zum Hauptinhalt
Wolfgang Palme, Gemüseforscher

© Johannes Hloch

Frühlingsgemüse im Frost: Mangold mag’s auch bitterkalt

Die meisten (Hobby-)Gärtner legen sich im Winter auf die faule Haut. Ein Fehler. Auch bei Frost kann man frisches Gemüse und Salat ernten.

Harke, Schaufel und Gießkanne sind im Schuppen verstaut. Schrebergärtner und Schrebergärtnerin haben nun frei. Wenn sie im Winter doch mal auf ihre Scholle kommen, dann höchstens, um im Vogelhäuschen Futter nachzulegen. Die Erde ruht. Wolfgang Palme mag nichts hören von der „toten Saison“. „Ich finde es schade, wenn diese Zeit ungenutzt verstreicht“, sagt der Wissenschaftler.

Ein Zufall hilft der Wissenschaft

Wie viel man im Winter tun kann, hat er eher zufällig herausgefunden. Als Mitglied der Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn hat er mit Kollegen zeitversetzt Asia-Salate angebaut, in einer höher gelegenen Versuchsstation im voralpinen Klima. „Bei der letzten Charge hat uns dann der Winter überrascht“, erzählt Palme. Der Salat hätte bei den Minusgraden erfrieren müssen – und blieb doch genießbar.

„Das hat uns zum Nachdenken gebracht“, sagt Palme. Die Forscher begannen, zu experimentieren. Eine Frage war: Wann müssen die Samen in die Erde, um punktgenau im Winter ernten zu können? War es möglich, im November zu säen und im Februar zu ernten? Das passte natürlich nicht mehr zu den Anleitungen auf den Samentüten („Aussaat bis Ende Juli“). „Wir gehen jetzt in ganz neue Jahreszeiten rein“, schwärmt Palme.

Mangold, gefrostet. Das Gemüse hält bis zu zwölf Grad minus aus.
Mangold, gefrostet. Das Gemüse hält bis zu zwölf Grad minus aus.

© Wolfgang Palme

Viele Gemüse könne man auch einfach in den Beeten stehenlassen. Mangold zum Beispiel, oder Petersilie. „Blatt-Petersilie im Winter frisch ernten und verwenden zu können und nicht aus dem Tiefkühlpäckchen herauszuklopfen, ist ein Privileg des Wintergärtnerns“, stellt der Experte fest. Mangold sei ein „herrliches Einsteigergemüse“. Es trotzt Temperaturen bis minus zwölf Grad. Außerdem ist Mangold ein Hingucker: „Seine bunten Blattstiele zaubern Farbe in den winterlichen Garten oder auf den frostigen Balkon.“ Überrascht waren die Forscher vom Kohlrabi. Bis minus zehn Grad könne man ihn vom Beet ernten. „In kalten Frostnächten frieren die Knollen durch. Sie sehen glasig aus und sind steinhart. Aber nach dem Auftauen schmecken sie zarter und süßer als jemals zuvor.“

Frosthärtegrenzen bislang unerforscht

Palmes Faustregel: „Im Herbst zurückschneiden und im Winter ernten.“ Gemüse könne mehr Frost vertragen als man gemeinhin glaubt. „Es ist ein Wahnsinn, dass man jetzt erst im 21. Jahrhundert darauf kommt“, sagt Palme. Seit den 1950er Jahren wisse man, wie Pflanzen auf Stress durch Hitze oder Kälte reagieren, aber niemand habe bisher die Frosthärtegrenzen unserer gängigen Gemüsepflanzen erforscht. Der Wissenschaftler schüttelt den Kopf. „Wir wissen alles über Mikronährstoffe und In-vitro-Kulturen, aber kennen das biologische Potenzial nicht, das in den Pflanzen steckt.“

Das kann sich nun ändern. Gärtner sollen umdenken. Es geht nicht um Grünkohl, der traditionell im Winter auf den Tisch kommt, sondern um Frischgemüse wie Lauch, Kohlrabi oder Kresse. „Wir verlegen den Frühling einfach vor – in den Winter“, sagt Palme lächelnd. „Radieschen, die man mit Ostern verbindet, leuchten dann in der Weihnachtszeit mit den Christbaumkugeln um die Wette“ prophezeit er und fügt begeistert hinzu: „Das ist die Eroberung einer neuen Jahreszeit.“ Palme hat genau nachgezählt: 77 Gemüse sind wintertauglich.

Aber gibt es nicht schon reichlich Tomaten in den Supermärkten, die mit dem Siegel „regional“ beworben werden? Wer bei ihnen bedenkenlos zugreift, tappt in eine Falle. Denn diese Tomaten wachsen in großen High-Tech-Gewächshäusern unter Wärmeschirmen, werden beheizt und belichtet. „Das ist der ökologische Fußabdruck eines Elefanten“, sagt Palme. Ein großer österreichischer Tomatenbetrieb verbrauche in einer kalten Winternacht mehr Energie als ein Einfamilienhaus im ganzen Winter.

