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Die Versuchskaninchen von Elly Tanaka: weiße Axolotl

© Schering Stiftung

Forscher züchten Gewebe: Arme, die nachwachsen

Der Axolotl kann seine Gliedmaßen nachwachsen lassen. Schaffen Forscher das auch bald bei Menschen?

Finger, Hände, Arme, Beine – für den Axolotl sind das beinahe so austauschbare Körperanhängsel wie beim Menschen die Haare oder Fingernägel. Verliert der Schwanzlurch ein Bein, wächst es vollständig nach. Auch andere Gewebe, sogar das Rückenmark, werden nach einer Verletzung nicht nur notdürftig vernarbt, sondern regenerieren. Dem Menschen ist diese Fähigkeit im Laufe der Evolution irgendwann verloren gegangen. Wunden vernarben nur, aber amputierte Beine können nie mehr nachwachsen. Warum das so ist, versucht Elly Tanaka schon ihr halbes Leben lang herauszufinden. Seit Jahren untersucht die in Boston geborene Wissenschaftlerin das Regenerationsphänomen beim Axolotl, erst am Max-Planck-Institut in Dresden, inzwischen am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie in Wien. Am Montagabend erhielt die 52-Jährige dafür den mit 50 000 Euro dotierten Ernst-Schering-Preis.

Bereits im 18. Jahrhundert erkannten Wissenschaftler, dass eine ganze Reihe von Tierarten in der Lage ist, Gewebe, ganze Organe und sogar komplette Gliedmaßen zu regenerieren – darunter Plattwürmer, aber auch höherentwickelte Wirbeltiere wie Molche oder Salamander. Im Grunde steckt in jeder Zelle eines Tiers das gleiche Erbgut, also der komplette Plan, um aus einer (Ei-) Zelle einen ganzen Körper zu regenerieren. Der Schwanzlurch kann dieses Programm reaktivieren. Allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. So muss das Bein komplett amputiert sein. Ein tiefer Einschnitt allein reicht nicht, damit sich ein neues Bein bildet. Woher aber wissen die Zellen, wann sie nur eine Wunde schließen müssen und wann eine Gliedmaße zu regenerieren ist? Woher weiß eine Zelle, wo und für welchen Zweck sie gebraucht wird? Und wie stoppt der Organismus das Wachstum des Armes, wenn er lang genug ist?

Elly Tanaka hat erste Antworten auf diese Fragen gefunden. Sie hat Stammzellen identifiziert, die für das Nachwachsen der Gliedmaßen verantwortlich sind. Dafür forscht sie an weißen Axolotl. Ihre Haut ist so hell, dass die Forscher Muskelfasern, Nervenbahnen und andere Gewebe von außen gut beobachten können. Außerdem markierte Tanaka die Zelltypen mit fluoreszierenden Stoffen. Dadurch konnte sie unter dem Mikroskop das Schicksal der Zellen im Organismus genau verfolgen.

Nach dem Abtrennen einer Gliedmaße zeigt sich unter dem Mikroskop ein ziemliches Gewusel von Zellen. Was einst Haut- oder Muskel-, Nerven- oder Blutgefäßzelle war, muss sich neu orientieren und verändern, damit eine funktionstüchtige Gliedmaße entstehen kann. Tanaka gelang es, die Kommunikation der Zellen in dieser Phase der Neuorientierung zu entschlüsseln. Sie konnte auch nachweisen, dass sich die Zellen nach einer Amputation wieder zurückentwickeln. So werden aus Muskelzellen erst stammzellartige Vorläuferzellen, bevor sie wieder neue Muskeln aufbauen. Das gleiche gilt für Knorpel- und andere Zelltypen. So wächst in wenigen Wochen eine komplett funktionstüchtige neue Gliedmaße heran.

Mensch und Axolotl teilen dieselbe Entwicklungsgeschichte. Deshalb müsste auch beim Menschen die grundlegende Fähigkeit zur Regeneration angelegt sein. Warum sie im Laufe der Evolution verloren gegangen ist und Menschen sich kein neues Bein wachsen lassen können, versuchen Tanaka und ihr Team jetzt anhand von Mäusen zu ergründen. Die Säugetiere sind dem Menschen ähnlicher als der Axolotl. „Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Immunsystem von Mäusen und Menschen eine Regeneration verhindert“, sagt Tanaka. Außerdem gebe es große Unterschiede bei der Regulation des Erbguts. „Offenbar ist es bei Säugetieren schwieriger, die Gene wieder anzuschalten, die das Wachstum einer neuen Gliedmaße ermöglichen.”

Elly Tanaka hofft, ihre Forschung eines Tages auf den Menschen zu übertragen: „Wir wollen menschliche Zellen dazu bewegen, dieselben Prozesse wie im Axolotl anzustoßen“, sagt die Forscherin, „Vielleicht können wir eines Tages ein Gewebe aus Stammzellen herstellen, das sich selbst regenerieren kann.” Dieser Zellhaufen aus der Petrischale könnte dann transplantiert werden, damit dann vor Ort eine fehlende Gliedmaße nachwachsen kann. Bis dahin sei es aber noch ein weiter Weg. Dass Elly Tanaka das Phänomen weiter erforschen wird, erkennt man schon allein an ihrer Begeisterung für diese Forschung: „Der Prozess der Regeneration ist einfach wunderschön.“

Florian Schumann

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