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Blaues Wunder. Traubenschalen enthalten Resveratrol. Manche Forscher sehen in dem Stoff eine Schlüsselsubstanz für ein langes Leben. Aber die Hoffnungen auf ein Allheilmittel für die Gebrechen des Alters haben nun einen Dämpfer erhalten. Foto: ddp

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Forschung: Jungbrunnen gesucht

Studien wecken Zweifel am Traubenwirkstoff Resveratrol und angeblichen Methusalem-Genen. Forscher befinden sich weiterhin auf der Suche nach einem Wundermittel gegen das Altern.

Die Menschen in den wohlhabenden Industrienationen leben immer länger. Aber mit dem Alter nehmen auch die chronischen Krankheiten zu, aus Lebenslust wird Last. So verwundert es nicht, dass in den vergangenen Jahren der Wettlauf um eine Pille gegen das Altern Aufsehen erregte. Im Zentrum stehen dabei die Sirtuine, eine Gruppe von Proteinen (Eiweißen), die den Stoffwechsel vor Stress schützen. Wissenschaftler hoffen, mit Hilfe der Sirtuine das Alter hinauszuzögern und den Menschen ein längeres Leben zu schenken. Doch diese Erwartungen haben nun einen erheblichen Dämpfer erhalten. Wie ein internationales Forscherteam um David Gems vom University College London im Fachblatt „Nature“ berichtet, werden die Sirtuine vermutlich zu Unrecht mit einem langen Leben in Verbindung gebracht. Die Hoffnungen auf einen Jungbrunnen aus der Retorte sind damit in weitere Ferne gerückt.

Sirtuine sind körpereigene Enzyme, biologische Reaktionsbeschleuniger in der Zelle. Säugetiere wie der Mensch besitzen sieben verschiedene Sirtuine, die sich in ähnlicher Form schon in Hefezellen, Würmern und Taufliegen finden. Bei ihnen wurde die Wirkung der Sirtuine überwiegend studiert. Man weiß aus diesen Untersuchungen, dass Sirtuine Abschnitte des Erbguts zeitweise stilllegen.

Bei Säugetieren ist besonders das Sirtuin Sirt1 bedeutsam. Es sitzt im Zellkern und beeinflusst wichtige Transkriptionsfaktor, indem es diese chemisch leicht verändert. Transkriptionsfaktor sind Genschalter, die ihrerseits viele verschiedene Erbanlagen steuern. Gene, die zum Beispiel wichtig für den Stoffwechsel, das Funktionieren der biologischen Uhr und für das Altern sind. Auch der Umgang mit Stress, Erbgutschäden und Entzündungen wird durch Sirt1 beeinflusst. Grob gesagt: Sirtuine fahren den Zellstoffwechsel auf Sparflamme herunter und verlängern auf diese Weise das Leben – hoffentlich.

Entsprechend breit ist das Spektrum der Krankheiten, die therapeutisch eingesetzte Sirtuine mildern oder verhindern sollen. Typ-2-Diabetes (Alterszucker), ein vergrößerter Herzmuskel, Alzheimer und möglicherweise sogar Krebs sollen sich eines Tages mit ihrer Hilfe behandeln lassen. Kein Wunder, dass die Erbanlagen für die Sirtuine schon als „Gene für langes Leben“ bezeichnet wurden.

In ihrer Studie haben Gems und seine Kollegen einige der bisherigen Untersuchungen gründlich nachgeprüft. So erforschten sie Würmer, die genetisch so verändert waren, dass sie besonders viel Sirtuin herstellten. Diese Würmer leben länger als genetisch unveränderte „wilde“ Tiere. Das aber lag nicht am Sirtuin, wie die Forscher herausfanden, sondern an anderen Erbanlagen, in denen sich die beiden Wurmspielarten (genetisch veränderte und „wilde“ Variante) ebenfalls noch unterschieden. Waren die Tiere mit Ausnahme der Sirtuin-Erbanlagen genetisch völlig identisch, verschwand auch der Überlebensvorteil für die Sirtuin-Würmer.

Das gleiche Ergebnis erzielten die Forscher mit genetisch veränderten langlebigen Taufliegen (Drosophila), die ebenfalls viel Sirtuin bildeten. Auch bei ihnen waren andere Gene im Spiel, die den Methusalem-Effekt erklären konnten. Die Forscher züchteten sogar eine Taufliege, die noch mehr Sirtuin produzierte – ohne Effekt aufs Überleben.

