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Bislang wagen sich eher nur Eisbrecher wie das Forschungsschiff "Polarstern" des Alfred-Wegener-Instituts in die auch im Sommer eisreichen Regionen des Nordpolarmeers vor.

© Markus Rex/Alfred-Wegener-Institut/dpa

Frei Fahrt voraus: Eisfreie Arktis eröffnet umweltfreundlichere Schifffahrtsrouten

Der Klimawandel verändert die Arktis, das Meereis schwindet. Zumindest die Handelsschifffahrt könnte davon profitieren.

Bereits in zwei Jahrzehnten könnten einige, bisher ganzjährig eisbedeckte Regionen der Arktis monatelang eisfrei sein. Das bedrohe das Überleben zahlreicher Arten, öffne aber auch neue, kürzere und damit umweltfreundlichere Routen für Handelsschiffe, die die von Russland kontrollierte Nordsee-Route umgehen, berichten US-Forscher im Fachmagazin „PNAS“.

Sie rufen dazu auf, internationale Regulierungen der Schifffahrt bereits jetzt an die zu erwartenden Bedingungen anzupassen.

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Erhebliche Schwankungen , aber ein eindeutiger Trend

„Es gibt kein Szenario, in dem das schmelzende Eis in der Arktis eine gute Nachricht wäre“, sagte Hauptautorin Amanda Lynch von der Brown University. „Aber die bedauerliche Realität ist, dass sich das Eis bereits zurückzieht, diese Routen öffnen sich, und wir müssen anfangen, kritisch über die rechtlichen, ökologischen und geopolitischen Auswirkungen nachzudenken.“

Die Forscher hatten mit Hilfe von Modellierungen berechnet, wie sich unter verschiedenen Emissionsszenarien die Eisbedeckung in der Arktis in den kommenden Jahrzehnten entwickeln wird. Konkret: wie hoch die Wahrscheinlichkeit in den Jahren zwischen 2015 und 2065 ist, dass das Gebiet für mindestens 32 aufeinanderfolgende Tage eisfrei ist. Zu den denkbaren neuen Routen von Rotterdam Richtung Beringstraße zählen die Nordwestpassage entlang Grönlands Ostküste durch die Davisstraße oder die Transpolarroute zwischen Grönland und Island.

Die Daten zeigen erwartungsgemäß, dass die Wahrscheinlichkeit längerer Eisfreiheit über alle Szenarien hinweg mit der Zeit zunimmt. Bei anhaltend hohen Emissionen und einem energieintensiven Lebensstil weltweit steigt die Wahrscheinlichkeit einer schiffbaren Saison außerhalb der russischen Gewässer um fast 30 Prozent. Im niedrigsten Emissionsszenario sei bis Mitte des Jahrhunderts wohl keine Passage möglich. Allerdings sind in den Berechnungen die Schwankungen von Jahr zu Jahr erheblich.

Tiefgreifende Folgen für Seehandel und arktische Schifffahrt

Die Forscher gehen in ihrer Arbeit vor allem auf die Auswirkungen der Klimaveränderungen auf Artikel 234 des Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen ein. Dieser gibt den Arktis-Anrainern wie Kanada und Russland die Kontrolle über den Schiffsverkehr auf den Gewässern, um Verschmutzungen der Gewässer oder Küsten durch die Schiffe zu minimieren.

Nach Angaben der Autoren nutzte Russland dieses Recht in der Vergangenheit hauptsächlich dazu, um ökonomische und geopolitische Interessen durchzusetzen. So schreibe ein russisches Gesetz vor, dass alle Schiffe, die den Nördlichen Seeweg befahren, von Russen gesteuert werden müssen. Auch müssten die Schifffahrtsunternehmen hohe Gebühren bezahlen und ihre Fahrvorhaben anmelden. Das bringe viele Unternehmen dazu, auf längere Routen etwa durch den Suez- oder Panamakanal auszuweichen.

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Allerdings werde die Gültigkeit des Artikels 234 in Zukunft beschränkt werden, sagen die Forscher. Er gilt nämlich nur, solange das Gebiet die meiste Zeit des Jahres eisbedeckt ist. Die internationale Gemeinschaft werde die Kontrolle Russlands über das Seegebiet künftig zur Debatte stellen – oder russisches Seegebiet umfahren. „Mit dem schmelzenden Eis wird der Schiffsverkehr aus den russischen Hoheitsgewässern in internationale Gewässer vordringen“, sagt Mitautor Charles Norchi von der University of Maine School of Law in Portland. Dagegen könne Russland dann wenig tun.

Die arktischen Routen sind früheren Studien zufolge kürzer und schneller, schreiben die Forschenden. Die Schifffahrtsgesellschaften könnten den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich reduzieren und gleichzeitig Geld und Zeit sparen. Die Konsequenzen aus den Klimaveränderungen und die daraus resultierenden rechtlichen Folgen für die arktische Schifffahrt und den globalen Seehandel seien tiefgreifend.

„Wenn man diese bevorstehenden Veränderungen jetzt adressiert, könnte man verhindern, dass sie sich zu einer Krise entwickeln, die schnell gelöst werden muss, was fast nie gut ausgeht“, so Lynch. „Die Ausarbeitung internationaler Abkommen mit einer gewissen Voraussicht und Überlegung ist sicherlich der bessere Weg.“

Anja Garms - dpa

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