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Forschungsschiff Sonne

© Roland Knauer

Forschungsschiff "Sonne": Zwölf-Stunden-Schichten auf hoher See

Übermüdet, seekrank und trotzdem begeistert: Studierende lernen auf der „Sonne“ den Forscheralltag kennen. Mit allen Höhen und Tiefen.

Damit hatten die neun Studenten an Bord des Forschungsschiffes „Sonne“ wohl nicht gerechnet. Für Meeresforschung vor der Küste Namibias hatten sie sich gemeldet, jetzt liest ihnen Fahrtleiter Reinhard Werner den Dienstplan der nächsten vier Tage vor. Eine Hälfte der jungen Biologen und Geoforscher ist für die Zwölf-Stunden-Schicht am Tag eingeteilt, die andere für zwölf Stunden in der Nacht.

Die Zeit auf hoher See muss effektiv genutzt werden, jeder Tag auf dem deutschen Forschungsschiff Sonne kostet die Steuerzahler fast 40 000 Euro. Die Wissenschaft läuft deshalb rund um die Uhr, weder für Forscher noch für die Studenten ist Zeit für Dolce Vita unter dem Südhimmel. Die jungen Menschen aus Namibia, Südafrika und Deutschland lernen den Alltag eines Forschers auf hoher See kennen, das Programm wird von ihren jeweiligen Heimatländern finanziert und vom für Meeresforschung und Geowissenschaften zuständigen Projektträger Jülich in Rostock koordiniert.

„Das kann ja heiter werden“ – niemand spricht diesen Satz aus, aber er steht in jedes Gesicht geschrieben. Die Ausschreibung für die begehrten Plätze für Studierende hatte da ein wenig spannender geklungen: Wie wählt man die richtige Stelle aus, um Gestein für geologische Analysen vom Meeresgrund zu holen? Wie holt man diese Proben aus der Tiefe und welche ersten Untersuchungen liefern schon an Bord Informationen darüber, ob der Fund weitere Analysen lohnt? Wie fängt man in Tiefen zwischen 500 und 1000 Metern mit einem Netz Organismen, die man untersuchen will? Wie identifiziert man die gefangenen Arten und wie konserviert man die Tiere oder ihre Organe für spätere Untersuchungen an Land?

Der Zeitplan muss immer wieder angepasst werden

An Bord der Sonne sollen die Studenten lernen, wie man diese Fragen beantworten kann und welche Technik dabei hilft. Zwölf-Stunden-Schichten, permanente Änderungen im Reise- und Forschungsplan gehören dazu. Mal bleibt das „Dredge“ genannte Gerät hängen, mit dem die Wissenschaftler Steine von den Steilhängen der Unterwasser-Vulkane bergen wollen. Dann wickelt sich das Kabel der Winde ungleichmäßig auf, mit der die Dredge hochgeholt wird und verzögert den Zeitplan, sagt Reinhard Werner vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Geomar in Kiel, der die Fahrt der Sonne leitet. Als die Meeres- und Neurobiologen um Hans-Joachim Wagner und Ulrich Mattheus von der Universität Tübingen sowie Ron Douglas von der City University of London und die französische Forscherin Fanny de Busserolles vom Red Sea Research Center in Thuwal in Saudi-Arabien ein Netz herunterlassen wollen, klappt das ebenfalls erst beim zweiten Anlauf. Sie wollen Organismen in der Tiefsee fangen, um den Seh-Apparat der Tiere zu untersuchen.

Der Südatlantik mehr als 500 Kilometer vor der Küste Namibias zeigt nicht nur sein Sonntagsgesicht mit strahlendem Sonnenschein und spiegelglatter See. Frische Brisen und drei bis vier Meter hohe Wellen, in denen die Sonne rollt und stampft, sind keine Seltenheit. „Hoffentlich wirken die magischen Pillen der Bordärztin gegen Seekrankheit“, sagt einer der Studenten. Schließlich bringt der Seegang nicht nur die Mägen durcheinander. Die Fischnetze holen die Forscher am Heck ein, ohne schützende Reling zwischen sich und den Wellen und keinen Meter vom Wasser entfernt. Schutzhelm und Sicherheitsweste gehören daher zur Standardausrüstung von Forschern und Studenten. Auch das Präparieren eines wenige Zentimeter langen Fisches aus der Tiefsee klappt unter dem Mikroskop viel besser, wenn einem der Boden des Biologie-Labors auf Deck 2 der Sonne nicht gerade entgegenkommt oder unter dem Laborhocker absackt.

