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Chimär. In Mausembryonen haben Forscher bereits Rattenzellen (rot) eingeschleust, die sich dort vermehren und sogar ganze und funktionsfähige Organe wie das Herz bildeten. Mit menschlichen Stammzellen hat das jedoch noch nicht funktioniert.

©  Belmonte Lab, Salk Institute

Forschung an Mensch-Tier-Chimären: Das umstrittene Wesen der Mischwesen

Tiere mit menschlichen Organen züchten - ist das noch sinnvolles Forschen oder schon ein ethischer „Megaverstoß“? Ein Gastbeitrag.

Peter Dabrock ist Theologe an der Universität Erlangen und Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Nora Schultz ist Biologin und Wissenschaftliche Referentin beim Deutschen Ethikrat.

Zwei Meldungen über Mischwesen aus Mensch und Tier haben vor Kurzem weltweit Aufsehen erregt. Ende Juli verkündete der Japaner Hiromitsu Nakauchi, Nagetierembryonen mit beigemischten menschlichen Zellen bis zur Geburt entwickeln zu wollen. Nur wenige Tage später wurde berichtet, dass der Spanier Juan Carlos Izpisúa Belmonte in China menschliche Zellen in Affenembryonen injiziert habe. Das langfristige Ziel solcher Forschung ist es, menschliche Organe für die Transplantationsmedizin in Tieren zu züchten.

Vielfach wurde mit Kritik reagiert: Tiere würden als „Ersatzteillager“ für menschliche Organe behandelt. Oder mit Abscheu, da Chimären als gruselig wahrgenommenen werden. Dazu kam, dass beide Forscher nicht über begutachtete Fachaufsätze kommunizierten. Sie traten stattdessen einfach vor die Presse und beförderten Hype und Angst noch dazu mit unklaren oder nicht überprüfbaren Angaben.

Doch es lohnt sich, noch genauer hinzuschauen, woher das Unbehagen rührt. Denn es waren nicht die ersten Experimente mit Mensch-Tier-Mischwesen. Der Deutsche Ethikrat hat schon 2011 aus Anlass ähnlicher Versuche eine Stellungnahme zum Thema veröffentlicht. Zwei Fragen standen damals – wie heute – im Mittelpunkt: Was passiert bei solchen Experimenten mit dem Tier und was bedeuten sie für unser menschliches Selbstverständnis?

Hochrangige Forschungsziele

Das Wohl, das Leid und der Schutz von Tieren, aber auch ihr Eigenwert und die Verantwortung des Menschen für seine Mitgeschöpfe werden für die Gesellschaft immer wichtiger. Deshalb hat auch der Deutsche Ethikrat ein neues Projekt zu dieser Frage begonnen. Viele Menschen halten die Nutzung von Tieren für gerechtfertigt, wenn sie Interessen dient, die ihnen wichtig sind. Hier gilt es sorgfältig abzuwägen, etwa ob ein Forschungszweck hochrangig genug ist, um Versuchstieren zu schaden, ihnen (aus der Sicht der Forschenden) unvermeidbares Leid zuzufügen oder sie sogar zu töten.

Die aktuellen Versuche verfolgen ein Ziel, dessen Hochrangigkeit viele bejahen: schwer kranken Menschen, deren Organe versagen, zu helfen. Denn längst nicht alle Betroffenen bekommen die Chance auf Spenderorgane. Hier könnten menschliche Organe, die im Tierkörper wachsen, langfristig wirklich viel verbessern. Man kann eine solche Perspektive grundsätzlich ablehnen, muss sich dann aber drei Fragen hinsichtlich der Stimmigkeit einer solchen Position mit der eigenen Lebensführung stellen: Bin ich bereit, Organe zu spenden? Esse ich Fleisch? Und nutze ich Medikamente, die nur dank Tierversuchen entwickelt werden konnten?

Doch selbst wenn man der Forschung aufgeschlossen gegenübersteht, ergibt sich bei Mensch-Tier-Mischwesen eine neue Frage: Könnten die menschlichen Zellen das Aussehen, das Verhalten oder gar das Denk- und Empfindungsvermögen von Tieren so verändern, dass dadurch neue Leidensmöglichkeiten entstehen? Dies wäre etwa möglich, falls ein Tier mit einem „vermenschlichten“ Gehirn Einschränkungen in der sozialen Interaktion mit seinen nicht veränderten Artgenossen erführe.

