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Er kehrt zumindest zurück an die Humboldt-Universität. Studenten hatten wochenlang für den Verbleib des wissenschaftlichen Mitarbeiters Andrej Holm protestiert.

© Paul Zinken/dpa

Update

Ex-Staatssekretär mit Stasi-Vergangenheit: HU zieht Kündigung von Andrej Holm zurück

Wende im Fall Andrej Holm: Die HU zieht ihre Kündigung zurück und spricht nur eine Abmahnung aus. Die Institutsbesetzer wollen aber vorerst bleiben.

Die Humboldt-Universität zieht die Kündigung des Soziologen und ehemaligen Staatssekretärs Andrej Holm zurück. Es werde jetzt nur eine Abmahnung statt einer Kündigung geben, teilte die HU am Freitagmittag mit. Die Besetzer des HU-Instituts für Sozialwissenschaften, die gegen Holms Entlassung protestiert hatten, wollen gleichwohl bleiben. Vorerst werde man die Besetzung aufrechterhalten, verkündeten die Studierenden am Samstagabend nach mehrstündiger Diskussion. In einer Pressemitteilung von Sonntagmittag hieß es dann, man wolle "über das Wochenende eine Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen".

«Holm geht - wir bleiben!» Ein Transparent vor einem Instituts-Gebäude der Humboldt-Universität. Studenten halten das Gebäude seit der Kündigung des stasibelasteten ehemaligen Staatssekretärs und wissenschaftlichen Mitarbeiters Holm besetzt.
«Holm geht - wir bleiben!» Ein Transparent vor einem Instituts-Gebäude der Humboldt-Universität. Studenten halten das Gebäude seit der Kündigung des stasibelasteten ehemaligen Staatssekretärs und wissenschaftlichen Mitarbeiters Holm besetzt.

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Die HU hatte Holm wegen Falschangaben zu seiner Stasi-Vergangenheit am 18. Januar gekündigt - kurz nach Holms erzwungenem Rücktritt von seinem Amt als Berliner Bau-Staatssekretär. Holm habe in einer Erklärung gegenüber der HU erstmalig zugegeben, Falschangaben gemacht zu haben, und dies bedauert, begründete die HU die Entscheidung in einer Mitteilung. Holm wird darin mit dem Worten zitiert: „Ich bin mir heute bewusst, dass ich gegenüber der HU objektiv falsche Angaben hinsichtlich meiner Tätigkeit für das MfS gemacht habe. Ich bedauere das und ebenso, dies nicht sofort gegenüber der HU zum Ausdruck gebracht zu haben.“

Holm hatte seine Tätigkeit als Stasi-Offiziersschüler im Herbst 1989 auf dem Personalbogen verschwiegen und sich auf Erinnerungslücken berufen. HU-Präsidentin Sabine Kunst wertete das bei der Entlassung als „arglistige Täuschung“ und berief sich auf Holms fehlende Reue hinsichtlich seiner Falschangaben.

Andrej Holm bei einer Podiumsdiskussion zu «Einmal Stasi - immer Stasi? Der "Fall Andrej Holm"». Holm darf an die Humboldt-Universität zurückkehren.
Andrej Holm bei einer Podiumsdiskussion zu «Einmal Stasi - immer Stasi? Der "Fall Andrej Holm"». Holm darf an die Humboldt-Universität zurückkehren.

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Vor dem Hintergrund der Klarstellung sehe sie nun das Vertrauensverhältnis zwar weiter als gestört, „aber nicht mehr als vollständig zerstört“ an, sagte HU-Präsidentin Sabine Kunst dem Tagesspiegel. Sie habe sich daher nach Verhandlungen mit Holms Anwälten für die Abmahnung entschieden. Wenn sich Mitarbeiter in der Vergangenheit in ähnlichen Fällen zu ihrer Stasi-Tätigkeit bekannt hätten, seien diese auch nicht entlassen worden. Es sei „erfreulich“, dass Holms Expertise der HU nun erhalten bleibe.

Holm sagte in einer ersten Reaktion gegenüber dem Tagesspiegel, er freue sich, "dass ich an die Uni zurückkehren kann und das Ganze nicht in einem arbeitsrechtlichen Verfahren geklärt werden muss". In der Erklärung gegenüber der HU versicherte er, neben der Grundausbildung bei der Stasi und Tätigkeiten in einer Auswertungs- und Kontrollgruppe keine weiteren Aufgaben für das MfS erledigt zu haben.

Sabine Kunst, Präsidentin der Humboldt-Universität, begründet am 18. Januar die Entlassung von Andrej Holm als wissenschaftlichen Mitarbeiter.
Sabine Kunst, Präsidentin der Humboldt-Universität, begründet am 18. Januar die Entlassung von Andrej Holm als wissenschaftlichen Mitarbeiter.

