zum Hauptinhalt
In Indien waren rund 70 Prozent von der Hitze betroffen. An vielen Orten überstiegen die Temperaturen die 45-Grad-Marke. Die indische Hauptstadt Neu-Delhi etwa meldete Anfang Mai 49 Grad.

© IMAGO/Hindustan Times

Fast 50 Grad heiß: Klimawandel hat Indiens Megahitze 30-mal wahrscheinlicher gemacht

Eine neue Studie zeigt: Die globale Erwärmung hat die Hitze in Indien angefacht. Zukünftig könnten solche Extremereignisse häufiger und wärmer ausfallen.

Wärmer als im März dieses Jahres war es in Indien seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 122 Jahren noch nie. Auch im benachbarten Pakistan werden seit Monaten regelmäßig Rekordtemperaturen gemessen. Etwa ein Drittel des Landes sind von der Hitze betroffen, in Indien sogar rund 70 Prozent. An vielen Orten überstiegen die Temperaturen die 45-Grad-Marke. Die indische Hauptstadt Neu-Delhi etwa meldete Anfang Mai 49 Grad.

Die Hitze fordert längst ihren Tribut: „Im März und April wurden 90 Todesfälle im Zusammenhang mit der Hitze von den Regierungen in Indien und Pakistan gemeldet“, erklärte Aditi Kapoor vom Rotkreuz-/Rothalbmond-Klimazentrum. Viele Beobachter vermuten, dass die Zahl noch deutlich höher sein dürfte.

Tatsächlich kommen Hitzewellen in Indien und Pakistan in der Zeit vor Beginn des Monsunregens im Juni durchaus häufig vor. Doch einige Aspekte dieser Extremhitze sind ungewöhnlich, erklärte Friederike Otto, Klimawissenschaftlerin am Imperial College London und Gründerin der World Weather Attribution Initiative (WWA): „Die Hitzewelle hat bereits außergewöhnlich früh im März mit extrem heißen Temperaturen begonnen und hält nun schon fast zwei Monate an“.

Darüber hinaus fiel im März sowohl in Pakistan als auch in Indien kaum Niederschlag. So beobachteten Meteorologen in Pakistan im März etwa zwei Drittel weniger Regen, im Nachbarland Indien fiel sogar 71 Prozent weniger Niederschlag als durchschnittlich im März üblich wäre.

Attributionsstudie über Einfluss des Klimawandels

Die WWA hat nun in einer Studie untersucht, auf welche Weise der Klimawandel zu der Hitzekatastrophe beigetragen hat. Das Ergebnis ist eindeutig: Die menschengemachte Erderwärmung hat die Hitze auf dem indischen Subkontinent um das 30-fache wahrscheinlicher gemacht. Die Studie hat die WWA von sich aus veröffentlicht und nicht über ein Fachmagazin, wie im Wissenschaftsbetrieb üblich ist.

Hinzu kommt, dass die Extremhitze immer wärmer ausfällt. Ein ähnliches Ereignis unter den klimatischen Bedingungen der vorindustriellen Zeit wäre im Schnitt ein Grad kühler ausgefallen, so der WWA-Bericht.

Die indische Hauptstadt Neu-Delhi meldete Anfang Mai 49 Grad.
Die indische Hauptstadt Neu-Delhi meldete Anfang Mai 49 Grad.

© dpa

Das mag wenig erscheinen angesichts von Meldungen aus der Arktis oder Antarktis, die zuletzt Temperaturen bis 40 Grad über dem Durchschnitt meldeten. Otto warnt jedoch vor schiefen Vergleichen mit Indien und Pakistan: „In dieser Klimaregion können schon minimale Temperatursteigerungen lebensbedrohlich wirken.“ 

Denn dem menschlichen Körper sind Grenzen gesetzt – insbesondere, wenn zur Hitze noch eine hohe Luftfeuchtigkeit kommt: Hitzewellen ab 35 Grad bei gleichzeitig hoher Luftfeuchtigkeit können für den Menschen tödlich sein. Unter diesen Umständen dürfte die Trockenheit der indischen Hitze bislang noch – in geringem Maße – lindernd gewirkt haben.

Sollte sich die Welt bis zum Ende des Jahrhunderts um zwei Grad erwärmen, erwartet die WWA, dass sich Extremhitzeereignisse wie in diesem Jahr weiter häufen. Sie dürften in der untersuchten Region zur gleichen Jahreszeit noch zwei- bis 20-mal so oft vorkommen. Und diese Hitzewellen wären dann 0,5 und 1,5 Grad wärmer als heutzutage.