High-Tech-Gewächshausware meiden

Die Botschaft an die Konsumenten: Sei kritisch, was Du im Winter kaufst. Entweder werden Importe aus südlichen Ländern angeboten, die Tausende Kilometer transportiert werden mussten, oder eben diese High-Tech-Gewächshausware, die energieintensivst angebaut wurde. Nun zeichnet sich eine Lösung ab: Regional und saisonal gewachsene Ware, in die keine Energie fließen musste und damit laut Palme eine zukunftsfähige Perspektive darstellt. „Es ist der Anfang einer neuen Bewegung“, hofft der Experte.

Auch konventionell arbeitende Landwirte könnten mitmachen. Viele von ihnen haben vor Kurzem in Berlin demonstriert, um auf ihre schwierige Lage aufmerksam zu machen. Palme hat Verständnis für die Bauern. „Wenn sie Lebensmittel produzieren, die dann billigst verschleudert werden, kann das nicht funktionieren. Ich kann den Landwirten nicht das Glyphosat verbieten und ihnen dann beim Einkaufen die Preise ruinieren.“ Trotzdem sei diese Landwirtschaft, mit riesigen Traktoren auf gigantischen Flächen, nicht zukunftsfähig und würde die Böden ruinieren. „Unter einem Hektar Ackerfläche, das sind 100 mal 100 Meter, befinden sich 40 Tonnen Lebewesen“, führt Palme aus. „Wenn ich denen schade, ist es, als würde ich mir mit einer Keule auf den eigenen Kopf hauen.“

Kohl schmeckt nach einer Frostnacht besonders gut.
Kohl schmeckt nach einer Frostnacht besonders gut.

© Wolfgang Palme

Bio-Betriebe könnten besonderen Nutzen ziehen vom anti-zyklischem Anbau. „Der Winter kann profitabler sein als der Sommer, denn ich kann ganz andere Preise verlangen“, weiß Palme. Gerade jungen Leuten eröffneten sich dadurch neue Perspektiven. „Viele sind Quereinsteiger und wollen beweisen, dass man als Gemüsebauer gut leben kann.“ Das sei schon länger ein Trend in den USA, wo es eben nicht nur gigantische konventionelle Landwirtschaften gebe, sondern auch radikal-alternative Gegenmodelle.

Ob sich der Handel auf frisches Wintergemüse umstellt, ist allerdings fraglich. Denn: Die Angebote sind nicht planbar. „Wenn es drei Wochen Dauerfrost gibt, wächst das Gemüse langsamer, bei vielen warmen Tagen aber ist alles früher fertig.“ Wie soll der Handel da kalkulieren? Man erwarte dort Profit, und pushe daher lieber die regionale Tomate. „Das geht dann in die falsche Richtung“, bedauert Palme.

Bevor die neuen Erkenntnisse im großen Stil umgesetzt werden, kann der Hobbygärtner schon mal beginnen. „Wieso soll das Hochbeet im Winter mit Tannenzweigen bedeckt sein, wenn ich etwas Frisches ernten kann?“, fragt Palme. Sogar auf dem Balkon ist vieles möglich. Im Januar könne man Erbsen säen. Ihre jungen Triebe schmeckten einfach lecker. Erbsen spielen sowieso eine wichtige Rolle. Sie zählen zu den Gründüngungspflanzen, die man im Ackerbau aussät, nur um die Erde zu verbessern. Zu den grünen Erbsen könnte sich Rotes gesellen. „Radieschen, nach den Weihnachtsfeiertagen gesät, kann man im März genießen“, sagt der Experte.

Wolfgang Palme: Ernte mich im Winter. Einfach immer frisches Gemüse.
Wolfgang Palme: Ernte mich im Winter. Einfach immer frisches Gemüse.

© Löwenzahn Verlag Innsbruck

Mehr über Wintergemüse steht in Palmes schön aufgemachtem Buch. [Ernte mich im Winter. Einfach immer frisches Gemüse. Löwenzahn Verlag, Innsbruck 2019, 176 Seiten, 24,90 €] Hobbygärtner erfahren darin Fakten über Pflanzen und bekommen viele praktische Tipps. Unter dem Motto „Snow Food“ finden sich sogar Rezepte. Zum Beispiel für dieses Dessert: Pastinaken-Mousse mit Birnenvinaigrette & Walnusskrokant. Im Buch kommt die Pastinake selbst zu Wort und behauptet: „Ich werde nicht gleich nervös, wenn die Temperaturen unter den Gefrierpunkt sinken.“ Der perfekte Abschluss also fürs Weihnachtsmenü.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false