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Das große Staunen: "Tristan" im Berliner Naturkundemuseum.

© Britta Pedersen/dpa

Faszination Tyrannosaurus rex: Im Bann der Fossilien

Im Berliner Naturkundemuseum kann man sich gepflegt gruseln - dank eines rekonstruierten Tyrannosaurus rex. Ein Glücksfall für uns Heutige. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Das schwarze Maul geöffnet, die Fangzähne entblößt, die Krallen der Beute entgegengereckt – Tyrannosaurus rex alias „Tristan“, der Berliner Neubürger, wird gleich zuschnappen. Geschätzte 66 Millionen Jahre hat der mächtige Räuber mit dem musikalischen Namen in der Erde gelegen. Jetzt ist er im fernen Montana auferstanden und auf späte Wanderschaft gegangen, um im Berliner Museum für Naturkunde Angst und Schrecken zu verbreiten. Und die Berliner wie die Touristen werden sich das gepflegte Gruseln gefallen lassen. Die Stadt ist seit dieser Woche um eine große Attraktion reicher, der Besuch im Naturkundemuseum noch lohnender.

Viele Erwachsene glauben, dass Naturkundemuseen eher was für ihren Nachwuchs sind. „Muss ich mit meinem Kind noch zu den Walskeletten, oder kann ich mit ihm schon ins Kunstmuseum?“ Ausgestopfte Eisbären, Dino-Dioramen, jede Menge Stammbäume, das kann reife Persönlichkeiten eigentlich nicht interessieren. Reife Persönlichkeiten wie der tyrannische Tristan jedoch können diesen Trend durchaus umkehren. Auch die seit dem Biologieunterricht in Vergessenheit geratene Natur kann wiederentdeckt werden. Klimawandel und Artensterben haben sicher dazu beigetragen, das Interesse am Leben auf unserem Planeten zu wecken. Doch das Interesse an sensationellen Fossilien wie dem T. rex Tristan geht weit darüber hinaus. Es hat ein Eigenleben entwickelt.

Ein Teil dieser Faszination verdankt sich sicher geschickter Reklame und professioneller Präsentation. T. rex Tristan hat im Berliner Naturkundemuseum einen Raum für sich, nichts lenkt von seiner Gegenwart ab. Zusätzlich kann man sich den einmalig gut erhaltenen Schädel aus nächster Nähe anschauen, auf dem Körper sitzt nur eine originalgetreue Kopie. Die Beschränkung auf das Wesentliche ist ein absoluter Glücksfall musealer Dramaturgie.

Im Raum mit Tristan

Aber da ist noch mehr. Etwas, das man „Aura“ nennen kann. Der Londoner Banker Niels Nielsen, großzügiger Leihgeber Tristans (Beispiel für einen Raubtier-Kapitalismus höchst erwünschter Art), entdeckte seine Leidenschaft für Fossilien, als er bei einer Auktion den Zahn eines T. rex erstand und ihn dann in die Hand nehmen durfte. Dieser Moment berührte ihn stark und prägte seine Passion, sagt Nielsen. Und Johannes Vogel, Direktor des Naturkundemuseums, berichtet, dass alle, denen er Teile Tristans vor dem Zusammenbau zeigte, begierig waren, die Fossilien anfassen zu dürfen.

Das ist uns gewöhnlichen Museumsbesuchern verwehrt. Aber immerhin können wir in einem Raum mit Tristan sein und ein paar seiner Moleküle einatmen. Das Vergnügen wird auch nicht dadurch geschmälert, dass im Fossil von den originalen Knochen so gut wie nichts erhalten ist; ihre Bestandteile wurden im Prozess der Versteinerung ausgetauscht.

Dem Echten nahe sein

Der amerikanische Psychologe Paul Bloom hat eine Erklärung für diese Art der Begeisterung gefunden. Der Mensch ist ein Essenzialist, sagt Bloom. Wenn er die „Essenz“, das „Wesen“, die „innere Wahrheit“ einer Sache erfahren kann, macht ihn das glücklich. Er will dem Echten nahe sein, an ihm teilhaben. Sei es der Mona Lisa im Louvre, Popstar Madonna im Konzert oder eben T. rex Tristan im Naturkundemuseum. Immer ist es das Wissen, dass wir es mit etwas Authentischem zu tun haben – ob Kunstwerk, Künstler oder Knochen –, das uns glücklich macht.

Dass T. rex begehrt ist, obwohl er das perfekte Raubtier verkörpert, ist dabei nur auf den ersten Blick verwunderlich. Zwar ist die Gefahr, die von ihm ausgeht, seit längerer Zeit vorbei. Aber noch immer ist sie spürbar und stellt eine Art geistige Verbindung zu dem Ungeheuer her. Unsere Begegnung mit T. rex hat ihre Parallele im Verhalten der Steinzeitmenschen, die Tiere auf Höhlenwände zeichneten: um sie zu beschwören und gleichzeitig zu bannen und zu beherrschen. Die Kluft zwischen Natur und Kultur ist am Ende nicht so groß, wie man uns immer glauben machen möchte. Willkommen im Menschenkundemuseum.

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