Für die Arzneimittelhersteller sind Substanzen besonders interessant, mit denen man ohne viel Aufwand die Sirtuine in der Zelle anregen kann. Großes Vorbild ist Resveratrol, ein Pflanzeninhaltsstoff aus der Gruppe der Polyphenole. Resveratrol kommt vor allem in Traubenschalen vor und dient den Pflanzen zur Abwehr von Krankheitskeimen.

Manche Forscher sehen in Resveratrol eine Schlüsselsubstanz, um dem Alter Paroli zu bieten. Wie hoch die Erwartungen sind, zeigt das Beispiel der 2004 gegründeten amerikanischen Biotechnikfirma Sirtris, die verschiedene Formen von Turbo-Resveratrol entwickelt. Bereits vier Jahre später wurde das kleine Unternehmen vom Pharmariesen GSK gekauft – für 700 Millionen Dollar.

Lesen Sie auf Seite 2, was der Pflanzeninhaltsstoff Resveratrol für Ziele erreichen soll.

Resveratrol soll die Zellen vor Sauerstoffradikalen, aggressiven chemischen Verbindungen, schützen, Entzündungen hemmen, die Krebsentstehung verhindern und die negativen Folgen des Dickseins abmildern – ohne dass man dafür abnehmen muss. Eine Pille Resveratrol genügt.

Ähnlich sieht es mit der kalorischen Restriktion aus. Hinter dem Begriff verbirgt sich die Tatsache, dass eine chronische leichte Unterernährung die Lebensspanne vieler Tiere deutlich verlängert. Bisher galt folgende Theorie: Infolge des Hungerns werden die Sirtuine aktiv, verordnen dem Stoffwechsel ein Sparprogramm und ermöglichen dadurch ein längeres Leben.

Wenn nun Resveratrol oder eine verwandte Substanz die Sirtuine anregt, dann könnte man vielleicht langsamer altern, ganz ohne den unangenehmen Verzicht auf Kalorien. Auch dieser Annahme gingen die Forscher auf den Grund. Sie stellten Taufliegen-Sirtuin her und versuchten, es mithilfe von Resveratrol zu aktivieren. Das schlug jedoch fehl. Dann unterwarfen sie genetisch veränderte Taufliegen, denen es an Erbanlagen für Sirtuin mangelte, einer Hungerkur. Es stellte sich heraus, dass auch diese Tiere länger lebten – ganz ohne Sirtuin. Offenbar ist das Enzym doch nicht das Bindeglied zwischen Kalorienverzicht und gesundem Altern. Die pharmazeutische Abkürzung zum längeren Leben ganz ohne Diät hat also einen Dämpfer bekommen.

„Wir haben die wesentlichen Experimente, die Sirtuin mit der Langlebigkeit von Tieren verknüpfen, erneut angestellt und mussten erkennen, dass keines von ihnen der Überprüfung standhielt“, kommentiert der Studienleiter David Gems. „Sirtuine sind weit davon entfernt, ein Schlüssel für Langlebigkeit zu sein. Sie sind nicht dazu imstande, das Leben zu verlängern.“ Er hofft, dass man sich nun den Prozessen zuwenden kann, die wirklich das Altern kontrollieren.

So weit wie Gems wollen andere Wissenschaftler nicht gehen. Die Hoffnung darauf, dass Sirtuine wie Sirt1 in strengem Sinne die Lebensspanne bestimmten, habe sich zwar als unbegründet erwiesen, schreiben Carles Cantó (Nestlé-Institut für Gesundheitswissenschaften, Lausanne) und Johan Auwerx (Ècole Polytechnique Féderalé, Lausanne) in einem Kommentar in „Nature“. Aber Sirt1 könne die „Gesundheitsspanne“ verlängern, weil es einen vitalen Stoffwechsel garantiere und den alterstypischen Verfall bremse. Als Objekt aufregender Forschung werde den Sirtuinen ein langes Leben garantiert sein.

Im gleichen „Nature“-Heft rudert noch ein weiterer Wissenschaftler zurück. Leonard Guarente vom Massachusetts Institute of Technology hatte vor zehn Jahren in „Nature“ behauptet, ein mit Sirtuin-Genen angereicherter Wurm habe eine um 15 bis 50 Prozent verlängerte Lebensspanne. Aber dieser Effekt geht, wie sich nun herausstellte, zu einem wesentlichen Teil auf eine genetische Veränderung zurück, die damals nicht bedacht wurde und die nichts mit Sirtuinen zu tun hat. Die Lebensverlängerung betrage nur zehn bis 14 Prozent. Angesichts der ernüchternden anderen Ergebnisse ist das zumindest ein Hoffnungsschimmer.

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