Mit dieser tierethischen Frage verbunden ist die zweite große ethische Herausforderung der Mischwesenbildung, die unmittelbar menschliches Selbstverständnis berührt: die Überschreitung der Grenze zwischen Mensch und Tier. Zwar ist auch sie nicht neu. Wissenschaftler arbeiten seit Jahrzehnten daran, tierische Gewebe auch direkt im Menschen verwenden zu können. Der Austausch defekter Herzklappen durch – allerdings abgetötetes – Gewebe von Schwein oder Rind klappt bereits. Auch hier sollte man sich fragen, ob man diese Möglichkeit wirklich für sich selbst ablehnen würde.

Wann ist die moralische Grenze überschritten?

Doch Mischwesenforschung, bei der Tiere mit menschlichen Zellen erzeugt und geboren werden, geht potenziell weiter. Die entscheidende Frage ist, wann solche Versuche eine moralisch inakzeptable Eingriffstiefe erreichen könnten. Der Deutsche Ethikrat betrachtete dazu 2011 zwei Szenarien, die Bedenken hervorrufen: die Reifung menschlicher Ei- oder Samenzellen im Tierkörper und die Entwicklung menschlicher Eigenschaften mit besonderer moralischer Relevanz, wie etwa Sprachfähigkeit, Selbstbewusstsein sowie Kultur- und Moralfähigkeit.

Die Verhaltensforschung erbringt zwar ständig neue Hinweise darauf, dass auch Tiere zumindest Facetten dieser Fähigkeiten aufweisen, doch ihre menschentypische Ausprägung wird nach wie vor zur Begründung der moralischen Sonderstellung des Menschen herangezogen. Sollten menschenähnliche Fähigkeiten sich plötzlich in Mensch-Tier-Mischwesen entfalten, könnte dies sowohl zur Verunsicherung des menschlichen Selbstverständnisses führen als auch zu neuen ethischen Herausforderungen im Umgang mit solchen Wesen. Ihnen müsste ja ein menschenrechtsanaloger Schutzstatus zukommen. Bevor man solche Konsequenzen zieht, bedarf es einer sorgfältigen biowissenschaftlichen und ethischen Prüfung.

Dabei gilt es die Eingriffstiefe in mindestens dreierlei Hinsicht zu untersuchen: Wie viele menschliche Zellen werden dem Tier beigemischt? Welche Qualität hat der Eingriff, was daran abgelesen werden kann, welche Zellen, Gewebe, Organe und Tierarten betroffen sind? Und schließlich: Zu welchem Zeitpunkt erfolgt die Vermischung? Denn je gleichmäßiger tierische und menschliche Anteile vermischt werden, je eher sie moralisch sensible Gewebe, etwa das Gehirn, betreffen und je früher sie sich gemeinsam entwickeln, desto wahrscheinlicher könnte der Eingriff zu einer moralisch bedeutsamen Vermenschlichung des Tiers führen.

Experimente mit menschlichen Zellen bislang wenig erfolgreich

Was bedeutet das für die Beurteilung aktueller Forschung? Sowohl für Nakauchi als auch für Izpisúa Belmonte ist es nicht der erste Anlauf, Mensch-Tier-Mischwesen herzustellen. Izpisúa Belmonte hat menschliche Stammzellen schon in Schweine- und Rinderembryonen transplantiert, Nakauchi in Schaf- und ebenfalls Schweineembryonen. Diese Experimente zeitigten kaum Erfolge, obwohl die Zellen sehr früh zusammengebracht wurden. Nach einigen Tagen hatte sich der menschliche Anteil drastisch reduziert. Nur eine von zehntausend Zellen im Schaf war menschlich, im Schwein sogar nur eine von hunderttausend. Hier zeigte sich, dass das Entwicklungspotenzial menschlicher Zellen in Embryos entfernt verwandter Arten sehr begrenzt ist.

Das häufig genannte Risiko, dass menschliche Zellen unbeabsichtigt das Gehirn oder die Keimdrüsen des Mischwesens besiedeln und funktionell verändern könnten, erscheint angesichts solcher Mengenverhältnisse gering. Dies dürfte erst recht für die nun von Nakauchi geplanten Mensch-Nagetier-Mischwesen gelten, selbst wenn diese sich bis zur Geburt weiterentwickeln. Zudem planen die Forscher, sich langsam an ihr Ziel heranzutasten und nach jedem Reifungsschritt zu untersuchen, ob und in welchem Ausmaß es zur unbeabsichtigten Integration menschlicher Zellen in andere Gewebe kommt. Wäre dies der Fall, könnte man die Experimente stoppen, bis Methoden gefunden werden, die so etwas verhindern können.

