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In der Schuld? Man schuldet den Eltern keine Ehre, sondern man ehrt sie einfach, indem man ab und an da ist.

© imago/Westend61

Familie: Undankbare Kinder

"Warum wir unseren Eltern nichts schulden", heißt ein neues Buch. Da beginnt das Missverständnis: Schuld ist etwas für die Couch. Bei Eltern und Kindern geht es um Liebe, wenigstens um Respekt.

„Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter ehren, auf das es dir wohl ergehe und du lange lebest auf Erden.“ So lautet das Vierte Gebot. Es ist das erste der zehn, das die Beziehungen der Menschen untereinander regelt.  Ehren ist eine altmodische Sache, solidarisch sein, Respekt erweisen, sensibel mit den Altvorderen umgehen – das versteht auch der moderne Mensch. Der Generationenvertrag ist die in Paragraphen gegossene Form der Ehrung, die wohl von niemandem in Frage gestellt wird. Rente wollen wir schließlich alle kriegen.

Immerhin werden zwei Drittel der pflegebedürftigen Alten in Deutschland von ihren Kindern und anderen Angehörigen betreut. Da kann es nicht so schlecht stehen um die Ehrung der Mütter und Väter. Doch da kommt ein Buch daher mit dem reißerischen Titel „Warum wir unseren Eltern nichts schulden“. Aha, denkt der Rezensent, das ist wie „Ich hasse Kinder“ oder „Ehe ist Mist“. Doch reißerisch ist das Büchlein von Barbara Bleisch, einer Philosophiedozentin aus Zürich, nicht.  Es ist eher ein Missverständnis. Sie erzählt lauter banale Geschichten von Menschen, denen die Eltern auf die Nerven gehen, weil sie sich einmischen oder zur Unzeit etwas wünschen oder darauf bestehen, dass die Kinder zum Achtzigsten des Vaters in Anzug und Krawatte erscheinen.

Im schlimmsten Fall ist das Verhältnis zerrüttet

Wer das als nicht gerade 25-jähriger Post-Student liest, wünscht sich, dass die beschriebenen „Kinder“ etwas erwachsener reagieren sollten. Das Missverständnis beginnt damit, dass das Eltern-Kind-Verhältnis kein Schuldner-Gläubiger Verhältnis ist. Im schlimmsten Fall ist das Verhältnis zerrüttet, im besten Fall ist es von Respekt und Verantwortung getragen. Als einst das Vierte Gebot zu unserem Grundkodex gerann, wurden die durchschnittlichen Eltern höchsten 40 Jahre alt. Die Gefahr sie zwanzig Jahre lang besuchen, betten, versorgen, tragen oder im Rollstuhl herumfahren zu müssen, war minimal.

So wie man seinem Ehegesponst nicht Liebe schuldet, so schuldet man auch den Eltern nicht Ehre, sondern man ehrt sie einfach, indem man wenigstens von Zeit zu Zeit für sie da ist.  Die Sekretärin, die täglich in ihrer Mittagspause mit der Straßenbahn nachhause fährt, um der kranken, alten Mutter das Essen zu machen und das Bett zu richten, tut das meist aus Verantwortung, manchmal aus Liebe, oft aus Respekt. Schuld ist etwas für die Couch.

Akademisch aufgemotzte Theorien

Die Autorin fragt, ob Kinder ihren Eltern dankbar sein müssen und verneint es sofort mit der platten Aussage, dass sie ja nicht darum gebeten haben, geboren zu werden. Pubertisten  argumentieren so, mit Philosophie hat das indes wenig zu tun. Das ganze Buch, von dem man wenigstens eine steile These erwartete, strotzt von akademisch aufgemotzten Theorien, die banal bis langweilig sind. Wenn eine Tochter findet, dass sie ihr eigenes Leben leben wolle und die alte Mutter darum nicht besucht, fragt Bleisch, ob die Tochter „im Recht“ sei. Es gibt nichts und niemand der die Tochter zwingen kann, die Mutter mit Besuchen zu beglücken. Freilich gibt es auch nichts und niemand, der die Mutter daran hindern kann, traurig oder fordernd zu sein. Auch mit Begriffen wie Pflicht und Anspruch kommt man in der sensiblen Eltern-Kind Beziehung nicht weiter. In Zeiten, in denen der Sozialstaat die materielle Abhängigkeit der Eltern von der nächsten Generation durch Renten und Grundsicherung ausgehebelt hat, kann man Pflichten und Ansprüche nur in seltenen Fällen geltend machen. Bleibt also die Ehre, die den Altvorderen gebührt und die anders als die Liebe machbar ist. Ehret das Alter! heißt es denn auch, nicht: liebet das Alter! Will sagen, um der Lebensleistung der Mütter und/oder Väter willen, ehren wir sie, anerkennen wir sie, respektieren wir sie. Und in alltäglicher Konsequenz: darum besuchen wir sie oder rufen sie an oder kommen mit oder ohne Krawatte zu ihren Geburtstagen und Jubileen.

Banalitäten von der Festplatte

Auf dem Klappentext heißt es übertrieben: „Dieses Buch zeigt, wie Philosophie helfen kann, das Verhältnis zu Vater und Mutter zu klären.“ Nun, dieses Buch verschwierigt in akademischer Manier die Banalität, dass Eltern und Kinder nicht immer harmonieren, dass Eltern Erwartungen haben, die nicht erfüllt werden und dass Kindern diese Erwartungen auf den Wecker gehen. Und? Den erwachsenen Kindern, die nicht geschafft haben, ihre filialen Schwierigkeiten zu sublimieren, hilft dieses auf Pflicht und Schuld reduzierte Büchlein wenig. „Haben Eltern mit ihrer Sorge um ihre Kinder bloß ihre Pflicht getan, dann ist nicht einsichtig, weshalb Kinder  ihnen aufgrund solcher Pflichterfüllung  Dank schulden sollten.“ Oder: „Es ist natürlich schön, dass es viele Menschen gibt, die sich ihren Eltern dankbar verbunden fühlen…“ Welcher Lektor lässt solche Banalitäten von der Festplatte durchgehen? Bleisch liefert hier ja nicht ein Proseminar- Papier ab, sondern schreibt für den Hanser Verlag.  Dieses Buch ist weder erhellend noch unterhaltend. Es ist schlecht geschrieben und platt gedacht. - Barbara Bleisch: „Warum wir unseren Eltern nichts schulden“, 206 Seiten, Hanser Verlag, 2018, 18 Euro. 

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