierte – in die USA.

Das grafische Porträt eines Mannes vor gelbem Hintergrund.
Bildnis von Philipp Schwartz in einer Grafik der Alexander von Humboldt-Stiftung.

© Alexander von Humboldt-Stiftung

Fünf Jahre Philipp-Schwartz-Initiative sind für die Alexander von Humboldt-Stiftung zweifellos ein feierlicher Anlass. Etwa die 2018 mit Beschluss des Bundestags auf Dauer gestellte Förderung von bis zu zehn Millionen Euro im Jahr. Anlass aber auch für eine kritische Revision, wie Programmleiter Frank Albrecht sagt.

Die entscheidende Frage, die sich die Stiftung schon nach dem ersten Stipendiaten-Durchgang gefallen lassen musste: Welche Optionen, sich dauerhaft ins deutsche Wissenschaftssystem zu integrieren, haben die Geförderten nach den drei Jahren? Kritik wurde etwa 2019 bei einer Berliner Kundgebung der türkischen „WissenschaftlerInnen für den Frieden“ geäußert.

Belastende Konkurrenz um Dauerstellen

Sie werden in ihrer Heimat verfolgt, weil sie 2016 die Friedensdeklaration „Wir werden nicht Teil dieses Verbrechens sein“ unterzeichneten – gegen die Angriffe des Erdogan-Regimes auf kurdische Siedlungsgebiete. Stipendien oder bestenfalls kurzzeitige Verträge böten den Exilierten „keinerlei Sicherheit oder realistische Perspektive in Deutschland“, sagte damals ein Historiker auf dem Bebelplatz vor der Humboldt-Universität.

Auch Aysuda Kölemen unterzeichnete den Friedensappell und verlor ihren Job an der Altinbas Universität. Im Strudel der teils erzwungenen, teils willfährig mitgetragenen Säuberungen der Unis versuchte Kölemens Arbeitgeberin noch fair zu sein, riet ihr zu einer „Forschungsreise“ ins Ausland und verlängerte dann ihren Vertrag nicht mehr.

So wunderbar es auch gewesen sei, am Bard College in Berlin aufgenommen zu werden und drei Jahre lang „die Freiheit zu haben, zu forschen und anzukommen“: Das Bewusstsein, mit unzähligen besser vernetzten deutschen Kolleg:innen, die meist eine längere Publikationsliste haben, um die wenigen Dauerstellen im System zu konkurrieren, sei enorm belastend.

Männer und Frauen stehen auf einem Platz, der von historischen Gebäuden gesäumt ist, und halten das Bild einer inhaftierten Wissenschaftlerin vor den Körpern.
Solidaritätskundgebung der WissenschaftlerInnen für den Frieden 2019 auf dem Bebelplatz vor der Humboldt-Universität.

© Tsp

Die Antwort der Alexander von Humboldt-Stiftung anlässlich des 5-Jahres-Jubiläums ist ein „Fahrplan zur künftigen Förderung“ mit „verbesserten langfristigen Perspektiven für gefährdete Forschende“. Ein Schritt ist die teilweise Umstellung von Stipendien auf Arbeitsverträge.

„Die neuen Arbeitsverträge sind ebenfalls auf zwei Jahre mit einem Jahr Verlängerungsoption befristet, aber sie eröffnen – neben einer Krankenversicherung über den Arbeitgeber und dem Aufbau einer Altersversorgung – auch den Weg zur Blue Card für einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland“, sagt Programmleiter Frank Albrecht.

Die Stiftung sei „in der Lage, allen einen Arbeitsvertrag zu finanzieren“. Es obliege aber der aufnehmenden Einrichtung über die Art der Förderung zu entscheiden. Viele stellten auf die Verträge um. Doch ein Stipendium bleibe der schnellere Weg, um akut Gefährdete nach Deutschland zu holen.

Versuch, Alumni verstärkt in die Privatwirtschaft zu vermitteln

Weitere Schritte des Fahrplans sind eine verstärkte Vernetzung auf EU-Ebene, indem Alumni in andere europäische Länder vermittelt werden, mehr Coaching in Hinblick auf den wissenschaftlichen Arbeitsmarkt, aber auch in Richtung Privatwirtschaft. „Hier sind wir mit Institutionen und Verbänden im Gespräch“, sagt Albrecht.