Zwei Etagen höher tüftelt Reinhard Werner in der Fahrtleiter-Kammer auf dem Bootsdeck wieder einmal aus, wie er den Einsatz von Geräten an die widrigen Umstände an Bord anpassen kann. „Biologen und Geologen sollten möglichst gleich viel Forschungszeit erhalten“, sagt er. Das funktioniert nur, wenn Fahrtleiter und Kapitän Oliver Meyer den weiteren Ablauf permanent absprechen. Letzterer wiederum kann sich auf eine Mannschaft verlassen, die nicht nur das Schiff perfekt im Griff hat. Die Seeleute arbeiten so gut mit den Forschern zusammen, dass beide Gruppen an Bord zu einem Team zu verschmelzen scheinen. Am Ende hat Reinhard Werner dann 18 mehrstündige Einsätze von Geräten in der Tiefsee und etliche Stunden Kartieren des Meeresgrundes mittels eines Spezial-Echolots in nur vier Arbeitstage gequetscht.

Was das Gerät in der Tiefe aufsammelt, ähnelt einem Glücksspiel

An Bord der Sonne lernen die jungen Wissenschaftler den Forschungsalltag so kennen, wie er wirklich ist – mit allen Höhen und Tiefen. Jahrelang haben die Wissenschaftler die Fahrt vorbereitet, Reinhard Werner möchte zum Beispiel das Alter von Unterwasservulkanen bestimmen. „Dazu brauchen wir nicht irgendwelche Gesteinsproben, sondern Lava, deren Alter wir ermitteln können“, sagt der Vulkanforscher. Weil er an Bord der Sonne nicht sehen kann, was die Dredge in der Tiefe gerade aufsammelt, ähnelt das Ganze einem Glücksspiel. Mal taucht ein Sack Lavasteine aus dem Wasser auf. Ein anderes Mal gibt es nur unbrauchbare Ablagerungen. Die zerlegen die Studenten mit Hammer und Spaltkeil in kleine Bruchstücke, um nachzuschauen, ob sich darin vielleicht ein Lavabrocken verbirgt, der analysiert werden kann.

Wenn Hans-Joachim Wagner eine Ladung Organismen aus den tieferen Etagen des Meeres holt, sortieren die Studenten ebenfalls eifrig mit. Die für seine Forschung relevanten Tiere reserviert der Neurobiologe für sich und seine Kollegen. Mit dem großen Rest machen die Studenten eigene Experimente.

Zumindest, wenn es ihr Zeitplan zulässt. Der diktiert, wann sie die Geräte für die Rückfahrt vorbereiten müssen, mit denen die Forscher ihre Proben aus dem Meer holen. Statt Tintenfische oder Flügelschnecken zu studieren, demontieren sie dann mit Schraubenschlüssel und Wasserpumpenzange die Geräte. Den Forschern mit vielen Jahren Berufserfahrung geht es nicht anders. Adrian Flynn, der Chef des Consulting- und Forschungsunternehmens für Meeresökologie Fathom Pacific im australischen Melbourne, hat fast immer zwei Schraubenschlüssel griffbereit, mit denen er das Netz für die wissenschaftlichen Fischzüge in ein paar hundert Metern Tiefe vorbereitet.

An Bord sind die Studierenden vollwertige Wissenschaftler

Begeistert sind sie alle, Klagen hört man nur ganz selten. Trotz der vielen Handwerksarbeit bis hin zum Zersägen von Steinen, Nachtschichten und einer sehr flexiblen Planung. Auf der Forschungsreise sind die Studierenden vollwertige Wissenschaftler, obwohl ihnen dazu ein offizielles Zeugnis fehlt. Sie sind endlich im Forschungsalltag angekommen – auch wenn sie das Ergebnis ihrer Arbeit noch gar nicht kennen.

Auch das gehört dazu. Selbst die altgedienten Wissenschaftler bereiten auf dieser Forschungsfahrt der Sonne ihre Proben meist nur vor. Erst an Land – in den Labors in Tübingen und Kiel, England, Australien und Saudi-Arabien – folgt die genaue Analyse. Die Ergebnisse stehen teilweise erst Jahre später auf dem Papier.

Die mannigfaltigen Erinnerungen an diese faszinierende Forschungsfahrt sind dann noch lange nicht verblasst. Sie werden den Studierenden von heute vermutlich auch dann noch im Gedächtnis sein, wenn sie in ferner Zukunft von ihren noch zu erringenden Lehrstühlen in Windhoek, Kapstadt oder Hannover emeritieren werden.

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