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Überzeugungsarbeit: Hausärzt:innen müssen nicht impfen. Viele beteiligen sich aber, weil sie die Risiken von Covid-19 höher bewerten als die möglicher Nebenwirkungen.

© Christoph Schmidt/dpa

Finanzspritzen, Freiheiten und die Hausärzte: Anreize erhöhen Impfbereitschaft der Unentschlossenen

Impfskepsis gefährdet die Impfprogramme. Nach einer Studie der Humboldt-Universität lassen sich Junge und Alte aber mit unterschiedlichen Anreizen überzeugen.

Es gibt die einen, die meisten, für die es keine Frage ist: sie lassen sich gegen Covid-19 impfen, um sich selbst und Mitmenschen vor Ansteckungen zu schützen. Es gibt andere, für die es auch keine Frage ist, die diese und oft weitere Impfungen aber grundsätzlich ablehnen.

Dazwischen steht die Gruppe der Unentschlossenen. Zu ihr gehören nach einer aktuellen Befragung etwa 17 Prozent der Erwachsenen in Deutschland.

Die Studie, die dem Tagesspiegel vorliegt, zeigt, wie sich mehr Menschen für die Impfung gewinnen lassen könnten. Sie belegt aber auch, dass die Impfskepsis das Ziel gefährden könnte, einen so großen Anteil der Bevölkerung zu immunisieren, dass das Coronavirus Sars-CoV-2 dauerhaft unter Kontrolle gehalten werden kann.

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Finanzieller Anreiz muss hoch genug angesetzt sein

„Wir sehen es in verschiedenen Ländern und jetzt auch in unserer Befragung in Deutschland. Mangelnde Impfbereitschaft ist ein großes Problem, das auf uns zukommen könnte“, sagt die Studienleiterin Heike Klüver von der Humboldt-Universität Berlin.

Die Sozialwissenschaftlerin und ihre Kollegen befragten mehr als 20.000 Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 75 Jahren und aus dem gesamten Bundesgebiet. Etwa zwei von drei der Teilnehmenden gaben an, sich impfen lassen zu wollen oder bereits geimpft zu sein. Etwa jeder sechste lehnte eine Impfung rundheraus ab und ebenso viele hatten sich noch nicht dafür oder dagegen entschieden.

Die Unentschlossenen gaben am häufigsten Besorgnisse über langfristige und unmittelbare Nebenwirkungen der Impfung als Grund für ihre Zurückhaltung an. Sollte die Mehrheit dieser Gruppe beschließen sich nicht impfen zu lassen, könnte das Ziel der Herdenimmunität nicht erreicht werden. Nach Schätzungen liegt es bei einer Impfquote zwischen 60 und 70 Prozent der Bevölkerung.

„Wir wollten mit unserer Studie Strategien identifizieren, die Regierungen helfen, mehr Menschen für die Impfung zu gewinnen“, erklärt Klüver. Eine zentrale Erkenntnis sei, dass Impfkampagnen versuchen sollten, die Unentschlossenen zu erreichen. „Unter ihnen lässt sich die Impfbereitschaft deutlich erhöhen.“.

Dagegen zeigten die erprobten Anreize in der Gruppe der Impfgegner kaum Wirkung. Die Forschenden haben die Wirkung von dreien untersucht: die Rückgabe von Freiheiten an Geimpfte, finanzielle Vergütungen und Impfungen bei Hausärzten statt nur in Impfzentren. Unter den Unentschlossenen erhöhte jeder der drei Anreize die Wahrscheinlichkeit, mit der sich die Menschen impfen lassen würden um etwa fünf Prozentpunkte. In Kombination erreichten die Anreize bis zu 13 Prozentpunkte.

Die drei Strategien funktionieren für verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich gut. Während sich die Impfbereitschaft von älteren Befragten vor allem durch das Impfen beim Hausarzt erhöhen lässt, können jüngere Befragte besonders gut durch die Aussicht auf mehr Freiheiten von einer Impfung überzeugt werden. Auch ein finanzieller Anreiz kann die Impfbereitschaft merklich erhöhen. Allerdings muss der Betrag ausreichend hoch sein. In der Befragung zeigte sich die Wirkung bei 50 Euro, ein Angebot von 25 Euro war unzureichend.

Ab wann mit Herdenimmunität gerechnet wird

„Die Anreize könnten die Impfprogramme einige entscheidende Prozentpunkte weiterbringen“, sagt Klüver mit Blick auf die kritische Quote der Herdenimmunität. Dieser Zahlenwert ist schwierig einzugrenzen, da er von mehreren Faktoren wie dem Reproduktionswert, der mittleren Zahl von weiteren Ansteckungen pro Infiziertem, und damit auch von Eigenschaften des Virus abhängt.

Mutanten, die leichter von Mensch zu Mensch übertragen werden, wie etwa die derzeit vorherrschende Variante B.1.1.7, erfordern eine höhere Quote als ursprünglichere Varianten, erklärte Christian Drosten im NDR-Info-Podcast „Coronavirus-Update“. Herdenimmunität ist erreicht, wenn ein sehr großer Teil der Bevölkerung eine Infektion durchgemacht hat oder aufgrund einer Impfung immun ist und das Virus nicht mehr weiterverbreiten kann.

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Der Berliner Virologe verweist zudem auf Kontaktnetzwerke und Kontakthäufigkeiten: „Es gibt auch in einer im Durchschnitt gut geimpften Bevölkerung immer wieder Nischen, wo nicht so viele Geimpfte sind und wo dann das Virus wieder hochkocht.“

Lokale Ausbrüche sind jedoch leichter zu kontrollieren, etwa durch Kontaktbeschränkungen, als ein über größere Bevölkerungsteile verteiltes Infektionsgeschehen. Die Impfung möglichst vieler Menschen bleibt das erklärte Ziel.

Das Forschungsteam von der Humboldt-Universität und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung will in weiteren Untersuchungen verfolgen, wie sich die Gruppe der Unentschlossenen aufteilt: ob die Menschen sich für eine Impfung entscheiden, weiterhin unentschlossen sind oder sie ablehnen. Ein weiteres Thema der in fünf Wellen organisierten Untersuchung wird die internationale Impfsolidarität sein. Die Forschenden wollen herausfinden, welche Faktoren die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für Impfprogramme für andere Länder erhöhen.

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