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Arbeitsrechtler hatten Holm gute Chancen eingeräumt, gegen die Kündigung zu klagen. Kunst gab zu, dass auch der Personalrat der HU Bedenken gegen die Kündigung äußerte. Sie wäre bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung aber zuversichtlich gewesen. Voraussichtlich wird Holm erst später an die HU zurückkehren. Er war für sein Amt als Staatssekretär bis 2018 beurlaubt worden und wird vertreten. Bei dem Termin bleibt es vorerst laut Kunst.

Hoffentlich ist das Thema damit auch mal durch. Bei allen Pro und Contra in dieser Debatte war die existenzielle berufliche Vernichtung von Hr. Holm als solche unangebracht.

schreibt NutzerIn philoktes

Gegen die Entlassung Holms hatte es an der Humboldt-Uni starke Proteste gegeben, Studierende halten noch immer das Institut für Sozialwissenschaften besetzt. Ob sie das Gebäude jetzt räumen, wollten die Besetzer zunächst am Sonnabendnachmittag bei einer Vollversammlung klären, hieß es. Am Freitag sei erst einmal gefeiert worden: „Die Freude ist hier ziemlich groß, gerade gibt es Sekt“, sagte eine Studentin. Die Vollversammlung vertagte dann am Samstagabend die Entscheidung über die Besetzung. "Wir bleiben vorerst", hieß es auf Twitter.

Dekanin hofft, dass die Besetzer Institut freigeben

Julia von Blumenthal, Dekanin der Sozialwissenschaftlichen Fakultät, hatte am Freitag gehofft, dass die Räume jetzt freigegeben werden. "Dadurch, dass Herr Holm jetzt eingelenkt hat und damit der Grund für die Kündigung nicht mehr besteht, ist der aktuelle Anlass für die Besetzung nicht mehr gegeben", sagte von Blumenthal. Sie werde aber gerne mit den Studierenden über ihre weitergehenden Forderungen - etwa nach einer auskömmlichen Hochschulfinanzierung und über Formen und Inhalte der Lehre - im Gespräch bleiben.

Die Studierenden betonten in der Presseerklärung vom Sonntagmittag, dass sie "für demokratische Mitbestimmung Studierender an der Hochschule, für eine kritische Forschung und Lehre und eine Stadt, in der alle gut leben können" protestierten. Die "besondere Qualität des Protests" zeige sich auch darin, dass sich im besetzten Institut "ein Raum zur Politisierung von Studierenden geöffnet hat und dass es darüber hinaus eine intensive Vernetzung mit stadtpolitischen Initiativen gibt".

CDU kritisiert, die HU-Präsidentin sei vor Studierenden "eingeknickt"

Stadtentwicklungssenatorin Karin Lompscher (Linke) teilte mit, sie freue sich für Holm, „dass er als hervorragender Spezialist zur Frage der Gentrifizierung wieder an der HU arbeiten kann“. Lompscher betonte, sie sehe sich „in ihrer Auffassung bestätigt, dass es sich bei Holms Aussagen nicht um arglistige Täuschung gehandelt hat“. Der Fraktionsvorsitzende der CDU nannte die Entscheidung der HU dagegen „grotesk und unglaubwürdig“. Kunst sei vor den Protesten der Studierenden „eingeknickt“ und „verhöhne“ zugleich die Opfer der DDR-Diktatur. Auch die AfD kritisierte, HU-Präsidentin Kunst habe dem Druck der Institutsbesetzer nachgegeben.

Hubertus Knabe: Belügen des Arbeitgebers wird zum Kavaliersdelikt erklärt

Hubertus Knabe, Direktor der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen nannte die Entscheidung der HU „für viele Opfer sehr schmerzhaft“. Sie sähen darin ein Signal, „dass die Mitwirkung an einer Diktatur und das Belügen des eigenen Arbeitgebers darüber zu Kavaliersdelikten erklärt werden“.

Das sei aber "weniger die Schuld der Humboldt-Universität oder der protestierenden Studenten als der Arbeitsgerichte": Sie würden oft in diesem Sinne entscheiden. "Sie stellen damit in Frage, was Deutschland von Ländern wie Russland unterscheidet – ein öffentlicher Dienst, der weitgehend frei ist von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern", erklärte Knabe.

CDU fordert von Michael Müller, Kündigung durchzusetzen

CDU-Generalsekretär Stefan Evers forderte, der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) müsse in seiner Eigenschaft als Wissenschaftssenator „der Aufhebung der Kündigung deutlich widersprechen“ und „die falsche Entscheidung korrigieren“. Dazu teilte Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach auf Anfrage mit: „Es bleibt dabei, dass die Humboldt-Universität zu Berlin eigenverantwortlich entscheidet." Sabine Kunst entgegnete auf den Vorwurf, sie sei vor den Studierendenprotesten eingeknickt: "Den Schuh ziehe ich mir nicht an."

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