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Mahlzeit! Das Bild zeigt Überreste von Taschenkrebsen, die Neandertaler vor rund 100 000 Jahren in der Figueira-Brava-Höhle an der Küste Portugals verspeisten.

©  Zilhao et al. Science

Fischen, tauschen, segeln?: Neandertaler als Meeresfrüchte-Gourmets

Sie ernährten sich von Fischen und Muscheln – und womöglich fuhren Neandertaler sogar aufs Meer, zeigt eine Studie. Ganz wie Homo sapiens.

„Es sind praktisch keine Verhaltensweisen mehr übrig, in denen Neandertaler sich von den damals lebenden modernen Menschen unterschieden“: Davon ist Dirk Hoffmann von der Universität Göttingen überzeugt. Wie Dominosteine seien in den vergangenen Jahren frühere Vermutungen über geringere geistige Kapazitäten der ausgestorbenen Cousins unserer eigenen Linie nacheinander umgefallen. So hatten die Neandertaler selbst einen Sinn für Kunst, ähnlich wie wir.

Jetzt fällt die letzte Bastion der modernen Menschen. Dachte man bislang, dass Neandertaler kaum Meeresfrüchte aus dem Meer holten und verspeisten, zeigt eine neue Studie anderes. In der Zeitschrift „Science“ stellen Dirk Hoffmann und Kollegen eine Höhle an der Küste Portugals vor, in der Neandertaler Muscheln und andere Delikatessen aus dem Meer in rauen Mengen verspeist hatten.

„Heute liegt die Figueira-Brava-Höhle rund 30 Kilometer südlich von Lissabon unmittelbar an der Küste“, schildert Dirk Hoffmann die Ausgrabungsstätte. Seit 2010 erforscht Hoffmann diese Höhle. Immer wieder ist in diesen Höhlen Wasser von der Oberfläche auf den Boden gerieselt, aus dem Kalk ausfiel, der mit der Zeit zu einer dünnen Sinterschicht wurde.

Bis zu 106.000 Jahre alte Essensreste

Die untersuchten Sinterschichten sind laut Hoffmann zwischen 106.000 und 86.000 Jahre alt. Zwischen ihnen finden die Forscher mehrere, jeweils über den Zeitraum von rund 4000 Jahren entstandene Ablagerungen, in denen noch viele Überreste der Mahlzeiten der damaligen Höhlenbewohner stecken. Bei den Bewohnern der Figueira- Brava-Höhle kann es sich nach heutigem Stand der Forschung nur um Neandertaler gehandelt haben, auch wenn anderswo bereits moderne Menschen existierten.

Ursprünglich lag die Höhle zwischen 700 und 2000 Meter vom Strand entfernt – auch, weil das Klima ein wenig kühler als heute war. Grund dafür ist eine vorangegangene Eiszeit. Als nach der Eiszeit der Meeresspiegel wieder anstieg, zerstörte die Brandung einen Teil der ursprünglich viel größeren Höhle. Nur ganz hinten blieben vielleicht fünf Prozent der ursprünglichen Ablagerungen liegen.

Dort finden die Forscher nicht nur Spuren der Herdfeuer der Neandertaler, sondern auch Überreste ihrer Mahlzeiten. Neben Pinienkernen, die erst nach einer Klettertour in die Baumwipfel geerntet werden konnten, standen auch reichlich Fleisch von Rotwild, Pferden, Steinböcken und Auerochsen auf dem Speiseplan.

Einen sehr großen Teil ihrer Nahrung aber holten die Neandertaler aus dem Meer. So fanden die Forscher die Knochen von Aalen und Haien, die sich im flachen Wasser an der Küste fangen ließen. Auch die Überreste von Riesenalken, die verblüffend heutigen Pinguinen ähnelten, und Ringelrobben steckten in den Sedimenten.

Knochen von Delfinen

Diese Tiere zogen wohl im hohen Norden ihren Nachwuchs groß, schwammen aber auch in die milderen Gefilde vor der Küste des heutigen Portugals. Sogar die Knochen von Delfinen wurden bereits entdeckt. „Möglicherweise waren die Neandertaler sogar auf dem Meer unterwegs, um Beute zu machen“, vermutet Hoffmann.

Ein großer Anteil der Speiseabfälle besteht aus den gerösteten Schalen von Taschenkrebsen und vor allem von Muschel-Arten. „Die Neandertaler waren also ähnlich schlau wie die modernen Menschen der gleichen Epoche an der Küste Süd-Afrikas und nutzten die riesigen Ressourcen des Meeres geschickt.“

Schließlich muss man sich bei der Muschel-Ernte nicht nur gut mit Ebbe und Flut auskennen. Gleichzeitig müssen die cleveren Neandertaler gewusst haben, in welcher Jahreszeit die Meeresfrüchte giftige Inhaltsstoffe enthalten können. Die Funde in der Figueira-Brava-Höhle entkräften auch ein altes Argument für eine vermutete Überlegenheit der modernen Menschen: In der Nahrung aus dem Meer stecken auch reichlich Omega-3-Fettsäuren und andere Inhaltsstoffe, die geistige Kapazitäten fördern. Das Denkvermögen der Neandertaler könnte also durchaus an die Geisteskapazitäten der modernen Menschen der Steinzeit herangereicht haben.

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