Für viele Forschende in Kriegs- und Krisengebieten wird es weiterhin nahezu unmöglich bleiben, auch nur ihr Land zu verlassen, geschweige denn, ein Stipendium oder einen Arbeitsvertrag an einer deutschen Uni oder an einem Forschungsinstitut zu bekommen. „Viele haben keinen Pass oder sie können ihre Familie nicht in der Heimat zurücklassen. Nicht jeder spricht Englisch oder Deutsch – und mit Türkisch oder Arabisch kannst du nicht viel im Ausland erreichen“, sagt Aysuda Kölemen.

Wenig Chancen ohne hiesige Arbeitsweisen

Tatsächlich sind die Ansprüche der aufnehmenden Institutionen in Deutschland hoch – nicht nur an die Sprachkenntnisse. „Wir unterstützen vorzugsweise diejenigen, mit denen wir bereits in der Vergangenheit wissenschaftliche Kontakte gepflegt haben“, sagt Ulrike Freitag, Direktorin des Berliner Leibniz-Zentrums Moderner Orient, in einem Interview in der Jubiläums-Broschüre der Stiftung. Ansonsten würden sich die wissenschaftlichen Arbeitsweisen und Fragestile doch erheblich voneinander unterscheiden.

Von den mittlerweile 112 Forschenden, die das Philipp-Schwartz-Stipendium zwei bis drei Jahre lang erhalten haben, haben laut AvH-Statistik 67 eine Folgeanstellung gefunden, 49 im wissenschaftlichen Bereich in Deutschland, acht außerhalb Deutschlands und weitere zehn außerhalb der Wissenschaft.

Porträtbild von Aysuda Kölemen.
Die Politikwissenschaftlerin Aysuda Kölemen, Programmkoordinatorin am Bard College Berlin.

© privat

Der Bedarf ist weitaus größer und er wächst von Tag zu Tag. In der Türkei bleibt die Situation für regimekritische Wissenschaftler:innen höchst gefährlich, demnächst dürften erste Stipendiaten aus Belarus ankommen, nennt Frank Albrecht nur zwei Beispiele von viel zu vielen weltweit. Schon jetzt könne die Philipp-Schwartz-Initiative nur ein Drittel der Nominierungen durch aufnahmebereite Institutionen berücksichtigen.

In Europa gibt es mit dem französischen Programm PAUSE nur ein vergleichbar großes Programm wie die Philipp-Schwartz-Initiative. Das Netzwerk für die „Scholars at Risk“ muss weiter gespannt werden. In Berlin hat das Land über die Einstein-Stiftung 2017 ein eigenes Programm aufgelegt.

[Lesen Sie auch, was Judith Butler 2018 beim Scholars at Risk-Kongress in Berlin forderte: "Wir sind alle Scholars at Risk"]

Zu den neuen Projekten, die gefährdeten Forschenden helfen wollen, gehört die „Threatened Scholars Integration Initiative“, die das Open Society University-Netzwerk der Open Society-Stiftung Anfang April unter Mitwirkung des Bard College in New York und Berlin sowie der Central European University in Wien gestartet hat.

Das Programm bietet zunächst 25 Stipendien in europäischen Ländern, aber auch in Kolumbien, Ghana, Kirgistan und Bangladesh. Damit seien auch andere Sprachen als Englisch und Deutsch gefragt, sagt Aysuda Kölemen. Sie koordiniert das Programm in Berlin – und gehört damit zu den gut 50 Prozent der Philipp-Schwartz-Alumni mit direktem Anschlussjob.

„Im Exil neu zu starten ist und bleibt sehr schwer“, sagt die 44-jährige Politikwissenschaftlerin. Neue, faire Chancen für gefährdete Forschende seien angesichts politischer Verfolgung, aber auch wegen des zunehmenden ökonomischen Drucks selbst in westlichen Ländern auf die Wissenschaft für unabsehbare Zeit leider bitter nötig.

Birkengesäumter Weg zum Mittelhof, einem historischen Gebäudeensemble.
Zufluchtsort. Das Leibniz-Zentrum Moderner Orient, beheimatet im Mittelhof in Berlin-Nikolassee, beteiligt sich an der Philipp-Schwartz-Initiative.

© Thilo Rückeis

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