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Ein Roboter begrüßt junge Besucher:innen der Langen Nacht der Wissenschaften.

© Paul Zinken/picture alliance / dpa

Forschende in die Pflicht genommen: Wer für die Wissenschaft kommuniziert

Welche Forschungsprojekte gefördert werden, hängt oft vom Plan für die Öffentlichkeitsarbeit ab. Die Arbeit machen häufig die jungen Wissenschaftler:innen.

Fast alle in der scientific community sind aktiv in der Wissenschaftskommunikation, aber nicht alle lieben sie. „Ein guter Komponist ist nicht unbedingt ein großer Pianist“, sagt Eva Geulen, Direktorin des Leibniz Zentrums für Literatur- und Kulturforschung (ZfL).

Ob man seine Arbeit vor großem Publikum souverän und unterhaltsam präsentieren kann, hat mit Neigung und Talent zu tun. In der Forschungslandschaft wird diese Fähigkeit allerdings immer wichtiger: Die Wissenschaftskommunikation ist Thema in allen deutschen Hochschulen und Forschungszentren – und schwirrt als Hashtag #WissKomm durch die Twitterblasen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unternimmt einiges, um die neue Währung, an der die gesellschaftliche Bedeutung der Wissenschaften bemessen wird, in Umlauf zu bringen. 2019 nahm Ministerin Anja Karliczek (CDU) die Forschenden selbst in die Pflicht, sich daran zu beteiligen, sich also stärker um Öffentlichkeitsarbeit zu bemühen.

Unter dem Titel „FactoryWisskomm“ lud Karliczek im Herbst 2020 ausgewählte Forschende, Medienmacher und Vertreterinnen großer Wissenschaftseinrichtungen ein, „Empfehlungen für die Politik“ zu entwickeln. Die Ergebnisse werden am Mittwoch, 23. Juni 2021, im Museum für Naturkunde vorgestellt.

Mehr Pressemitteilungen, die keiner liest

Die Reaktionen auf die neuen Anforderungen, die bei der Beantragung von BMBF-Drittmitteln berücksichtigt werden müssen, reichten von Kritik an mangelnder Förderung des unabhängigen Wissenschaftsjournalismus bis zur Warnung vor einem Zuwachs an Pressemitteilungen, die keiner liest. Noch grundsätzlicher wurde „Impact-Denken“ befürchtet, also dass mit dem wachsenden Fokus auf Vermittelbarkeit auch Kriterien wie Anwendungsbezug und Wirtschaftlichkeit immer wichtiger würden.

Im Umkehrschluss könne für Grundlagenforschung oder Themen, die aktuell  nicht hoch im Kurs stehen, ein Nachteil in der Bewerbung um öffentliche Fördergelder entstehen. So sahen es auch die geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Fachgesellschaften in einer Stellungnahme.

Die Germanistin und Wissenshistorikerin Eva Geulen hat ähnliche Bedenken. „Inzwischen hängt ja an der Wissenschaftskommunikation eine ganze Forschungsrichtung und ein Rattenschwanz von Coaches, Beratern, Agenturen“, sagt die ZfL-Direktorin. Sie ist besorgt, dass „die für den wissenschaftlichen Fortschritt notwendige Autonomie der Wissenschaften und der Respekt für nicht anwendungsorientierte Grundlagenforschung immer mehr ausgehöhlt“ würden.

Über einem Hauptgebäude der FU leuchtet eine Sonne und vor dem Gebäude flattern künstliche Feuer.
Signale in die Öffentlichkeit: Installation zur Langen Nacht der Wissenschaften 2014 an der Freien Universität Berlin.

© Juliane Bartsch/Freie Universität Berlin

Tatsächlich ist aus der Wissenschaftskommunikation und ihrer Selbstbeobachtung bereits ein eigener Stellenmarkt erwachsen. Das gemeinnützige Unternehmen „Wissenschaft im Dialog“ (WiD) wurde 2000 auf Initiative des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft und der großen deutschen Forschungsorganisationen hin gegründet, und finanziert sich überwiegend durch öffentliche Mittel. 2019 flossen 40 Prozent der rund 5,19 Millionen Euro, die das WiD aufgewendet hat, in Personalmittel.

Geulen betont aber auch, wie wichtig am ZfL der Wissenstransfer nach außen sei, „eben weil der Austausch durch die Lehre, deren Bedeutung für die Wissenschaftskommunikation viel zu oft übersehen wird, weitgehend wegfällt“. Ihr Forschungszentrum richtet schon lange Veranstaltungen in Kooperation mit dem Literaturhaus und dem Museum für Kommunikation aus, der Dialog mit der Öffentlichkeit sei ein „integrativer Bestandteil“ der Arbeit des Hauses.

"Welche Aufgaben können stattdessen wegfallen?"

