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Energiequelle. Das bayerische Kernkraftwerk Grafenrheinfeld, aufgenommen am 23. April 2015. Nach 33 Jahren wurde es im Juni 2015 endgültig vom Netz genommen.

© dpa

Fünf Jahre nach Fukushima: Atomkraft, ja bitte!

Unbestritten, Kernenergie hat ihre Risiken. Doch wer es ernst meint mit dem Klimaschutz und einer ausreichenden Energieversorgung für alle, kommt an ihr schwer vorbei. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ralf Nestler

Erschütternd wirken die Bilder aus Fukushima, die uns in diesen Tagen erreichen. Ein schwer beschädigtes Kernkraftwerk, riesige Tanks, in denen kontaminiertes Grundwasser lagert, das irgendwann gereinigt werden und in den Pazifik entlassen werden soll. Und zehntausende Menschen, die ihre Häuser verlassen mussten und erst jetzt – zumindest die meisten von ihnen – zurückkehren können. Auch wenn die Strahlenbelastung an vielen Orten heute gering ist, so ist die Region traumatisiert von dem Beben und Tsunami vom 11. März 2011, der mindestens 15 000 Menschen tötete und im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi eine Kette von Katastrophen anstieß, die schließlich zum Gau führte.

Unbestritten, für die Bewohner dort begann vor fünf Jahren ein Desaster, das bis heute anhält. Aber ist es klug, deshalb weltweit aus der Atomkraft auszusteigen, wie es Umweltverbände fordern und die deutsche Regierung mit ihrem nationalen Ausstieg gewissermaßen anderen Ländern nahelegt?

Kernkraft erzeugt weniger Treibhausgase als Fotovoltaik

Das spricht für die Technik: Kernkraftwerke liefern unabhängig von Tageszeit und Wetter Strom. Ihre Leistung kann an den Bedarf der Abnehmer angepasst werden. Sie sind klimafreundlich. Zieht man den gesamten Lebenszyklus für eine bestimmte Energietechnik heran, so erzeugt Kernkraft laut einem Bericht des Weltklimarats so viel Treibhausgase wie die Windkraft: Umgerechnet auf Kohlendioxid (sog. CO2-Äquivalente) sind es rund 12 Gramm pro Kilowattstunde. Wasserkraft kommt auf das Doppelte, Fotovoltaik auf das Vierfache, Gas auf das Vierzig- und Kohle auf das Siebzigfache.

Das spricht dagegen: Für alte Brennelemente und weitere hochradioaktive Abfälle gibt es bisher kein Endlager. Je nachdem, wie sie derzeit verwahrt werden, besteht ein mehr oder weniger großes Risiko, dass Radioaktivität in die Umwelt gelangt. Auch bei einem regulären Endlager – Finnland ist der erste Staat, der kürzlich eine Baugenehmigung für eine solche Anlage erteilt hat – ist nicht klar, ob es das Gefahrgut über Jahrtausende sicher einschließt.

Beim Betrieb der Reaktoren, aktuell sind es 437 im zivilen Bereich, kann es zu katastrophalen Havarien kommen. Infolge der radioaktiven Strahlung, die beim Reaktorunglück in Tschernobyl freigesetzt wurde, muss man nach einer Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit bis zu 4000 Todesopfern rechnen.

Strahlenbelastung für die meisten geringer als bei einem CT-Scan

In Fukushima gab es bisher kein Todesopfer, das klar auf die Folgen der Radioaktivität zurückzuführen wäre. Die Strahlenbelastung durch den Unfall ist für die meisten Bewohner geringer als bei einem CT-Scan. Experten schätzen, dass es rund um das Kraftwerk höchstens einige hundert vorzeitige Todesfälle geben dürfte (das absolute Risiko, an Krebs zu erkranken, wurde laut WHO für die besonders gefährdete Gruppe der Kinder um ein Prozent erhöht). Bei beiden Nuklearunfällen war das eigentliche Problem die Evakuierung und Entwurzlung der Menschen. In der Präfektur Fukushima gab es bis März 2015 fast 2000 Tote infolge dieses Stresses, einschließlich Suiziden, wobei sich die Zahl auf Evakuierte nach dem Tsunami und dem Reaktorunfall zusammen bezieht. Wie also weiter mit der Atomkraft – aussteigen oder nicht?

Mit Ökoenergie allein ist der Bedarf auf absehbare Zeit nicht zu decken

Da der Energiebedarf in vielen Ländern mit steigendem Lebensstandard weiter wachsen wird, ist eine Versorgung allein mit Ökoenergie auf absehbare Zeit illusorisch. Wer Kernkraftwerke abschaltet oder nicht baut, muss einen erheblichen Teil der Lücke mit fossilen Energieträgern füllen. Abgesehen von einem massiven CO2-Ausstoß bringt gerade die Kohleverstromung neben geschundenen Landschaften viele Schadstoffe mit sich. Die jährlichen Emissionen der deutschen Kraftwerke rauben Berechnungen zufolge der europäischen Bevölkerung insgesamt mehr als 30 000 Lebensjahre. In China sind die Folgen der fossilen Stromerzeugung mit bloßen Augen zu sehen in Gestalt gespenstischer Smogglocken. Dort werden nun auch Kernkraftwerke der nächsten Generation gebaut, die sicherer laufen und weniger Abfall erzeugen sollen.

Wer es ernst meint mit Klimaschutz und einer adäquaten Energieversorgung für alle Menschen auf der Erde, kann auf Atomkraft schwer verzichten. Wie groß ihr Anteil am Strommix letztlich ist und welchen die fossilen Rohstoffe übernehmen, muss jedes Land für sich entscheiden. Ohne die beiden geht es nicht. Leider.

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