Anders sieht es bei den Affenversuchen von Izpisúa Belmonte aus. Aufgrund der engeren biologischen Verwandtschaft mit Menschen wäre das Potenzial für die Zusammenarbeit der Zellen und funktionelle Konsequenzen größer. In Versuchen mit Chimären aus eng verwandten Mäusen und Ratten konnte Nakauchi erfolgreich eine komplette Bauchspeicheldrüse aus den Zellen der jeweils anderen Art wachsen lassen. Auch er will langfristig an Mensch-Affen-Chimären forschen und untersucht bereits jetzt, wie gut sich Stammzellen von Schimpansen, den nächsten Verwandten des Menschen, in Makakenembryonen integrieren lassen.

Ein embryonale Affe-Mensch-Chimäre wäre "unter Umständen ethisch vertretbar"

Von einer embryonalen Chimärisierung von Mensch und Affe hatte der Ethikrat 2011 abgeraten. Er befürchtete, dass die Durchmischung der Zellen hier so weit gehen könnte, „dass dies tendenziell zur Auflösung der Grenze zwischen Mensch und Tier führen könnte“. Wenn dies mit den inzwischen zur Verfügung stehenden molekularbiologischen Methoden und entsprechender Umsicht ausgeschlossen werden kann, könnte jedoch auch eine Chimärisierung zwischen Affe und Mensch im Embryonalstadium unter Umständen ethisch vertretbar sein. Diese mögliche Konsequenz hatte der Ethikrat 2011 im Blick.

Denkbar ist aber auch, dass Forscher Tiere mit menschlichen Zellen im Gehirn gezielt erzeugen wollen. Selbst das wäre nicht neu. Nur entstanden solche Hirnchimären bislang erst nach der Geburt, wenn das tierische Gehirn schon weitgehend ausgereift war. 2017 etwa transplantierten japanische Forscher menschliche Nervenzellen in die Gehirne von Affen mit Symptomen der Parkinson-Krankheit, um eine Zelltherapie zu testen. Die menschlichen Zellen linderten die Krankheitssymptome. Verhaltensauffälligkeiten wurden nicht beobachtet.

Vorsicht ist dennoch geboten. Auch das zeigt ein bereits erfolgter Versuch. Mäuse, denen Forscher 2013 nach der Geburt menschliche Zellen eingepflanzt hatten, die im Gehirn lediglich Unterstützerfunktion haben, entwickelten ein verbessertes Lernvermögen und Gedächtnis. Die Chimärisierung führte zu einer funktionellen Veränderung, obwohl Mensch und Maus nicht eng verwandt sind, die Vermischung erst spät erfolgte und von den Zellen kein Einfluss auf die kognitive Funktion erwartet worden war.

Eine in die Gesellschaft eingebettete Wissenschaft darf der Debatte nicht ausweichen

Wollte man künftig Zellen von Mensch und Affe im Embryonalstadium vermischen, womöglich noch mit dem ausdrücklichen Ziel, Hirnchimären zu erzeugen, wäre eine Veränderung moralisch relevanter Eigenschaften noch wahrscheinlicher. Und sicher feststellen könnte man sie erst, wenn das Tier bereits geboren ist. Dass Versuche mit einer solchen Eingriffstiefe Unbehagen oder gar Verstörung auslösen, ist daher nicht unverständlich.

Die ethische Prüfung bedarf deshalb der gleichen Sorgfalt und Behutsamkeit, die wir insgesamt bei der Planung und Umsetzung von Arbeiten im tierexperimentellen Bereich erwarten. Ob schon Nakauchis Pläne einen „ethischen Megaverstoß“ darstellen, wie der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach ihn diagnostizierte, ist fraglich. Doch Forscher müssen sich ihrer ethischen Verantwortung auch bereitwillig stellen, proaktiv das Gespräch mit einer kritischen Öffentlichkeit suchen und lernen, dass Kritik auch ein Zeichen von Interesse ist. Eine Verlagerung umstrittener Versuche in Länder mit weniger Auflagen, wie China eines ist, und vorschnelle Versuchsmeldungen, wie Izpisúa Belmonte sie nun gewählt hat, passen nicht zu einer in die Gesellschaft eingebetteten Wissenschaft. Damit riskiert man, das Vertrauen zu verspielen, das Wissenschaft dringend benötigt – gerade angesichts der zahlreichen Krisen der Gegenwart, die nicht ohne wissenschaftliche Expertise gemanagt werden können.

Nora Schultz, Peter Dabrock

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