Wo es um die Öffnung der Forschung für die Gesellschaft und ein jüngeres Publikum geht, ist besonders der Mittelbau gefragt. Bleibt Wissenschaftskommunikation als unbezahlte Extraarbeit an Doktorand:innen und PostDocs hängen? Martin Grund, der am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften promoviert, ist bei der „FactoryWisskomm“ aktiv und berichtet, in seinem akademischen Umfeld sei Beteiligung an extra Öffentlichkeitsarbeit eine „freiwillige Option“.

Entscheidend sei dabei eine gute Begleitung durch die Verwaltung, was an seinem Institut der Fall sei. „Natürlich ist der Organisationsaufwand beispielsweise für eine Lange Nacht der Wissenschaft immens, da braucht es unterstützendes Personal“, sagt Grund.

Jule Specht, Psychologie-Professorin an der Humboldt-Uni, wünscht sich deutlich mehr Unterstützung für Forschende. „Ich halte es für absolut zentral von Verantwortlichen wie Frau Karliczek, die von Wissenschaftler:innen mehr Kommunikation erwartet, dass sie gleichzeitig auch deutlich macht, welche Aufgaben stattdessen wegfallen oder reduziert werden.“

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Bisher würde „der Aufwand der kommunikativen Extra-Aufgaben vor allem von einzelnen Wissenschaftler:innen getragen“, sagte Specht, die auf ihrem Blog auch zu wissenschaftspolitischen Themen schreibt. Ein gutes Vorbild ist für sie das Programm „Open Humboldt“, das Mitarbeiter:innen für ein Jahr von der Lehre befreit und so ermöglicht, ihre Forschungsmaterie in neue, publikumsfreundliche Formen zu gießen.

Auch Philipp Schrögel, der zu Wissenschaftskommunikation forscht und die FactoryWisskomm in Partizipationsfragen berät, findet, die oft rege Beteiligung des Nachwuchses an „Blogs, Science Slams oder Diskussionen über ethische Rahmenbedingungen“, sollte als Teil der akademischen Leistung zur Arbeitszeit zählen und mehr Anerkennung finden.

Ein Thema für die universitäre Weiterbildung

Auf die Frage nach einer möglichen Belastung des Nachwuchses durch die neuen Kommunikationsziele gibt er zu, das komme vor – „wie es manche Professor:innen sicher auch mit ungeliebten Aufgaben in der Lehre oder unsichtbaren Zuarbeiten zu Publikationen machen“. Umso wichtiger sei es, die „allgemein oft prekären Arbeitsbedingungen von Early Career Scientists“ zu verbessern.

Die Hochschulleitungen jedenfalls nehmen Wissenschaftskommunikation zunehmend ernst und das nicht erst, seitdem das BMBF Druck macht. Am Weiterbildungszentrum der TU Berlin etwa werden für Mitarbeiter:innen in Forschung und Lehre seit 2014 WissKomm-Kurse angeboten, seit 2020 mit einem Zertifikat. Ziel ist zu lernen, seine Inhalte gut verständlich und anschaulich darzustellen, aber auch abzuschätzen, was „die Medien und fachfremde Zielgruppen“ überhaupt interessiert. Die Teilnehmerzahlen hätten sich seit Einführung der Kurse verdoppelt, die Rückmeldungen seien sehr positiv, heißt es.

Doch es bleibt Kritik am BMBF-Verständnis von Wissenschaftskommunikation. So verwässere der Oberbegriff die Unterschiede zwischen verschiedenen Genres – und das eigentliche Anliegen der Kommunikation. Mal zielt Karliczeks Strategie darauf, Präsentationsskills und Sichtbarkeit von Forschenden zu verbessern, mal zielt sie auf die PR von Hochschulen und Einrichtungen (ohne auf den Wissenschaftsjournalismus und die Bürgerwissenschaft einzugehen).

Bei alledem: Die neue Währung „WissKomm“ könnte, wenn sie gut investiert wird, helfen, die Konjunktur von evidenzbasiertem Wissen und Differenzierungsfähigkeit in einer immer komplexen Welt anzukurbeln. Bei diesem „Austauschprozess mit der Öffentlichkeit“, wie Jule Specht sagt, sei es neben der Vielfalt an Argumenten und Sichtweisen besonders wichtig, „auch die Grenzen dessen, was wir wissen und die Vorläufigkeit des aktuellen Wissensstandes“ zu verdeutlichen.

„Wenn stark vereinfacht werden muss, um ein komplexes Thema zu besprechen“, so Specht, „sollte lieber einmal mehr als weniger darauf hingewiesen werden.“

Anmerkung der Redaktion: Die Autorin ist Volontärin in der Kommunikation der Einstein Stiftung Berlin und hat den Text im Rahmen eines Praktikums beim Tagesspiegel geschrieben.

Eva Murasov

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