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Der Botaniker Johannes Vogel ist Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Fragen an Johannes Vogel, Direktor des Naturkundemuseums: "Wir werden helfen, wo wir können"

Das MfN nimmt bereits Forschende aus der Ukraine auf, sagt dessen Chef. Bezüglich Hilfe für regimekritische Kollegen in Russland ist die Lage weniger klar.

Herr Professor Vogel, immer mehr Menschen verlassen die Ukraine, auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sind bei Ihnen am Museum für Naturkunde, oder in Familien von Mitarbeitern, schon welche untergekommen?

Ich habe alle Beschäftigten des Museums für Naturkunde dazu aufgerufen, sich zu engagieren, den Menschen solidarisch beizustehen und zu helfen. Ich bin mir sicher, dass sich unheimlich viele Mitarbeitende engagieren. Wir sind ein Team und stehen zusammen gegen Krieg, für Frieden, Demokratie, Freiheit und Natur. Ob privat schon jemand aufgenommen wurde, weiß ich im Moment gar nicht. Wir erwarten aber unmittelbar den ersten Flüchtling aus einem ukrainischen Partner-Institut. Er ist auf dem Weg zu uns und kommt über Rumänien. Anstatt sein Hab und Gut bringt er wichtige Teile der Sammlung. Er will, dass wir Sie sicher aufbewahren, denn er fürchtet, dass dieser Krieg vor nichts Halt machen wird.

Das MfN hat - unter anderem, weil es früher eine Institution in der DDR war - eine lange und intensive Geschichte der Zusammenarbeit mit russischen Forschenden und solchen der Staaten und Republiken der damaligen - und nun ehemaligen - Sowjetunion. Wie versuchen Sie derzeit, zu helfen?

Wir haben Briefe an drei Partnerinstitutionen in der Ukraine gesendet, das Schmalhausen Institut für Zoologie der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften, das Botanische Institut der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften und das Nationale Museum der Naturwissenschaften der Ukraine.

(Lesen sie hier unseren Live-Blog zur aktuellen Situation im Ukraine-Konflikt.)

In diesen Briefen bieten wir zum einen nach Deutschland geflüchteten Forschenden der drei Institutionen Arbeitsplatz und Ausstattung hier am Museum an. Zum anderen haben wir bekanntgegeben, dass wir gerne versuchen, bei Bedarf materielle Unterstützung für die Ukrainischen Partnerinstitutionen zu organisieren, gegebenenfalls in Absprache mit anderen Partnern in Deutschland – soweit dies unter den aktuellen Bedingungen in der Ukraine überhaupt denkbar ist.

Auch tausende russische Forschende haben sich per Unterschrift klar gegen den Krieg positioniert. Was hören Sie selbst von Kolleginnen und Kollegen aus Russland?

Kolleginnen und Kollegen aus Russland melden sich bei uns. Sie sind tief betroffen sind und haben Angst. Eine strenge Zensur ist über Russland gelegt. Ein unerträglicher Zustand.

Man muss möglicherweise ja auch mit dem massenweisen Versuch von Wissenschaftlerrinnen rechnen, auch Russland zu verlassen und anderswo, etwa in Berlin, Unterkunft und Arbeit zu finden. Was können, wollen Sie in diesem Kontext tun?

Wir haben uns der Haltung der Bundesregierung und zahlreicher staatlicher Institutionen angeschlossen. Wir verurteilen die kriegerische Aggression Russlands auf die Ukraine auf das Schärfste. Das hat Konsequenzen für ganz Russland, leider auch für die zivile Bevölkerung, die gegen den Krieg ist. Alle Mitarbeitenden wurden ausdrücklich aufgefordert, alle dienstlichen Kooperationen, Projekte und andere Formen der Zusammenarbeit mit russischen Partnerinstitutionen und einzelnen russischen Partnerinnen und Partnern mit sofortiger Wirkung auf Eis zu legen.

Sauriersaal im Erdgeschoss vom Museum für Naturkunde, Invalidenstraße 43 in Berlin-Mitte. Archivbild von 2018.
Sauriersaal im Erdgeschoss vom Museum für Naturkunde, Invalidenstraße 43 in Berlin-Mitte. Archivbild von 2018.

© Thilo Rückeis

Diese Haltung wurde schriftlich an die vier russischen Institutionen kommuniziert, mit denen formalisierte Kooperationen bestanden. Dieser Schritt richtet sich nicht gegen die Personen, sondern gegen den Aggressor Russland. Als global agierendes Forschungsmuseum war dies ein schwerer Schritt für uns. Wir wissen von russischen Forschenden, die sich mutig gegen den Krieg stellen. Wir wollen ein Zeichen setzen, aber keinen Hass schüren. Das russische Volk wird womöglich eine Schlüsselrolle bei der Beendigung des Konfliktes spielen. Wir werden helfen, wo wir können. Ich glaube aber nicht, dass unter den gegebenen Visa- und Reisebeschränkungen viele russische Forschende in die EU ausreisen werden.

Gibt es bisher wirklich keinerlei Überlegungen, ob und wie man diesen Menschen, die sich unter wahrscheinlich großem persönlichem Risiko per Unterschrift gegen Putins Krieg positioniert haben, helfen könnte, falls sie Hilfe brauchen?

Dass musste jetzt schnell so - und nicht anders - gemacht werden: offiziell die Kontakte abbrechen. Punkt. Natürlich wird niemand persönliche Kontakte verbieten. Je nachdem, wie sich die Lage entwickelt, wird die Wissenschaft angemessen reagieren, auch für Menschen in Russland.

Was erwarten Sie für die nächste Zukunft?

Leider ist anzunehmen, dass sich die Gewalt in der Ukraine weiter ausbreiten und das Leid zunehmen wird. Repressalien auf freie Meinungsäußerungen werden in Russland weiter zunehmen. In Bezug auf den wissenschaftlichen Austausch wird es in naher Zukunft kaum möglich sein, mit Russland Forschungsprojekte durchzuführen. Unsere Forschenden werden auf persönlicher Ebene einen engen Kontakt zu Forschenden in Russland halten, die für den Frieden eintreten.

Wie sehen Sie die Krise im größeren Zusammenhang der Arbeit von Institutionen wie der Ihren?

Wir sehen unendliches Leid und trauern um alle Opfer. Aber auch die Ziele den Klimawandel und den Verlust und die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlage zu stoppen und umzudrehen, sind jetzt und hier in großer Gefahr. Und damit sind wir alle, und nachfolgende Generationen, in großer Gefahr. Die Welt, die Menschheit, hat so viele größere und wichtigere Herausforderungen und Aufgaben, als sich an veralteten, nicht lösungsorientierten nationalistischen Machtfantasien aufzureiben! Wir müssen solchen Strömungen, wo immer wir Ihnen begegnen, ob bei uns oder im Ausland, entschlossen entgegentreten. Alle Menschen leben in einer Welt – der Erde, unserer einzigen Heimat.

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