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Anvisiert. In dem Film "American Sniper" spielt Bradley Cooper den Scharfschützen Chris Kyle im Irakkrieg.

© dpa

Film "American Sniper" spaltet die USA: Der Scharfschütze in dir

Gewalt und Aggression sind tief im Menschen verankert - das erklärt ihre Faszination. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Ein Film spaltet Amerika. „American Sniper“ behandelt das Leben des gefeierten Scharfschützen Chris Kyle, Mitglied der Eliteeinheit „Seals“ und im Irakkrieg mit mehr als 160 Abschüssen erfolgreichster Scharfschütze in der Geschichte des US-Militärs. „Nach dem ersten Treffer fallen einem die anderen leichter“, schrieb Kyle in seinen Memoiren. „Ich sehe durchs Fernrohr, nehme mein Ziel aufs Korn und töte den Feind, bevor er einen von meinen Leuten umbringt.“ Der Film glorifiziert Kyle, der für viele Amerikaner ein Held ist – und für andere ein eiskalter Killer.

Ist Kyle ein Guter oder ein Böser? Es erscheint paradox, aber in gewisser Weise haben beide Seiten recht. Je genauer man sich die Ursachen von Gewalt anschaut, umso schwieriger wird es mit der Eindeutigkeit; aus der einen Perspektive werden viele. Aggression hat viele Facetten. Die Faszination, die von Gewalt ausgeht und die einen Teil des Erfolgs von „American Sniper“ ausmacht – der Film ist in den USA ein riesiger Kassenerfolg und für sechs Oscars nominiert –, spricht dafür, dass sie nicht nur ein Teil von Kyle, sondern von uns allen ist. Im „American Sniper“ begegnen wir uns selbst. Kyle war ein Jedermann, bevor er zur Armee ging.

Gewalt ist Teil des menschlichen evolutionären Erbes. Natürlich gehen die Menschen heute nicht mehr mit Keulen aufeinander los, aber in domestizierter Form ist Gewalt gegenwärtig, sei es als subtile Intrige im Büro oder als „Attacke“ einer Firma auf die Konkurrenz mithilfe neuer Produkte. Auch der Sport lebt vom Kampf, das Fernsehen vom Krimi.

"Geborene" Mörder gibt es nicht

„Als Mörder geboren“ heißt das bei Klett-Cotta erschienene Buch des britischen Psychologen Adrian Raine. Der Kriminalexperte an der Universität von Pennsylvania weiß um die Verankerung der Gewalt in der Natur des Menschen. Doch streitet Raine die sozialen Ursachen nicht ab, auch wenn der deutsche Buchtitel das nahelegt – „Anatomie der Gewalt“ lautet übersetzt der viel treffendere Titel der Originalausgabe. Der Wissenschaftler arbeitet stattdessen heraus, wie das Zusammenspiel von biologischen und psychologisch-sozialen Umständen Gewalt und Verbrechen hervorbringt. Einen „geborenen Mörder“ gibt es also nicht.

Würde Raine den Scharfschützen Kyle untersuchen, würde er vermutlich auf manches treffen, was ihm von Tests an Psychopathen bekannt vorkäme. Etwa ein niedriger Puls, Zeichen für Kaltblütigkeit und Mangel an Furcht. Und möglicherweise auf eher heruntergedimmtes Stirnhirn, Indiz für einen Mangel an Gewissen. Raine hat gesammelt, was an Befunden über die Gehirne von Gewalttätern existiert. Angefangen bei genetischen Abweichungen und Funktionsstörungen (etwa im Stirnhirn) bis hin zu Einflüssen in Schwangerschaft und Kindheit (Alkohol, Rauchen, Vernachlässigung) und Schäden durch falsche Ernährung und Schadstoffe. Manches davon erscheint plausibel und wesentlich, wie das etwas andere „Funktionieren“ des Gehirns, anderes – etwa der angeblich kriminalitätsdämpfende Einfluss von Omega-Fettsäuren – eher zweifelhaft und beliebig.

Kriminalität ist eine Krankheit, die man heilen kann

Es ist üblich, nach einem Verbrechen Hergang und Motive aus dem Lebenslauf des Übeltäters abzuleiten. Irgendwie scheint dann plötzlich alles zusammenzupassen, und nach der Tat ist man sowieso immer schlauer. In Wirklichkeit ist es fast unmöglich, anhand einer Persönlichkeit und ihrer Biografie einen kriminellen Akt vorherzusagen. Raines biologische Risikofaktoren können dieses Defizit verringern, aber nicht gänzlich ausgleichen. Dass er seine Prognose-Fähigkeiten bei Weitem überschätzt, macht der Schluss deutlich. Hier stellt er einen Zukunftsstaat vor, in dem potenziell Kriminelle „vorsorglich“ inhaftiert und optimal betreut und versorgt werden, so dass sie von ihrem „Leiden“ kuriert werden.

Gewalt und Verbrechen sind für Raine nicht in erster Linie Probleme der Justiz und Moral, sondern des Gesundheitswesens. Kriminalität ist eine Krankheit, und wenn wir die richtigen Gegenmittel haben, können wir sie eines Tages heilen. Chris Kyle hatte dieses Glück nicht. 2013 wurde er auf einem Schießstand von einem ehemaligen Kameraden erschossen. Mediziner hatten ignoriert, dass der offenbar psychotische Täter unter brisanten paranoiden Wahnvorstellungen litt – und ihn gegen den Willen seiner Angehörigen zu früh aus der Klinik entlassen.

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