Die WWA gibt dabei zu bedenken, dass ihre Berechnungen eher konservativ ausfallen. Das heißt, es ist wahrscheinlich, dass die Hitzewellen sogar noch schneller wiederkehren und deutlich wärmer werden.

Ähnliche Studie des britischen Wetterdienstes

Grundlage für die sogenannte Attributionsforschung sind statistische Methoden, die den Einfluss des Klimawandels auf ein Extremereignis überprüft. Dabei werden Wetterdaten aktueller Ereignisse verglichen mit Daten aus Modellen, mit denen sich berechnen lässt, wie sich das Klima ohne menschengemachte Emissionen entwickelt hätte. Die jeweilige Abweichung zwischen realem Extremwetterereignis und einer Welt ohne Klimawandel ergibt den Einfluss des Klimawandels.

Das Met Office, der meteorologische Dienst des Vereinigten Königreichs, hatte bereits in der vergangenen Woche eine ähnliche Attributionsstudie vorgelegt und die Wahrscheinlichkeit einer extremen Hitze für die Region berechnet. Demnach hat der Klimawandel Hitzewellen in Indien und Pakistan hundert Mal wahrscheinlicher gemacht.

Im Unterschied zur Untersuchung der WWA diente dem Met Office allerdings lediglich die indische Rekordhitze im Jahr 2010 zum Vergleich und es wurde nur das eigene Klimamodell herangezogen. Die WWA-Studie nutze dagegen ein Ensemble aus 20 Modellen und bezog den frühen Beginn der aktuellen Hitzewelle mit ein. Im April und Mai 2010 litten vor allem die nördlichen Bundesstaaten Westbengalen bis Rajasthan unter den heißesten Temperaturen seit mehr als 100 Jahren. Laut dem Met Office würde ein ähnliches Hitzeereignis in einem intakten Klima eigentlich nur alle 312 Jahre auftreten.

Der Klimawandel krempelt diese Gewissheit allerdings auf dramatische Weise um: Die britischen Meteorologen halten es für wahrscheinlich, dass ähnliche Hitzewellen den indischen Subkontinent künftig alle drei Jahre ereilen könnten. Bis zum Ende des Jahrhunderts und unter entsprechend weiter steigenden Temperaturen würde sich die Spanne noch einmal verkürzen. Dann könnte die extreme Hitze sogar alle 1,15 Jahre auftreten.

Hitze mit globalen Auswirkungen

Die aktuelle Hitze auf dem indischen Subkontinent hat bereits globale Auswirkungen. Mitte Mai kündigte Indien an, den Export von Getreide zu stoppen. Zuvor wollte die indische Regierung als zweitgrößter Weizenlieferant der Welt den globalen Weizenengpass noch mit zusätzlichen Lieferungen von zehn Millionen Tonnen Weizen abfedern. 

Die Hitze verringerte laut einer Unterabteilung des indischen Ernährungsministeriums die Weizenernte um sechs Prozent. Mittlerweile gibt es jedoch wieder vereinzelte Ausnahmen, die einen Export ins Ausland möglich machen.

In Indien selbst verschärft außerdem noch etwas anderes die Lage. Schon im vergangenen Jahr bemängelten mehrere Stellen Kohleknappheit im Land. Mit der Hitze stieg zuletzt der Stromverbrauch für Klimaanlagen und Ventilatoren deutlich an. Dadurch waren die Kraftwerke immer öfter überfordert. In vielen Regionen kam es daher zu Stromausfällen. 

„Die Regierungen in Indien und Pakistan müssen daher die ohnehin bereits in vielen Städten und Kommunen vorliegenden Hitzeaktionspläne überarbeiten und den künftig bedrohlicheren Klimaverhältnissen anpassen“, forderte Rotkreuz-Klimaexpertin Kapoor. Diese Pläne gebe es bereits in 130 Metropolen und Dörfern in Indien. Besonders bei der Koordination zwischen einzelnen Behörden gebe es jedoch noch Nachholbedarf. 

Gleichzeitig gilt Indien, der drittgrößte Verursacher von CO2-Emissionen, nicht unbedingt als Vorreiter für Klimaschutz. Erst 2070 will das Land Klimaneutralität erreichen. Im Rahmen des Weltwirtschaftsforums in Davos haben sich nun verschiedene indische Unternehmen zusammengefunden, um gemeinsame Wege für die Umsetzung des indischen Klimaziels zu finden.

In Davos hieß es am Montag, die grüne Transformation könnte 50 Millionen neue Jobs bringen, und 15 Billionen Dollar Umsatz. Ob dabei die Erkenntnisse der Klimawissenschaft und die bald regelmäßig drohende Extremhitze einkalkuliert sind, bleibt fraglich.

David Renke

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false